Süddeutsche Zeitung

Bundeshauptstadt Berlin:Das Leben der Lobbyisten

Der Journalist Hans-Martin Tillack kritisiert die Branche: Sie sei schädlich für das Wirken der Demokratie. Der aus Wien gebürtige Lobbyist Karl Jurka antwortet - mit verhaltenem Wiener Schmäh.

Von Karl Jurka

Als auf Wikileaks interne Papiere der US-Botschaften in Berlin und Paris erschienen, gab es in der deutschen und französischen Hoch-Diplomatie das geflügelte Wort, dass es etwas unangenehm sei, seinen Namen bei Wikileaks zu finden; aber wie peinlich es erst wäre, dort nicht vorzukommen. Das hieße doch wohl, die Amis hätten einen nicht ernst genommen. Ähnlich geht es der Berliner Szene der Lobbyisten mit Hans-Martin Tillacks neuem Buch über Lobbying in Berlin. Ein bisschen unangenehm, von Tillack genannt zu werden; aber wie peinlich erst, in Tillacks Buch nicht aufzuscheinen.

Meinen Namen fand ich bei Tillack erstmals erst auf Seite 97, aber immerhin: Ich komme vor, nicht in einem besonders relevanten Zusammenhang, aber doch in einer Zeile mit Roland Berger. Roland Berger hat es bei Tillack auf gefühlte 25 Nennungen seines Namens gebracht. Tillack, da ist und bleibt er Journalist, lässt sich in manchen Passagen von der Prominenz der Namen beeindrucken. Merke: Im Lobbyismus bedeutet Prominenz nicht zwingend Effizienz und Durchsetzungsvermögen. Prominente sind meist dermaßen beschäftigt, von einem Podium zum nächsten, von einem Empfang zum anderen parlamentarischen Abend zu eilen, dass sie kaum zur eigentlichen Arbeit der politischen Recherche kommen.

Die Auswahl der passenden Restaurants ist "eine heikle Aufgabe"

Tillack überschätzt die klassischen Lobbyveranstaltungen. In meinen 25 Jahren als Lobbyist in der deutschen Hauptstadt organisierte ich keinen einzigen parlamentarischen Abend. Der Parlamentarische Abend war ein Instrument der Bonner Republik, weil in Bonn am Abend ziemlich wenig los war.

In Tillacks Buch werden Klischees transportiert, die mäßig bedeutsam sind: Ich habe die Postleitzahl 10178 und nicht die Postleitzahl des Berliner Regierungsbezirks, 10117, die Tillack für unentbehrlich hält. Und ich habe, so wie viele meiner Kollegen, keinen Bundestagsausweis, obwohl Tillack meint, ohne den käme man nicht aus. In einer Republik, die vom Grundgesetz her eine Kanzlerinnendemokratie ist, und angesichts einer großen Koalition mit einer satten Mehrheit im Bundestag sind Besuche von Lobbyisten im Deutschen Bundestag weniger zielführend, als man so glaubt.

Reizvoll finde ich Tillacks Idee des Berliner Restaurantführers für Lobbyisten. Ich dachte schon, ich selbst sollte Derartiges mal herausgeben. Für Paris und London gibt es Ähnliches bereits: von einem pensionierten KGB-Offizier geschrieben, als Restaurantführer für Spione publiziert, damit für Spione nicht mehr verwendbar, aber durchaus für Interessenvertreter.

Tillack hat übrigens recht: Die Auswahl der richtigen, dem jeweiligen politischen Rang der Teilnehmer entsprechenden Restaurants und Bars in Berlin ist eine heikle Aufgabe. Man hat an einschlägigen Plätzen in Berlin leider weniger Auswahl als in Paris. Daher geht man nicht mit einem politischen Kontakt zum Essen, wenn es vertraulich bleiben soll. In den Restaurants wird man gesehen und erkannt - und das ist gut so.

Und damit sind wir bei dem Punkt, warum ich das Buch trotz mancher Kritik an Tillacks Einseitigkeit (siehe Axel Wallrabensteins in der Branche viel beachtete Rezension im Tagesspiegel) für wichtig und lesenswert und ausbaufähig halte. Tillack wehrt sich nicht pauschal gegen Lobbyismus. Zu Recht. Wo es keine Vertretung von Interessen gibt, herrscht keine Demokratie. Der Ausgleich unterschiedlicher Interessen macht eine Demokratie erst wertvoll. Tillack verlangt Transparenz. Jeder vernünftige Interessenvertreter in Berlin stimmt dem Verlangen Tillacks nach einem professionellen Lobbyregister zu. So ein Register muss verpflichtend sein, und zwar für alle, auch für einschlägig tätige Rechtsanwälte, Gewerkschafter, NGOs. In den meisten Gesetzen anderer Staaten, die verpflichtende Lobbyregister einführten, ist die Liste der Ausgenommenen länger als die Liste der Verpflichteten. Das brächte nichts.

Manche NGOs lieben es, für sich von Interessenvertretungen zu sprechen, verwehren sich aber gegen den Begriff Lobbyismus und nennen ihre Vorgangsweise "Advocacy". Es konnte mir noch keiner erklären, wie sich Interessenvertretung und Lobbyismus begrifflich unterscheiden, und was an der Advocacy so anders sei als an Public Affairs.

Tillack saß dieser Differenzierung auf und nimmt die NGOs immer wieder von seiner Kritik am Lobbyismus aus. Er schreibt richtig, dass sich die großen Berliner NGOs wohl bezahlte professionelle Stäbe leisten, die aus Spenden finanziert würden. Die nächste Frage, woher denn diese Spenden kämen, ließ er weg. Wenn wir von Transparenz reden, dann müssen die NGOs ihre Großspender ebenso offenlegen wie die politischen Parteien und sich im Lobbyregister samt den Namen der Groß-Sponsoren aus der Wirtschaft finden. Spätestens mit Thilo Bodes Kampfschrift gegen TTIP haben sich beispielsweise Greenpeace und Foodwatch als Lobby-Organisationen demaskiert. Man kann für oder gegen die Argumente von Greenpeace und Foodwatch sein, Demokratie ist Ausgleich von Interessen, aber das, was Foodwatch-Bode sagt und vertritt, fällt lege artis unter Lobbyismus für ganz bestimmte Interessen ganz spezifischer Gruppierungen.

Ein spannender Ansatz von Tillack ist seine Forderung, in den Gesetzesmaterialien des Bundestags klar anzugeben, von wem bestimmte Formulierungen in Gesetzen kämen. Es ist nicht verwerflich, dass sich der Gesetzgeber Expertise aus der Wirtschaft holt, im Gegenteil, das ist sogar notwendig, weil ein deutscher Abgeordneter nicht Experte in jeglichem Fach sein kann. Es würde der Debatte der Berliner Republik aber in der Tat guttun, wäre klar ersichtlich, wer denn was in einem deutschen Gesetz initiiert hat. Und zwar konkret, Abschnitt für Abschnitt, und nicht so allgemein wie derzeit, wer alles gehört worden sei.

Die wenigsten Lobbyisten sind übergewichtige Männer mit grauen Schläfen

Was Tillack entging: Er verwendet immer die männliche Form für Lobbyisten und folgt damit unausgesprochenerweise dem Klischee, dass ein Lobbyist ein übergewichtiger Mann mit grauen Schläfen sei. Auch wenn das Klischee auf mich durchaus zutrifft - die Mehrheit der Interessenvertreterinnen und Lobbyistinnen in Berlin ist weiblich. Selbst in meinem eigenen Unternehmen sind die Damen längst in der Mehrzahl. Liegt es daran, dass es für Frauen einfacher ist, hinter der Bühne als auf der Bühne zu arbeiten? Dass Frauen fleißiger, einfühlsamer und damit besser in der Recherche wären? Jedenfalls sollte man die in Berlin zunehmende weibliche Komponente und die Frauen-Organisationen, die ebenfalls gekonnt Lobbyismus betreiben, wie etwa die "Frontfrauen", nicht übersehen.

Also, es war nicht Tillacks erstes lesenswertes Buch über Lobbyismus, es wird nicht sein letztes bleiben. Die Recherche über den Berliner Lobbyismus ist noch ausbaufähig.

Karl Jurka arbeitet als strategischer Politikberater in Berlin und Paris.

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Quelle:
SZ vom 19.05.2015
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