Bundesanwaltschaft:Im NSU-Prozess sind die Richtigen angeklagt - aber nicht alle

NSU-Prozess

Die Angeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München neben ihrem Anwalt Mathias Grasel.

(Foto: dpa)

Die Bundesanwaltschaft hat mit ihren geforderten Strafen für die Angeklagten hart hingelangt. Doch sie verliert kein Wort über die Versäumnisse der Behörden.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Sitzen die richtigen Leute auf der Anklagebank? Und wenn ja, auch wirklich alle, die Schuld auf sich geladen haben? Das sind die Fragen, über die sich die Bundesanwaltschaft und die Vertreter der Opfer im NSU-Prozess immer wieder in die Haare geraten sind. Nach vier Jahren und vier Monaten ist klar: Es sitzen die Richtigen dort. Doch längst nicht alle. Zumindest einige Helfer des NSU müssten dort noch sitzen.

Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt davon, dass der NSU nur aus Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestand, die sich selbst erschossen haben, sowie aus ihrer Komplizin Beate Zschäpe, die zwar an keinem Tatort war, wohl aber die Gruppe zusammenhielt. Die Ankläger haben in ihrem Plädoyer lebenslange Haft für Zschäpe und auch noch Sicherungsverwahrung gefordert. Mehr geht nicht: Sollte das Gericht diesem Strafantrag folgen, käme Zschäpe wohl nie wieder frei. Auch alle vier anderen Angeklagten sollen für viele Jahre ins Gefängnis.

Die Anklage hat hart hingelangt. Und dennoch hat sie sich ohne Not in eine Ecke gestellt: in die Ecke derer, die den Staat, insbesondere den Verfassungsschutz, möglichst raushalten wollen aus diesem Trauerspiel, in dem die Behörden 13 Jahre lang nicht erkannt haben, dass eine rechtsextreme Mordbande durch Deutschland zog. Dafür sind die Behörden nicht im strafrechtlichen Sinne verantwortlich, aber sie müssen sich Unfähigkeit und Desinteresse bis hin zur Fahrlässigkeit vorwerfen lassen. Die Bundesanwaltschaft hat sich bemüht, den NSU-Komplex in all seinen Facetten zu durchdringen. Dass bei vielen Helfern des NSU die Taten schon verjährt sind, ist nicht ihre Schuld. Ihr Fehler aber ist, kein Wort über die Versäumnisse der Behörden verloren zu haben. Das sieht so aus, als wolle eine Krähe der anderen kein Auge aushacken.

Über Versäumnisse der Behörden zu schweigen, ist ein Fehler

Bundesanwalt Herbert Diemer hat auch am letzten Tag des Plädoyers wieder die Behörden von jeder Verantwortung freigesprochen. Kritik an unfähigen Verfassungsschützern und Polizisten ist für ihn nur ein Ablenkungsmanöver von den wahren Schuldigen. Letztere habe die Bundesanwaltschaft allesamt auf die Anklagebank gebracht. Viele Nebenkläger bezweifeln das. Und auch Diemers Kollege Jochen Weingarten sprach die Zweifel an, ob zum NSU nicht noch mehr Leute gehörten als Zschäpe und ihre zwei Freunde. Zumindest dem Angeklagten André E. warf Weingarten vor, mit großer Wahrscheinlichkeit der vierte Mann im engsten Zirkel des NSU gewesen zu sein. Der grinste nur hämisch.

Das ist ihm nun vergangen. Die Bundesanwaltschaft hat alle juristische Kunst aufgewendet, um deutlich zu machen, wie eng er mit dem NSU-Trio zusammenhing. Und sie setzte ein Zeichen: Für zwölf Jahre will sie ihn ins Gefängnis bringen, wegen Beihilfe zum Mord. Das ist auch ein Wink an seine rechtsextremen Unterstützer, die oft im Gericht sitzen und sich noch immer für unangreifbar halten - Leute, für die zehn Morde nichts zählen beim Kampf um eine rassistische Welt.

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