Bundesfinanzminister im Gespräch:Schäuble lässt tief blicken

BERLIN: SZ Wirtschaftsgipfel - Tag 03

Deutsch-französischer Dialog: Wolfgang Schäuble mit Botschafter Philippe Etienne bei der SZ.

(Foto: Johannes Simon)

Er wollte eigentlich nur eine Rede halten - und sich nicht "auf die Couch" legen lassen. Doch dann erzählt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble plötzlich über menschliche Enttäuschungen in der Politik, zerbrochene Freundschaften - und über den Mann, der ihn töten wollte.

Von Ulrich Schäfer

Ach nein, eigentlich will er nicht darüber reden. Wolfgang Schäuble möchte sich nicht "auf die Couch" legen lassen, wie er das später nennt. Nicht an diesem Abend, nicht in diesem Kreis. Geht ja keinen was an, was in seinen fünf Jahrzehnten in der Politik seine größte Enttäuschung gewesen sei: "Das muss man wegschieben", sagt er. Und als Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, nachsetzt: "Da würde jetzt jeder Amateur-Therapeut sagen, man solle solche Sachen nicht wegschieben, weil man sonst darunter leide", sträubt er sich noch einmal: "Na ja, zum Glück machen die beruflich ausgebildeten Therapeuten das ja nicht in öffentlichen Sitzungen."

Doch dann, man weiß nicht genau warum, öffnet er sich doch. Redet über den Attentäter, der ihn im Oktober 1990 niedergeschossen hat. Über das Amt des Bundespräsidenten, das er nicht bekommen hat. Und ja, auch über menschliche Enttäuschungen spricht der Mann, der einmal sehr eng mit Helmut Kohl war.

Menschen, die Schäuble nahe sind, sagen, dass er, jedenfalls öffentlich, nur ganz selten solch einen tiefen Einblick in sein Innerstes gewährt. Und so war es ein ganz besonderer Moment, den die 300 Gäste im Museum für Kommunikation erlebten, im ehemaligen Berliner Hauptpostamt. Ein Moment, der bewegte.

Ehe der Abend diese überraschende Wendung nahm, hatte Schäuble bei der "Nacht der Europäischen Wirtschaft", dem festlichen Höhepunkt des SZ-Wirtschaftsgipfels, über die großen Linien der Politik referiert. Über Europa. Über Krieg und Frieden. Und über den Westen, dessen Wesen der auch von Schäuble so sehr geschätzte Historiker Heinrich August Winkler einst eindrucksvoll beschrieben hat. Wie kommt man in diesem Verbund der 28 Staaten voran, das beschäftigt den Veteranen der europäischen Integration.

Bei anderen Anlässen pflegt er die vorbereiteten Texte seiner Redenschreiber oft nur als Stichwortsammlung zu verwenden, wenn überhaupt. Er spricht gern frei. Nun aber dieses Manuskript, Schäuble selbst hatte seit Tagen intensiv daran gearbeitet, gefeilt. Er war also gut vorbereitet.

Doch dann kamen die Fragen im Anschluss - erst die unverfänglichen. Zum Beispiel, worauf er, der länger als jeder Abgeordnete zuvor dem Bundestag angehöre, seit 1972, denn besonders stolz sei?

Schäuble: "Stolz ist ja ein Begriff, der mir nicht so liegt. Ich bin Alemanne, wir haben es nicht so mit dem Stolz. Wir sind zufrieden und selbstbewusst und spotten über die anderen."

Wann war er also am meisten zufrieden?

Schäuble: "Ich habe als Kind noch eine Erinnerung an den 17. Juni. Ich weiß noch, dass meine Eltern im Korea-Krieg Angst hatten, es gibt wieder Krieg. Und dann können Sie daran mitwirken, dass die Mauer fällt und hinterher die Wiedervereinigung kommt: So viel Glück, so viel Faszination in politischer Tätigkeit hat man sich vorher gar nicht denken können."

Was Schäuble über den Mann sagt, der ihn töten wollte

Die Einheit also. Dann geht es um jene Dinge, die Schäuble nicht erreicht hat. All die Ämter, für die er gehandelt wurde. Helmut Kohl hatte ihn als seinen Nachfolger auserkoren - er wurde es nicht, weil der Kanzler der Einheit 1998 noch einmal antrat und dann die Spendenaffäre aufkam. Und wie war das damals, als ihm das Amt des Bundespräsidenten angetragen wurde?

Schäuble: "Als Richard von Weizsäcker zu mir kam, relativ früh, und gesagt hat, Sie müssen das werden, da habe ich zu ihm gesagt: Bei allem Respekt, ich bin kein von Weizsäcker, das passt nicht zu mir!"

Eigentlich sei es ein Fehler gewesen, sich mit Weizsäcker überhaupt auf eine Diskussion einzulassen, sagt er. Denn natürlich "schmeichelt es Deiner Eitelkeit", wenn der ehemalige Bundespräsident einen würdigen Nachfolger sucht. Aber je länger er Weizsäcker erklärt habe, warum dieses Amt nicht das Richtige sei, um so mehr habe er aufpassen müssen, dass er "jetzt nicht irgendeinen Mangel an Respekt vor dem Amt oder dem großen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zeigt". Ist er aber enttäuscht, gar traurig darüber, dass er es dann doch nicht wurde?

Schäuble: "Es gibt ja die Theorie, dass ich anhaltend verbittert geworden sei. Ich kann gelegentlich lesen, was ich alles nicht geworden bin, so bin ich nicht mal Papst geworden. Aber eine Befindlichkeit bemisst sich überhaupt nicht danach, welche Ämter ich alle nicht bekommen habe, vielmehr darin, dass mich Gestaltung immer interessiert hat. Ich war immer einer, der unheimlich gerne Lösungen gesucht, gefunden und auch gerne durchgesetzt hat."

Und dann kommt, der Frager schickt es vorweg, noch eine letzte, sehr ernste Frage: Sie haben für das, was Sie getan haben, einen sehr hohen Preis gezahlt. War es das wert? Schäuble fragt nach: Welchen Preis? Antwort: Schwere Enttäuschungen von Menschen, die einem politisch sehr nahe gestanden sind, Misserfolge, das Attentat, das ihn in den Rollstuhl gebracht hat. Schäuble zögert einen Augenblick. Was soll er sagen? Einfach ein, zwei Allgemeinplätze? Er setzt zu einer Antwort an, bricht sie wieder ab, macht wieder eine Pause. Dann redet er über den Mann, der ihn töten wollte:

Schäuble: "Ich hatte vorher mal mitgeholfen, ihn von einem spanischen in ein deutsches Gefängnis zu bringen, da war er wegen Drogenabhängigkeit. Aber das ist eine andere Geschichte. Der hat auf mich geschossen. Es kann Ihnen aber auch auf der Autobahn passieren, dass einer einen Herzinfarkt hat, der neben Ihnen fährt, und Sie dann schwer verletzt - das gehört zum Leben, das ist Schicksal. Er hat hinterher gesagt, er hätte entweder den Bundeskanzler oder mich, den Innenminister, treffen wollen, einer musste ja den Preis bezahlen für sein Leiden. Da ich näher gewesen sei, hätte er halt mich genommen. Habe ich halt Pech gehabt. Aber das ist nicht der Preis für politisches Engagement."

Still ist es im Saal, sehr still. Nun könnte er aufhören, müsste nicht mehr weiterreden. Aber dann kommt Schäuble doch noch auf die politischen Freundschaften zu sprechen, die zerbrochen sind. Er habe, sagt Schäuble, immer ein Leben neben der Politik gehabt, richtige Freunde, seine Familie. Er habe sich "nie auffressen lassen" von der Macht. Doch es habe eben auch "menschliche Enttäuschungen" gegeben: "Da gibt es bittere Stunden, das gehört zum Leben dazu. Und was ist Leben? Leben ist doch etwas, wenn es faszinierend ist."

Schäuble: "Ich habe ein Leben gehabt, das hätte ich mir wahrscheinlich als Kind oder junger Mensch so nicht vorstellen können. Deshalb ist mein Gefühl eher eines der Dankbarkeit."

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