Bundesbildungsbericht:Lernen hinter dem Mond

Ausgerechnet jene Eltern, die der Idee vom Einwanderungsland Deutschland aufgeschlossen gegenüberstehen, schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Später studieren die dann womöglich interkulturelle Kommunikation.

Von Ulrike Nimz

Mit dem Bildungsbericht ist es ein bisschen wie mit dem Mond. Von Weitem sieht er plan aus, von einem versöhnlichen Schimmer umgeben. Nur wer genauer hinschaut, erkennt Krater, Schluchten, seine Unwirtlichkeit.

Die Bildungsbeteiligung in Deutschland steigt. So steht es in dem 366 Seiten starken Report. Bildungsbeteiligung - das heißt zum Beispiel, dass mehr Kinder mit Migrationshintergrund den Kindergarten besuchen. Das ist eine gute Nachricht. Eine schlechte: Ausländische Jugendliche verlassen noch immer mehr als doppelt so häufig die Schule ohne Hauptschulabschluss und erreichen dreimal seltener die Hochschulreife als ihre deutschen Mitschüler. Das liegt auch daran, dass sie in der Regel Schulen besuchen, wo sie mit anderen Kindern nichtdeutscher Herkunft lesen, schreiben, rechnen lernen. Das wiederum liegt daran, dass sie in unterschiedlichen Stadtvierteln leben - und daran, dass viele bildungsbewusste Eltern darauf achten, dass ihr Kind nicht auf eine Schule kommt, deren Migrantenanteil als zu hoch empfunden wird. Man nennt das Segregation. Und was irgendwie nach Apartheid klingt, nach etwas, das längst überholt sein sollte, ist Alltag in deutschen Großstädten. Allen voran in Bremen und Berlin, wo der Anteil der Minderjährigen in sozialen Risikolagen am größten ist. Dort lässt sich die seltsame Dialektik beobachten, dass ausgerechnet jene Eltern, die der Idee vom Einwanderungsland Deutschland aufgeschlossen gegenüberstehen, ihre Kinder lieber auf Privatschulen schicken, damit sie frei von hemmenden Einflüssen ihr Abitur ablegen und später Fächer wie interkulturelle Kommunikation studieren können. Für so ein Lernen hinter dem Mond, also abseits der neuen Wirklichkeit, wird viel investiert, in Schulgebühren oder Nachhilfe. In der Bildungsrepublik Deutschland ist der Lebenslauf ein Wertpapier, und das kann man kaufen. Was man nicht kann, ist Eltern einen Vorwurf machen, die nur das Beste für den Nachwuchs wollen.

Lebenslauf in Deutschland - ein Wertpapier, das man kaufen kann

Damit nun auch Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht aus der Umlaufbahn geraten, haben sich die Bundesländer 2007 verpflichtet, dass sich ungleiche pädagogische Ausgangslagen auch in der Schulfinanzierung niederschlagen müssen. Durch zusätzliches Personal sollen Standortnachteile ausgeglichen werden. In der Praxis werden Fördermittel aber noch immer nicht bedarfsgerecht verteilt. Zwar nutzen einige Kultusbehörden Anhaltspunkte wie die bei den Schülern zu Hause gesprochene Sprache, um Schulen Personal zuzuweisen. Oft wird jedoch ohne Rückgriff auf harte Daten entschieden. So erhalten Schulen mit einem hohen Zuwandereranteil und in sozial schwieriger Lage zum Teil ebenso viele zusätzliche Stellen wie eine Durchschnittsschule oder sogar weniger.

Dass das System trotzdem nicht kollabiert, hängt mit dem Pioniergeist Einzelner und der Erprobung neuer Modelle zusammen. In Berlin etwa kann man sich die Gustav-Falke-Grundschule anschauen. Sie liegt an der Bernauer Straße. Hier gibt es schon lange keine Mauer mehr, aber eine soziale Grenze gibt es schon: auf der einen Seite der Wedding, viele Migranten und Sozialleistungsempfänger. Auf der anderen der Stadtteil Mitte, hohe Stuckdecken, hohe Einkommen und Eltern, die ihr Kind nicht auf eine Schule mit 95 Prozent nichtdeutscher Herkunft schicken wollten. 2010, auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte, hatte die Gustav-Falke-Schule die Hälfte ihrer Schüler verloren. Um der Schließung zu entgehen, setzten sich Eltern und Pädagogen zusammen, entwickelten ein Konzept: Heute gibt es Spezialklassen für Kinder mit guten Deutschkenntnissen, für alle Englisch- und Naturkundeunterricht ab der ersten Klasse - und steigende Anmeldezahlen. So ist das mit dem Mond; er hat eine dunkle und eine helle Seite.

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