Bundesfreiwilligendienst: Schön saufen in der Pampa

  • Regierung hält trotz Kritik des Bundesrechnungshofes an teuren Bildungszentren für Bundesfreiwilligendienstleistende fest.
  • Freie Träger könnten die Aufgaben übernehmen, die Regierung spricht ihnen jedoch indirekt die Kompetenz ab.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist 16 Uhr. Der Seminartag ist vorbei. Ab jetzt: Freizeit. Aber wer will sich da so richtig freuen, wenn er als Bundesfreiwilliger in einer der 17 Bildungszentren des Bundes hockt. Irgendwo in Geretsried, in Schleife oder in Ith. Manche der Bildungszentren haben einen hauptamtlichen Freizeitbetreuer. Viele allerdings nicht. Die Bufdis, wie die Bundesfreiwilligen genannt werden, sind auf sich allein gestellt. Manche von ihnen noch keine 18 Jahre alt. Von regelmäßigen Saufgelagen wird berichtet, wenn nur noch der Wachdienst des Bildungszentrums im Einsatz ist.

Bis vor wenigen Jahren sind in den Bildungszentren des Bundes die Zivildienstleistenden geschult worden. Sie waren dem Bundesamt für Zivildienst unterstellt. Dann schaffte Schwarz-Gelb die Wehrpflicht und damit den Zivildienst ab. Die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder kreierte den Bundesfreiwilligendienst. Ein Erfolg. Die 35.000 Plätze bundesweit sind regelmäßig ausgebucht.

Überflüssiges Millionen-Grab

Inzwischen hat das Bundesamt für den Zivildienst einen neuen Namen bekommen: Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Kernaufgabe ist die Organisation und Kontrolle des Bundesfreiwilligendienstes. Und dazu gehört nach seinem Selbstverständnis auch die politische Bildung der Bufdis. Die findet verpflichtend in den ehemaligen Zivildienstschulen statt, heute Bildungszentren genannt.

Kritiker sehen in diesen Zentren allerdings vor allem eines: ein pädagogisch überflüssiges Millionen-Grab.

Der Bunderechnungshof kommt in einer Stellungnahme vom 12. September dieses Jahres zu einem eindeutigen Schluss. Die Zentren seien weder heute noch in Zukunft "wirtschaftlich zu betreiben", schreiben die Bundesrechnungsprüfer. Und empfehlen daher, "die Bildungszentren mittelfristig aufzugeben". Die Stellungnahme liegt Süddeutsche.de vor.

Diese Empfehlung gibt der Bundesrechnungshof nicht zum ersten Mal ab: Er habe bereits "mehrfach in seinen Berichten vorgetragen, dass er den weiteren Betrieb internatsähnlicher Einrichtungen für nicht notwendig und für unwirtschaftlich hält. Er hat darauf hingewiesen, dass die Bildungsleistungen marktgängig sind und im Wettbewerb vergeben werden sollten."

Sonderbare Rettung

Bisher denkt der Bund aber gar nicht daran, den Empfehlungen zu folgen. Am gleichen Tag, an dem der Rechnungshof seine jüngste Stellungnahme adressierte, schreibt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), einen Brief an den Haushaltsauschuss des Bundestages, in dem er den "erbetenen Bericht" des Bundesfamilienministeriums zum "Konzept zur Zukunft der Bildungszentren beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben" weiterleitet. Das Schreiben liegt Süddeutsche.de vor.

In dem Konzept werden alle Bedenken über Bord geworfen. Die Bildungszentren sollen weitgehend "erhalten bleiben". Die Kosten sollen zwar um 25 Prozent gesenkt werden. Wie genau, lässt sich nicht erkennen. Immerhin: ein Standort sollte geschlossen werden; das Bildungszentrum Sondershausen im nördlichsten Zipfel von Thüringen.

Doch nicht mal das wird geschehen.

Denn für die sonderbare "Rettung" des Standorts Sondershausen rühmt sich jetzt der SPD-Abgeordnete Steffen-Claudio Lemme. Er habe "dafür gesorgt, die eigentlich schon beschlossene Aufgabe des Standorts abzuwenden", schrieb er am 17. Oktober auf seiner Homepage.

Auch freie Träger können Aufgaben übernehmen

Insgesamt geht es nicht um viel Geld. Etwa 32 Millionen Euro kosten den Steuerzahler die Bildungszentren des Bundes. Aber sie haben sich offensichtlich überlebt. Fünf Tage im Jahr werden die Bufdis in der Pampa kaserniert, damit der Staat etwas politische Bildung in ihre Köpfe bringen kann. Den freien Trägern ist das schon lange ein Dorn im Auge. Sie betreuen die Bufdis ohnehin durch ihre ganze Freiwilligenzeit hindurch. Auch auf Seminaren. Vier Wochen im Jahr. Und dort ist nicht um 16 Uhr Schluss mit der Betreuung. Bis in den Abend hinein gibt es Angebote. Damit das Saufgelage nicht die einzige Alternative ist.

Billiger ist das Ganze auch noch: "Wir können als freie Träger die Seminare deutlich günstiger anbieten. Auch weil wir keine festen Häuser unterhalten müssen", sagt Martin Schulze, Geschäftsführer der evangelischen Freiwilligendienste.

Hoher bürokratischer Aufwand

Laut dem Konzeptpapier des Bundesfamilienministeriums sollen die Kosten für eine Seminarwoche pro Person "durch ein Bündel von Anpassungsmaßnahmen ab 2016 auf 447 bis 534 EUR verringert" werden. Den Trägern wiederum werden pro Seminarwoche und Teilnehmer 400 Euro vom Bundesamt berechnet. Die Lücke wird vom Bund geschlossen. Schulze: "Für das Geld könnten wir die Seminare problemlos selbst anbieten."

Hinzu kommt der bürokratische Aufwand. Beispiel Fahrkosten: Gehen die 40 Bufdis eines Trägers zusammen in das selbstorgansierte Seminar, wird eine Gruppenfahrkarte gekauft und mit dem Bundesamt abgerechnet. Fertig. In die Bildungszentren aber fahren keine Gruppen. Die Anreise ist individuell. Das Geld für jede einzelne Fahrkarte muss ausgelegt, mit dem Bufdi und nachher mit dem Bundesamt einzeln abgerechnet werden. Stunden gehen drauf, nur um eine einwandfreie Reisekostenabrechnung zu erstellen.

Hoher Verwaltungsaufwand

Wird ein Bufdi krank und kann nicht kommen, muss der freie Träger die Krankmeldung an das Bundesamt schicken, ein Ersatzseminar in einem Bildungszentrum ausmachen. Sollten die Bufdis aus anderen Gründen nicht teilnehmen können, muss der Träger die Ausfallkosten für das Zwangsseminar übernehmen.

Juliane Meinhold, im Paritätischen Wohlfahrtsverband für den Bundesfreiwilligendienst zuständig, sagt dazu: "Es ist sehr deutlich geworden, dass uns durch die Institution Bundesamt ein erhöhter Verwaltungsaufwand entstanden ist, den wir im FSJ so nicht haben." FSJ, das ist das Freiwillige Soziale Jahr. Diesen Freiwilligendienst gibt es schon mehr als 50 Jahren. Er wird komplett von den Trägern organisiert. Ganz ohne Bildungszentren des Bundes.

Die Zentren fortzuführen, war politische Entscheidung

Der Bundesregierung fällt es erkennbar schwer, den Fortbestand der Bildungszentren halbwegs stichhaltig zu begründen. Martin Schulze, Geschäftsführer der evangelischen Freiwilligendienste, hat vor einiger Zeit den Antrag gestellt, dass seine Organisation doch die politische Bildungsarbeit übernehmen könne.

Der Antrag wurde natürlich abgelehnt, das war abzusehen. Die Antwort aber, die Schulze am 23. September diesen Jahres von Elke Ferner, SPD-Staatssekretärin im Familienministerium, bekommen hat, liest sich, als habe da jemand im Ministerium laut aufgelacht, als der Antrag von Schulze ins Haus flatterte.

Eignung für politische Bildungsarbeit abgesprochen

Ferner spricht den freien Trägern im Grunde jede Eignung für politische Bildungsarbeit ab. Es sei "der Staat", der dafür Sorge zu tragen habe, "dass die politische Bildung mit dem Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität untrennbar verbunden bleibt". Eine Vergabe dieser politischen Bildungsarbeit an freie Träger würde "ex origine", also naturgemäß bedeuten, dass "schwerpunktmäßig eine jeweils trägerorientierte Auffassung besonders zur Geltung kommt".

Eine "Betrauung staatlicher Bildungszentrum" mit der diffizilen Aufgabe der politischen Bildungsarbeit bedeute dagegen, dass "aufgrund des staatlichen Neutralitätsgebotes eine größere Bandbreite pluraler Auffassungen betont wertneutral dargelegt und dezidiert offen zur Diskussion gestellt werden kann". Der Brief liegt Süddeutsche.de vor.

Mit der Argumentation müssten sämtliche konfessionellen Schulen im Land umgehend ihren Politik-Unterricht an die Bildungszentren verlagern. "Wir bieten im Rahmen des FSJ seit 50 Jahren politische Bildung an. Das ist bisher unzweifelhaft akzeptiert worden", sagt Meinhold vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Der Bundesrechnungshof hält Ferners Argumente ebenfalls nicht für hinreichend: "Bildungsleistungen sind marktgängige Leistungen. Weder fachliche noch organisatorische Gründe stehen einer Verlagerung der Leistungen zur pädagogischen Betreuung der Freiwilligen auf den Bildungsmarkt entgegen."

Immer wieder verweist die Bundesregierung dagegen auf eine Prognos-Studie aus dem Jahr 2013, in der die Bildungszentren auf Herz und Nieren geprüft worden seien. Das Ergebnis: alles toll! Alles wunderbar. Die Seminarqualität sehr gut. Die Teilnehmer hochzufrieden. Die Kosten, naja, mit ein paar Anpassungen klappt das schon.

Allerdings wird die Seminarqualität von keinem der Kritiker beanstandet. Auch die freien Träger bieten anerkannt gute Bildungsangebote. Was die Bundesregierung allerdings so deutlich ungern sagt: Die Prognos-Studie, die Süddeutsche.de vorliegt, kommt auch zu dem Ergebnis, dass auf dem freien Markt eingekaufte Bildungsleistungen deutlich günstiger sind.

"Bewusste Entpädagogisierung"

Zusammengefasst spricht derzeit nichts dafür, die Bildungszentren beizubehalten: Sie sind zu teuer, der pädagogische Mehrwert ist zweifelhaft. Was ist also der wahre Grund dafür, die Zentren unangetastet zu lassen?

Gegenüber der grünen Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz lüftet das von SPD-Ministerin Manuela Schwesig geführte Familienministerium kurz den Schleier. Eine ihrer schriftlichen Fragen an das Schwesig-Haus lautete: "Wurde geprüft, mehr als ein Bildungszentrum zu schließen? Wenn ja, wie stellen sich die Kostenfolgen dar?"

Die kurze Antwort: "Es war eine politische Entscheidung, die Bildungszentren weiterzuführen."

Womöglich befürchtet Schwesig einen Bedeutungsverlust. Ihrem Ministerium untersteht nur dieses eine Bundesamt. Fällt die Bildungsarbeit weg, könnten die verbleibenden Aufgaben auch in Unterabteilungen ihres Hauses erledigt werden.

In der nächsten Sitzung des Haushaltsausschusses Mitte November werden die Entscheidungen wohl festgezurrt. Die sogenannten KW-Vermerke hinter dem Stellenplan für die Bildungszentren werden dann wohl gestrichen. KW bedeutet: künftig wegfallend. Ist der Vermerk weg, können frei werdende Stellen neu besetzt werden. Die Grüne Ekin Deligöz: "Die Koalition macht Nägel mit Köpfen an einer Stelle, an der es noch ausgiebigen Gesprächsbedarf gegeben hätte. Das ist ein grobes Foul gegenüber den freien Bildungsträgern zugunsten einer fragwürdigen Standortpolitik."

Die Sache mit den allabendlichen Saufgelagen ist übrigens kein Problem für das Familienministerium. Ein Sprecher lässt mitteilen, die Freiwilligen könnten an den staatlichen Bildungszentren "selbstbestimmt und selbstorganisiert" über ihre Freizeit verfügen. Dies sei eine "bewusste Entpädagogisierung" der Freizeit und eröffne "informelle Lernräume". Die Teilnehmer könnten etwa "an eigenen Lernprojekten weiterarbeiten oder aber in kleinen Gruppen oder allein ganz andere Dinge tun". Na dann, Prost.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: