Justiz:Auf der Suche nach der ganzen Wahrheit

Justiz: Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde aus rechtsradikalen Motiven auf seiner Terrasse erschossen. Das Bild zeigt seinen Sarg beim Trauergottesdienst am 13. Juni 2019 in Kassel.

Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde aus rechtsradikalen Motiven auf seiner Terrasse erschossen. Das Bild zeigt seinen Sarg beim Trauergottesdienst am 13. Juni 2019 in Kassel.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Der Bundesgerichtshof verhandelt über die Revision im Mordfall Walter Lübcke: Wird der Freispruch eines möglichen Helfers des verurteilten Haupttäters aufgehoben?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Revisionsverhandlungen vor dem Bundesgerichtshof (BGH) sind meist exklusive Juristenveranstaltungen, selbst Angeklagte treten dort selten persönlich auf. Das war an diesem Donnerstag ein wenig anders. Zwar war Stephan Ernst nicht im Karlsruher Gerichtssaal, als der 3. Strafsenat die Verhandlung im Mordfall Walter Lübcke aufrief. Also der Mann, der im Januar 2021 wegen Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Anwesend waren aber Irmgard Braun-Lübcke und ihre beiden Söhne. Und die Witwe machte in bewegenden Worten noch einmal deutlich, dass es den Angehörigen nicht allein um Strafe geht. Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt lasse noch einige Lücken offen: "Für uns ist es wichtig, dass wir die ganze Wahrheit erfahren."

Freilich stellte der Strafsenatsvorsitzende Jürgen Schäfer gleich zu Beginn klar, dass die Rolle des BGH - obwohl höchstes Strafgericht - bei der Wahrheitserforschung sehr eingeschränkt ist. Die Zeugen zu hören und die Beweise zu würdigen, um herauszufinden, was genau an jenem Abend des 1. Juni 2019 auf der Terrasse in Wolfhagen-Istha geschah, auf der Lübcke erschossen wurde: All dies sei Sache des "Tatgerichts", also des OLG Frankfurt. "Die Beweiswürdigung haben wir auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Beweiswürdigung möglich oder sogar näherliegend wäre", erläuterte Schäfer. Der BGH könne das Urteil lediglich auf Rechtsfehler prüfen.

Dass die Verurteilung von Stephan Ernst solche Fehler enthalten könnte, dafür waren in der Verhandlung keine Anzeichen zu erkennen. Er wurde des Mordes für schuldig gesprochen, zudem wurde auf besondere Schwere der Schuld erkannt sowie unter Vorbehalt eine Sicherungsverwahrung angeordnet. Das bedeutet: Der tief in Fremdenhass und NS-Ideologie verwurzelte Ernst wird das Gefängnis nicht schon nach 15 Jahren verlassen. Sein Verteidiger Mustafa Kaplan versuchte zwar erneut, die von Ernst gestandene Tat als Totschlag und nicht als Mord einzustufen, aber da dürften die Aussichten gering sein.

Interessanter dürfte die Frage sein, wie der BGH mit dem Freispruch des Mitangeklagten Markus H. umgeht, Ernsts Bruder im Geiste. Er war es, der den Auftritt Lübckes in einer Bürgerversammlung 2015 gefilmt und Ausschnitte davon ins Netz gestellt hatte. Jenen Auftritt, an dem sich Ernsts unbändiger Hass entzündet hatte, einfach nur deshalb, weil Lübcke dort für einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten plädiert hatte. Ernst hatte seine Aussage mehrfach geändert, mal soll H. am Tatort gewesen sein, mal soll er gar selbst geschossen haben.

Ein Urteil wird am 25. August verkündet

Die Bundesanwaltschaft wie auch die Anwälte der als Nebenkläger auftretenden Angehörigen sehen im Urteil des OLG zumindest einen Ansatzpunkt für eine "psychische Beihilfe" durch Markus H. Also etwa dafür, dass er Ernst in dessen Tötungswillen bestärkt haben könnte. Oder dass er gar durch gemeinsame Schießübungen geholfen hat, die Fähigkeiten von Ernst an der Waffe zu verbessern. Nach den Worten von Bundesanwalt Johann Schmid hat das OLG hier "überspannte und rechtsfehlerhafte Anforderungen an die Überzeugungsbildung" gestellt. Sprich: Das Gericht hat die Hürde für eine Beihilfe aus seiner Sicht zu hoch gehängt.

Schmid stützte sich dabei auf Ernsts erste Aussage bei der Polizei am 25. Juni 2019. Dort hat er wenig zu Markus H. gesagt, was man womöglich als Helferrolle hätte interpretieren können, aber das OLG fasste diesen Teil der Aussage mit spitzen Fingern an und wollte ihn ohne zusätzliche Indizien nicht für den Beweis einer Beihilfe zum Mord ausreichen lassen. Schmid hält diesen strengen Maßstab für überzogen, zumal das Gericht diese Aussage ansonsten für glaubhaft hielt.

Reicht das für einen neuen Prozess? Genügt es, um die Lücken zu schließen, die Irmgard Braun-Lübcke moniert hat? Richtig ist zwar, dass die rechtlichen Anforderungen für eine "psychische Beihilfe" nicht sonderlich hoch sind. Aber den eher skeptisch klingenden Worten des Senatsvorsitzenden Schäfer war nicht zu entnehmen, ob der BGH hier einen so gravierenden Rechtsfehler sieht, dass er diesen Teil des Prozesses neu aufrollt.

Aber auch für Stephan Ernst könnte eine weitere Runde vor Gericht bevorstehen. Er war freigesprochen worden vom Vorwurf, im Januar 2016 einen jungen Iraker nahe einer Flüchtlingsunterkunft niedergestochen und schwer verletzt zu haben. Eine DNA-Spur an einem Messer des Angeklagten könnte von dem Opfer stammen - aber dem OLG reichte dies nicht als Beweis. Sollte Ernst dafür doch noch verurteilt werden, würde dies an der lebenslangen Haftstrafe nichts ändern. Aber an der Wahrheit über einen rechtsradikalen Gewalttäter schon. Ein Urteil wird am 25. August verkündet.

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