Süddeutsche Zeitung

Bundeshaushalt:In zwölf Sekunden zur schwarzen Null

  • Bundesfinanzminister Olaf Scholz eröffnete am Dienstag die traditionelle Haushaltswoche im Bundestag nach der Sommerpause.
  • Beim Klimaschutz gebe es kein Weiter-so mehr, betont der Vizekanzler.
  • Nötig sei ein Gesamtkonzept, ein "über die Regierungsparteien hinaus reichender nationaler Konsens".

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Deutsche Bundestag, Dienstagmorgen, acht Minuten nach zehn Uhr. Als Angela Merkel auf der Regierungsbank neben sich greift, um ihre Handtasche zu erreichen, hebt Olaf Scholz vorne am Rednerpult an, über den Bundeshaushalt 2020 zu reden. Die Kanzlerin ist noch mit der Tasche beschäftigt, da ist der Finanzminister schon fertig. "Das ist jetzt der dritte Haushalt dieser Regierung, den wir miteinander beraten, und wie die beiden zuvor ist es ein solider Haushalt, der ohne neue Schulden auskommt." Zwölf Sekunden bis zur schwarzen Null.

Scholz eröffnete am Dienstag die traditionelle Haushaltswoche im Bundestag nach der Sommerpause. Das Parlament ist aus den Ferien zurück, das politische Berlin hat in den nächsten Wochen große Entscheidungen zu treffen. Die Regierung will ein großes Klimaschutzgesetz vorlegen, an das sie ihr Weiterregieren geknüpft hat; sie will sich auf die Grundrente einigen und eine Bilanz zur Halbzeit ihrer Legislaturperiode ziehen. Am ersten Arbeitstag im Parlament hat man jedenfalls den Eindruck, dass der Wille, es gemeinsam gut zu machen, durchaus ein starker ist. Und zwar bei allen Parteien.

Der Sozialdemokrat Scholz baut dem Koalitionspartner einige Brücken, die später auch genutzt werden. Nicht nur beim Haushalt ohne neue Schulden. Scholz verbeugt sich vor dem Satz seiner Regierungschefin "Wir schaffen das", wobei er das darauf bezieht, dass Deutschland viele Milliarden Euro investieren könne, ohne zusätzliche Kredite aufzunehmen. Beim Klimaschutz gebe es kein Weiter-so mehr, betont der Vizekanzler, und nicht mehr viele kleine Maßnahmen oder noch mehr vom Gleichen. Nötig sei ein Gesamtkonzept, ein "über die Regierungsparteien hinaus reichender nationaler Konsens". So ähnlich hatte es auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer Ende August gefordert.

Die Nettigkeiten von der Union überbringt Fraktionsvize Andreas Jung (CDU). Scholz habe soweit alles gut gemacht mit der schwarzen Null, dem ersten Schritt bei der Abschaffung des Soli und, ja, beim Klimapaket brauche man einen nationalen Konsens. Wobei das natürlich auch eine Umschreibung dafür sein könnte, dass die Union befürchtet, sich mit dem Koalitionspartner alleine nicht einigen zu können. Wissen kann man das erst am 20. September, dann soll das Klimakabinett seine Vorschläge machen.

Dass die große Koalition einig aussieht, ist auch der Nachurlaubsstimmung der Opposition geschuldet. Sie lässt die Gelegenheit verstreichen, mal so richtig auf Missstände hinzuweisen. Dass der Bundeshaushalt erstmals in seiner Geschichte unvollständig eingebracht wird - weil das teure Klimapaket noch fehlt. Die Opposition hätte fragen können, was wichtiger sei, Klimaschutz oder schwarze Null.

Macht sie aber nicht. "Wenn man Sie so anhört", beschwert sich SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs hinterher, "da haben Sie außer einem Hauch Pathos und Science-Fiction nicht viel zu bieten."

Die AfD murrt, als die Rede auf den Klimawandel kommt

Das Fantastische bezieht er auf Peter Boehringer. Dem AfD-Politiker hatte die erste Widerrede gegen Scholz zugestanden. Obwohl Boehringer den Haushaltsausschuss leitet, nimmt er es mit Daten und Fakten nicht so genau. Ist die Rücklage 2021 aufgebraucht? Oder 2022? Sind das 30 Milliarden? Oder 35? Hat die Europäische Zentralbank neue Beschlüsse getroffen? Oder wird nur spekuliert? Egal. Nur ein Aspekt ist ihm wichtig: dass die Bundesregierung "deutsches Steuergeld für deutsche Bürger" ausgeben solle. Als er das sagt, ist von der Kanzlerin nur die Handtasche da.

Ob Otto Fricke, Haushaltsexperte der FDP, im Urlaub Rainer Maria Rilke gelesen hat, muss offengelassen werden. Jedenfalls zitiert er den Dichter: "Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los..." . Lässt sich daraus eine fundamentale Kritik an der bundesdeutschen Haushaltsplanung machen? Auch der Sommer der großen Koalition sei groß gewesen, müht sich Fricke. Sie habe acht Jahre lang aus dem Vollen geschöpft. Aber jetzt? Kurzarbeit, sinkende Auftragseingänge, schlechtere Steuereinnahmen. "Sie wissen schon, dass Steuerschätzer Ihnen negative Zahlen reinschreiben", ruft er Scholz zu. "Otto, du kannst es besser", fertigt ihn Kahrs später ab. Vor acht Jahren habe doch Wolfgang Schäuble (CDU) Haushaltspolitik gemacht.

Nicht nur Fricke kann es besser, sondern ganz Deutschland. So formuliert es jedenfalls Olaf Scholz. Er beendet seine Rede ähnlich furios, wie er sie begonnen hat. 28 Minuten braucht er, um sich dem Klima zuzuwenden. Und lässt es nicht mehr los. Was auch an einem Wortgefecht mit der AfD liegt.

Die AfD murrt, als Scholz davon redet, dass es die Aufgabe Deutschlands sei, "den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten und gleichzeitig ein wirtschaftlich erfolgreiches Land zu bleiben, das hochmoderne Arbeitsplätze bietet, das global auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist". "Antwort?", ist aus der AfD zu hören. Scholz aber strapaziert die Geduld. "Und dann müssen wir auch Fragen beantworten, die uns die Bürger stellen. Warum steigen wir aus der Kohle aus, wenn in Afrika und Asien Tausende neue Kraftwerke gebaut werden?" "Antwort?", ruft man bei der AfD. Warum ist es richtig, auf moderne Antriebstechniken bei Fahrzeugen zu setzen, wenn überall in der Welt noch Millionen fossile Autos gebaut werden? "Antwort!" Scholz ist eisern: "Die Antwort auf diese Frage kann gegeben werden, die muss auch gegeben werden." Noch lautere Rufe von der AfD. Darauf Scholz: "Und die Antwort lautet: Weil wir es können."

Klatschen links der AfD. In den Beifall hinein ruft Scholz: "Wir haben die Ingenieure, wir haben die Finanzen, die Technologien. Und wenn uns das gelingt, können wir anderen sagen, wir haben eine bessere Alternative, als 500 neue Kohlekraftwerke aufzustellen oder die ganze Welt mit Autos zuzustellen. Dann gäbe es keine Luft zum Atmen mehr. Unsere Technologien können die Lösung sein, die bezahlbar ist an anderen Orten der Welt."

Am ersten Tag im Parlament hat Scholz mit der schwarzen Null angefangen und mit dem Klima geendet. Man darf gespannt sein, wie es nach den Haushaltsberatungen aussieht.

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SZ vom 11.09.2019/dit
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