Süddeutsche Zeitung

Bundesgerichtshof:Parteien machen Richterwahl unter sich aus

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Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Am Donnerstag werden 18 neue Richterinnen und Richter an den Bundesgerichtshof (BGH) gewählt. Ein Richterwahlausschuss, bestehend aus 16 Bundesratsabgeordneten und den 16 Landesjustizministern, legt fest, wer in den oberen Rängen der Gerichtshierarchie Platz nehmen wird - und wahrscheinlich wird diese Abstimmung einstimmig ausfallen. Denn die Richterwahl ist nur das demokratische Ritual am Ende einer äußerst diskreten Prozedur: Wenn die 32 Richtermacher abstimmen, ist die Wahl eigentlich längst gelaufen.

Die Richtersuche - nicht gemeint ist in diesem Zusammenhang die Verfassungsrichterwahl, für die ein anderes Verfahren gilt - beginnt ein halbes Jahr vor dem Wahltermin mit dem Aufruf der Bundesjustizministerin, Vorschläge einzureichen. Ein Aufruf, der sich an die Mitglieder des Wahlausschusses richtet. Oberlandesgerichtspräsidenten liefern geeignete Kandidaten aus ihrem Sprengel zu, Bundesgerichtspräsidentinnen weisen ihrerseits auf hoffnungsvollen Nachwuchs hin, oder jemand aus der Partei kennt einen, der einen kennt. Auch so mancher Verfassungsrichter greift gern mal zum Telefon, oder ein Ministerpräsident, der einen verdienten Büroleiter empfiehlt.

Politiker suchen aus, wer künftig die Richtlinien der Rechtsprechung bestimmt. Die Überlegung dahinter: Die Richterfindung durch ein politisch plural zusammengesetztes Gremium ist demokratischer, als wenn ein stiller Beamter im Bundesjustizministerium zum alleinigen Torwächter der Bundesjustiz gemacht würde. Die Landesminister haben den Überblick, wer aus der Landesjustiz das Zeug zum Bundesrichter hat, und die Abgeordneten von links bis rechts sorgen für eine gewisse Pluralität.

Union und Sozialdemokraten können Stellen weitgehend unter sich aufteilen

Doch das Verfahren weist ein paar Defizite auf. Denn im Richterwahlausschuss herrschen noch echte großkoalitionäre Verhältnisse, trotz der Schwindsucht der SPD: Union und Sozialdemokraten können die Stellen weitgehend unter sich aufteilen, FDP und Grüne sind schon froh, wenn sie mal eine einzelne Richterin oder einen Richter durchbekommen. Wer etwa die Karlsruher Szene länger beobachtet hat, der kann einige Richter am Bundesgerichtshof nennen, die auf Empfehlung der CDU Karriere gemacht haben. Bei der SPD ist das nicht anders. "Wir achten natürlich schon darauf, dass unsere Kandidaten der SPD nahe stehen", räumt Eva Högl ein, die für die SPD im Bundestag sitzt und als wichtige Richtermacherin gilt. Doch so entscheidend die Partei ist - offiziell gibt es über Mitgliedschaften der Bundesrichter nicht einmal eine Statistik. Es habe da keinen Überblick, teilt das Bundesjustizministerium mit, das übrigens selbst ebenfalls Vorschläge machen darf.

Ganz überwiegend sind die Kandidaten fähige Leute, Parteiticket hin oder her. Denn wer Erfahrung mit der Richterwahl hat, der weiß, dass es keinen Sinn hat, Parteisoldaten ohne fachliches Rüstzeug nach Karlsruhe, Leipzig oder München zu schicken; schlechte Juristen würden im Senat schlicht und einfach untergehen. "Wir brauchen exzellente Leute, die viel Erfahrung als Richterin oder Richter mitbringen", sagt Högl. Ihr Widerpart bei der CDU ist Ansgar Heveling. Die beiden sind die Schlüsselfiguren in den Vorgesprächen, und da gehe es zu wie auf dem Basar, sagt einer, der regelmäßig teilnimmt. Denn letztlich muss alles ausgehandelt werden: die Verteilung zwischen den Parteien, der Frauenanteil, oder auch die Länder-Arithmetik, bei der Baden-Württemberg mit dem BGH im eigenen Land meist besser wegkommt. Quoten mischen sich also mit Qualitätsanforderungen, und irgendwann wird die Liste kürzer und konkreter.

Parteidominanz heißt also nicht, dass das Parteibuch allein entscheidend wäre. Problematisch ist vielmehr die Verengung des Blicks: Weil Union und SPD das Tableau in "eure" und "unsere" Richter unterteilen, bleiben Juristen außen vor, die zwar ebenso fähig sind, aber sich keiner Partei anbiedern wollen. Im großen Pool der tauglichen Juristen haben jene die besten Chancen, welche die Nähe zu einer der beiden großen Parteien suchen. "Das ist eine der Lebenslügen der Justiz: dass sie so tut, als sei alles so politikfern", sagt Carsten Löbbert, Präsident des Amtsgerichts Lübeck und Vorstandsmitglied der Neuen Richtervereinigung. Aus seiner Sicht müssten die Stellen öffentlich ausgeschrieben werden.

Beste Chancen hat, wer die Nähe zur Union oder zur SPD sucht

Till Steffen (Grüne), Justizsenator in Hamburg, hat bereits einen Schritt in diese Richtung unternommen. In Hamburg müssen Richter nicht demütig auf einen Anruf warten, sondern können selbst ihr Interesse signalisieren; gleiches gilt etwa für Schleswig-Holstein. Steffen plädiert dafür, das Qualitätselement bei der Auswahl zu stärken: "Wir müssen einheitliche Beurteilungskriterien für alle Länder einführen, damit die Qualifikation der Bewerber künftig eine größere Rolle spielt."

Mehr Offenheit täte dem BGH auch an einer anderen Stelle gut, sagt Stephan Ruppert, erfahrener Wahlmann der FDP: "Ich wünsche mir eine pluralere Zusammensetzung des BGH, mit Richtern auch aus anderen juristischen Berufen." Denn der zweite Flaschenhals, der die Auswahl verengt, heißt Präsidialrat. Das sind jeweils interne Gremien beim BGH und den anderen Bundesgerichten, dort müssen die Kandidaten zum Qualitäts-Check antanzen. Beim BGH-Präsidialrat werden Arbeitsproben geprüft, also selbst geschriebene Urteile, dann folgt eine Interviewtour durchs Haus. Besonders intensiv ist das Gespräch mit dem "Berichterstatter" des Präsidialrats, da kann es passieren, dass die Bewerber - gestandene Juristinnen und Juristen - aus dem Stand einen Jura-Fall lösen müssen. Zum Abschluss folgt das Schaulaufen vor dem versammelten Präsidialrat. Standardfrage: Welche BGH-Urteile der vergangenen zwei Jahre fanden Sie besonders beeindruckend?

Zwei neue Senate sollen eingerichtet werden

Der Präsidialrat ist der Gralshüter des BGH, an ihm kommt kaum jemand vorbei, auch wenn sich seine Rolle seit einer Verfassungsgerichtsentscheidung von 2016 etwas abgeschwächt hat. Als BGH-tauglich gelten dort im Wesentlichen nur Richter, die bereits Erfahrung in einer Rechtsmittelinstanz haben, also im Oberlandesgericht oder mindestens im Landgericht. Und ein ganz entscheidendes Plus hat, wer als wissenschaftlicher Mitarbeiter etwa an den BGH oder ans Verfassungsgericht "abgeordnet" war; zwei, drei Jahre "Hiwi"-Lehrzeit helfen enorm.

Man sagt dem BGH deshalb einen gewissen Hang zur Monokultur nach, bestehend aus Richtern, die fast ausschließlich in der Justiz sozialisiert sind. Ruppert findet es bedauerlich, dass beispielsweise Rechtsanwälte oder Wissenschaftler in Karlsruhe nur Außenseiterchancen haben. Tatsächlich sind Leute wie Wolfgang Kirchhoff, der von einer international tätigen Anwaltskanzlei zum BGH wechselte, eher Exoten in Karlsruhe. Gleiches gilt für Henning Radtke, der sogar einen Lehrstuhl für Strafrecht gegen einen Job als Strafrichter beim BGH eintauschte (und inzwischen zum Verfassungsgericht weitergezogen ist).

Nun werden also 18 neue BGH-Richterinnen und -Richter gewählt. So viel Zuwachs gab es lange nicht; zwei neue Senate sollen eingerichtet werden - einer davon in Leipzig -, deshalb herrscht Personalbedarf. Drei weitere Stellen sind für das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vorgesehen, eine für den Bundesfinanzhof in München; Bundesarbeits- und Bundessozialgericht gehen diesmal leer aus. An diesem Montag geht die Wahl auf die Zielgerade. Die sogenannte A-Seite (SPD, Grüne, Linke) stellt ihr Tableau zusammen, die B-Seite (Union und FDP) ist ihrerseits am Werk, dann folgt eine letzte Koordination zwischen "A" und "B". Und am Donnerstag wird abgestimmt, absprachegemäß.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2019
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