Christian Lindner kommt aus dem Haushaltsausschuss und neun Minuten zu spät. Er habe gerne noch alle Fragen der Abgeordneten beantworten wollen, sagt er entschuldigend auf dem Podium der Bundespressekonferenz. Dass es in diesen Tagen viele Fragen an den Bundesfinanzminister gibt, ist kein Wunder.
Am Morgen hat das Kabinett dem Haushaltsentwurf für dieses Jahr zugestimmt und dem Finanzplan für die kommenden. Außerdem noch einem ersten Entlastungspaket angesichts der gestiegenen Preise, und dann sind da noch die Diskussionen über die nächste Entlastungsrunde wegen des Ukraine-Kriegs und Lindners, nun ja, spezielle Idee eines Tankrabatts.

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"Das ist der erste Bundeshaushalt der neuen Koalition, und deshalb wurde es auch ernst", sagt Lindner nun. Ein kleines Lächeln huscht trotzdem über sein Gesicht. Man habe sich ja auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, "das war Text". Jetzt aber gehe es darum, einen Haushalt zu machen, "der Politik in Zahlen fasst". Dass manches, was die Koalition sich vorgenommen hat, diese Wandlung von Text in Zahl nicht überstanden hat, zeigt sich kurz darauf, als Lindner über den "konstruktiven Geist" in der Koalition spricht. Mit dem nämlich sei es möglich gewesen "zu priorisieren".
Priorisiert wurde zum Beispiel beim Bürgergeld, das eigentlich Hartz IV ablösen soll, aber bislang in der mittelfristigen Finanzplanung nicht vorgesehen ist. Es teilt dieses Schicksal mit einer Reform des Elterngeldes oder der kapitalgedeckten Rente. Für Lindner läuft das unter "Zügelung der politischen Wunschvorstellung der Koalition". Und gezügelt werden müsse schon wegen der Schuldenbremse. Die soll vom kommenden Jahr an wieder eingehalten werden, und der FDP-Chef erklärt zur Sicherheit noch mal, das sei "keine beliebige politische Absicht", sondern ein "Befehl der Verfassung".
"Loyalität, persönliche Eignung und Hingabe an das Amt"
Neben Lindner sitzt Werner Gatzer. Bei der Amtsübergabe im Dezember sagte Lindner, er habe Gatzer gebeten, "weiter als Staatssekretär hier im Haus für unseren Bundeshaushalt zuständig zu sein". Kurz zuvor hatte er bereits geschwärmt, in dem Ministerium gebe es "über viele Jahrzehnte gespeichertes Wissen über die Staatspraxis", und kurz danach kam er darauf zu sprechen, dass unter seiner Führung "Loyalität, persönliche Eignung und Hingabe an das Amt" zählten, nicht "parteipolitischer Hintergrund".
Lindner ist nicht der erste Finanzminister, der Gatzer im Amt belässt. Bis auf ein sehr kurzes Intermezzo ist der 63 Jahre alte Jurist, der seit 1990 im Finanzministerium arbeitet, seit 2005 durchgehend als Staatssekretär für den Bundeshaushalt zuständig. Es war Peer Steinbrück (SPD), der ihn auf diese Position setzte; danach kamen Wolfgang Schäuble (CDU), Olaf Scholz (SPD) und jetzt Lindner. Gatzer aber, seit 40 Jahren SPD-Mitglied, blieb.
Lindner wusste natürlich um die Qualitäten des Spitzenbeamten, und dass er diese ganz gut würde brauchen können. Wie sehr und wie bald, das ahnte er aber wohl eher noch nicht, als er im Herbst die ersten Signale in Gatzers Richtung sandte.
An diesem Mittwoch jedenfalls ist Lindner seit 99 Tagen im Amt, und Gatzer hat ihm schon mindestens zweieinhalb Mal mit haushaltstechnischen Finessen aus der Klemme geholfen. Das Ergebnis seines Wirkens ist, dass der vom Kabinett verabschiedete Haushalt aussieht, als sei nichts gewesen. 99,7 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr, genauso viel wie schon von Lindners Vorgänger geplant. Und nächstes Jahr dann nur noch 7,5 Milliarden, so viel, wie die Schuldenbremse zuließe. Dieser Haushalt wäre, sagt Lindner - "jetzt wechsle ich in den Konjunktiv" -, der Schritt zurück zur Normalität nach zwei Jahren Pandemie gewesen. Ist er aber nicht.
Denn tatsächlich plant die Regierung nicht nur zusätzlich mit einem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen, das die marode Bundeswehr in die militärische Jetztzeit beamen soll. Sondern auch mit einem "Ergänzungshaushalt", den Werner Gatzer für die neueste Klemme, in der Lindner steckt, aus den Tiefen der Haushaltsordnung herausgefischt hat. 2020 gab es so was schon mal, und davor 1967.
Den Tank-Rabatt findet Lindner weiterhin sinnvoll
"Wir kennen die makroökonomischen Auswirkungen des Ukraine-Krieges noch nicht", begründet Lindner am Mittwoch den Haushalt, der nach dem Haushalt kommen soll. Humanitäre Hilfe im Ausland, Schutz der Geflüchteten im Inland, Abfedern möglicher makroökonomischer Auswirkungen des Krieges, Entlastungen der Bürger - all das soll zum normalen Haushalt noch hinzukommen. In welchem Volumen? Unklar.
Derzeit sind im Haushaltsentwurf nur erste Vorkriegsentlastungen abgebildet, wie die höhere Pendlerpauschale, Steuererleichterungen oder ein Zuschlag für arme Kinder. Was Christian Lindner besonders gerne in dem geplanten zweiten Paket sehen will, weiß man seit Anfang der Woche. Ein Tankrabatt schwebt ihm vor, irgendetwas oberhalb von zehn Cent je Liter. Die Kritik aus den Reihen von Grünen und SPD hat er wohl vernommen, verweist aber unverdrossen auf Frankreich und Schweden, die ähnlich vorgegangen seien. Schnell und "in der Breite wirksam" sei ein Tankrabatt, bleibt Lindner ganz bei sich.
Während also noch gestritten wird um Lindners Tankrabatt oder das Energiegeld der Grünen, oder halt beides, um des lieben Friedens willen, wartet auf den Staatssekretär bereits die nächste, ungleich größere Tüftelei. Die Finanzplanung hat er, wie von Lindner gewünscht, passend gemacht, sodass von 2023 an die Schuldenbremse wieder eingehalten wird. Das Problem ist nur, dass Lindners Begeisterung über die "Priorisierungen" von seinen Kollegen eher nicht dauerhaft geteilt werden dürfte. Die Rufe nach mehr Geld, nach einer neuen Notlage, werden nicht verstummen.
Der Minister gibt sich einstweilen stoisch. Vielleicht hat er sich das abgeguckt von seinem Vorgänger, der heute Kanzler ist und sich im Zweifel auch gerne einfach wiederholt, wenn er glaubt, schon alles gesagt zu haben. Man habe nun mal die Schuldenbremse, sagt Lindner also ein weiteres Mal, und bei der sei es "nicht eine Frage des politischen Willens", sie einzuhalten. "Sie gilt."