Rechtsprechung:Duell der Grundrechte

Rechtsprechung: Das Wärmebild zeigt: Eine Dämmschicht wäre sinnvoll. Was aber, wenn das Haus direkt an der Grundstücksgrenze steht?

Das Wärmebild zeigt: Eine Dämmschicht wäre sinnvoll. Was aber, wenn das Haus direkt an der Grundstücksgrenze steht?

(Foto: Marius Schwarz/imago)

Was ist wichtiger, Klimaschutz oder Eigentum? Der Bundesgerichtshof muss klären, ob die neue Dämmschicht über den Zaun des Nachbarn ragen darf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man weiß längst, dass die Energiewende nicht ohne Konflikte zu haben sein wird. Der Bau von Windrädern ist da symptomatisch. Wer in Rufweite wohnt, den belastet das Wummern der Rotoren, wer weiter weg ist, mag landschaftsästhetische Einwände haben. Und manchmal rückt der Klimaschutz so nah ans heimische Domizil heran, dass eine Grenze überschritten ist - und zwar die Grenze des eigenen Grundstücks. Dann ist entweder Toleranz gefragt oder, häufiger, ein verbindliches Regelwerk.

An diesem Freitag verhandelt der Bundesgerichtshof über das Thema Wärmedämmung. Ein Berliner kommunales Wohnbauunternehmen will den Giebel eines Altbaus mit einer 16 Zentimeter starken mineralischen Dämmung versehen. Nur steht das 1906 errichtete Gebäude exakt auf der Grundstücksgrenze, damals hat man noch nicht an Fassadendämmung gedacht. Also streitet das Unternehmen mit dem Nachbarn darüber, ob die Dämmschicht in dessen Grundstück hineinragen darf - und zwar genau 16 Zentimeter.

Der Gebäudesektor ist das Sorgenkind des Klimaschutzes, weil die flächendeckende Sanierung der so beliebten Altbauten mehr Zeit braucht, als der Klimawandel übrig lässt. Also haben die Bundesländer Regeln geschaffen, damit die Dämmung vorankommt, auch dann, wenn die Dämmschicht auf das Grundstück des Nachbarn ragt.

Das Land Berlin ging hier besonders forsch vor. Dort heißt es im Nachbargesetz, der Nachbar habe die "Überbauung seines Grundstücks" durch die Dämmung eines Altbaus zu dulden, Punkt. Andere Länder haben weichere Formulierungen gewählt, zum Beispiel dass Dämmschichten nur dann erlaubt sind, falls sie den Nachbarn "nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen". Das ist Knetmasse in den Händen der Gerichte, um vorsichtig abwägend beide Seiten in den Blick zu nehmen. Das mag sich am Ende gerechter anfühlen, aber weil zweideutige Regeln eben oft erst vor Gericht die nötige Klarheit gewinnen, kosten sie Zeit. Berlin entschied daher: Klimaschutz geht vor Eigentum.

Der Eigentumsschutz ist alt - aber in Verruf geraten

Damit aber bietet der Rechtsstreit ein ungemein spannendes Duell der Grundrechte, das in Sachen Klimaschutz noch häufiger eine Rolle spielen wird. Die Eigentumsgarantie ist ein traditionsreiches Recht, die Römer kannten es, die französischen Revolutionäre ebenfalls, die amerikanische Bill of Rights sowieso. Wer Eigentümer ist, kann über sein Hab und Gut verfügen und Eindringlinge abwehren, selbst wenn sie edle Absichten haben.

Der Klimaschutz hingegen ist ein Neuling im Grundgesetz. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist dort zwar schon seit 1994 vermerkt, aber eigentlich hat niemand das so richtig ernst genommen, jedenfalls bis zum vergangenen Jahr. Am 29. April 2021 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seinen Klimaschutzbeschluss, und mit einem Mal sind die Gewichte neu verteilt. Der Eigentumsschutz - als oberstes Kapitalistenrecht ohnehin in Verruf geraten - hat an Glanz verloren. Vom Klimaschutz hingegen hängt die Zukunft der Erde ab. So steckt im Berliner Nachbarstreit eine große Frage im Kleinen. Was kann man Eigentümern im Dienste der Energiewende zumuten? Sind 16 Zentimeter für den Klimaschutz zu viel?

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