Süddeutsche Zeitung

Bundesbank:Sarrazin: Berlin-Schelte ist Liebeserklärung

Thilo Sarrazin rudert zurück: Berlins früherer Finanzsenator sieht seine kritischen Äußerungen zu den Zuständen in der Hauptstadt missverstanden.

Berlins früherer Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat seine umstrittenen Äußerungen zur Hauptstadt und zu Integrationsproblemen von Migranten als "Liebeserklärung" an die Stadt bezeichnet.

"Denn was man liebt, betrachtet man auch besonders sorgsam und mit scharfem Auge", sagte Sarrazin, der inzwischen Vorstandsmitglied der Bundesbank ist, der B.Z.. Er hatte mit der Äußerung Unmut auf sich gezogen, dass große Teile der türkisch- und arabischstämmigen Bevölkerung Berlins "weder integrationswillig noch integrationsfähig" seien.

Man solle seine Äußerungen im Gesamtzusammenhang sehen und nicht nur einzelne Teile betrachten, erklärte er nun. Er beziehe sich auf Fakten: Im Problembezirk Neukölln lebe zum Beispiel gut die Hälfte der Menschen von Hartz IV, im Berliner Durchschnitt seien es hingegen 20 Prozent. "Das alles sind Dinge, die mich als jemand, der Berlin liebt und hier lebt, bekümmern."

Integrationsprobleme seien durch den Erfolg von Einwandererkindern im gesellschaftlichen System Deutschlands zu lösen. "Sie müssen zur Schule gehen, sie müssen Deutsch sprechen können und den normalen Aufstieg durch Bildung nehmen." Jeder Mensch habe Potenziale. "Er muss sie allerdings auch nutzen."

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fordert von Sarrazin derweil eine Entschuldigung. Der heutige Bundesbank-Vorstand schieße häufig über die Ziellinie hinaus, sagte Kolat.

Er nannte die Äußerungen unerhört. "Wir haben Sarrazin schon häufiger als Senator ohne Herz erlebt. Er ist ein Technokrat. Erinnern Sie sich doch daran, wie er Hartz-IV-Empfängern vorgerechnet hat, wie man sich mit vier Euro pro Tag gesund ernähren kann, oder wie er den Tipp gegeben hat, sich einfach mal einen dickeren Pullover überzuziehen, wenn es kälter wird."

Kolat legte der Bundesbank nahe, personelle Konsequenzen zu ziehen. "Sie sollte sich Gedanken darüber machen, warum sie so einen Menschen in ihren Reihen beschäftigt. Jedoch begrüße ich es, dass sie sich zu den Aussagen Sarrazins entschieden distanziert hat. Allerdings könne das, was Sarrazin gesagt habe, so nicht hingenommen werden. "Er muss sich entschuldigen."

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