Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:Schwere Vorwürfe gegen Leitung des Asyl-Bundesamts

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf dem Gelände der ehemaligen Südkaserne Nürnberg 04 01 2

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf dem Gelände der ehemaligen Südkaserne Nürnberg: Biesen kritisiert den Druck und sogar sexuelle Belästigungen im Bamf - die Führung sagt dazu nichts.

(Foto: imago/Future Image)
  • Auf einer Personalversammlung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhebt die Gleichstellungsbeauftragte Tanja Biesen schwere Vorwürfe gegen die Amtsleitung.
  • Biesen spricht von Arbeitsüberlastung und mangelnder Unterstützung für Opfer sexueller Belästigung. Sie klagt über mangelndes Interesse an den Mitarbeitern.
  • Ihre Aussagen sind derzeit nur teilweise zu überprüfen, konkrete Personen nennt sie nicht. Das Bamf äußert sich nicht zu den Vorwüfen.

Von Reiko Pinkert und Bernd Kastner

Ganz zum Schluss ruft Tanja Biesen ihren Kollegen zu: "Passen Sie auf sich auf!" Der Ratschlag beendet eine Rede, wie man sie in einer deutschen Behörde nur sehr selten hört, wenn überhaupt. Biesen ist die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), sie hat Einblick in interne Abläufe und Kontakt zu vielen Mitarbeitern. Auf einer Personalversammlung des Bamf hat Biesen nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung und NDR die Amtsleitung heftig attackiert. Ihre Vorwürfe reichen von Arbeitsüberlastung bis hin zu mangelnder Unterstützung für Opfer sexueller Belästigung.

Der Gehalt ihrer Vorwürfe ist derzeit nur teilweise zu überprüfen. Die Spitze des Amtes, darunter Präsidentin Jutta Cordt, war anwesend bei der Versammlung am 13. Dezember, zu den Vorwürfen sagte dabei aber niemand etwas aus der Führung, wie aus Kreisen der Mitarbeiter zu hören ist. Auch auf Nachfrage äußerte sich das Bamf nicht: Es handle sich um interne Vorgänge. Die Versammlung fand in der Meistersingerhalle in Nürnberg statt, es sollen weit mehr als 1000 Beschäftigte gekommen sein. Eingeladen waren die Mitarbeiter der Zentrale in Nürnberg sowie von etwa 50 Außenstellen, die noch keine eigene Vertretung haben und deren Mitarbeiter vom Örtlichen Personalrat Nürnberg vertreten werden. Es handelte sich um die größte Personalversammlung im Bamf.

Tanja Biesen hielt laut Skript, das SZ und NDR vorliegt, eine scharfe Rede. Ihr Ton ist bisweilen ironisch und polemisch, konkrete Personen, die sie für die von ihr benannten Missstände verantwortlich macht, nennt sie aber nicht. Biesen klagt über das mangelnde Interesse der Amtsleitung an den Mitarbeitern, insbesondere am Thema der Gleichstellung von Männern und Frauen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dies bekomme auch sie, die sich um diese Themen kümmert, zu spüren: "Wenn Sie schon einmal in einem völlig überfüllten Restaurant versucht haben, einen Kellner auf sich aufmerksam zu machen, wissen Sie, wie mein Alltag aussah", sagt sie über ihre bisherige Amtszeit, die 2014 begann. Im Sommer habe sie intern dargestellt, "wie dramatisch die Überlastung von uns allen wirklich ist. Eine offizielle Reaktion der Hausleitung auf die alarmierenden Ergebnisse erfolgte bis heute nicht. Es fällt mir schwer, hierin etwas anderes zu sehen als Desinteresse."

Laut Skript, das im Intranet des Bamf allen Mitarbeitern zugänglich ist, habe man sogar versucht, sie gefügig zu machen. Ohne konkret zu werden deutete sie an, dass man ihr mehr Personal für ihr Büro angeboten habe, wenn sie weniger kritisch agiere. "Die Verletzung des allgemeinen Interesses zugunsten eines speziellen Vorteils, der mir da angeboten wurde, erinnert mich doch sehr an Korruption", sagt sie. "Sollte es irgendjemand erneut wagen, mir zum Beispiel mehr Personal anzubieten unter der Voraussetzung, dass ich meinem gesetzlichen Auftrag nicht nachkomme, melde ich das." Von wem dieses Angebot gekommen sei, sagte sie nicht. Ihren Vorwurf zu überprüfen ist derzeit nicht möglich, da Biesen auf Nachfragen nicht reagiert hat.

Die aktuelle "Entfristungsaktion" stellt Biesen als eine Ursache für Missstände dar. Das Bamf hatte nach Beginn der Flüchtlingskrise sein Personal von etwa 2000 auf zwischenzeitlich 10 000 Beschäftigte aufgestockt, derzeit sind es noch 7500. Viele von ihnen wurden für zwei Jahre eingestellt, ihre Verträge laufen demnächst aus. Gut 2000 von ihnen sollen dauerhaft übernommen werden, viele aber werden ausscheiden müssen. Dies sorgt offenbar für Spannungen zwischen den Mitarbeitern, schon früher berichteten Insider von Konkurrenzkämpfen. Von einer "Kombination aus Existenzangst, Verunsicherung und Bösgläubigkeit" spricht Biesen: "Das ist der perfekte Nährboden für zwischenmenschliche Probleme."

So sei sexuelle Belästigung in der Belegschaft "ein immer größer werdendes Problem". Dauerhaft Beschäftigte glaubten, sich gegenüber befristetet Eingestellten "alles Mögliche herausnehmen" zu können. "Wer soll sich trauen, einen Übergriff zu melden, wenn der Täter zugleich über die Entfristung entscheidet?", fragt Biesen. Eine von ihr angeregte Dienstvereinbarung sei nicht zustande gekommen. Dies transportiert den Vorwurf, die Bamf-Spitze und leitende Mitarbeiter täten nichts oder zu wenig gegen sexuelle Belästigung und sähen zuerst "die möglicherweise bösen Absichten des Opfers". Dem widerspricht ein Bamf-Mitarbeiter, der das Haus gut kennt und ansonsten die Kritik der Gleichstellungsbeauftragten teilt: Bei Vorwürfen sexueller Belästigung in der Belegschaft reagiere das Amt angemessen und konsequent. Es bleibt offen, welche Version die Realität zutreffender spiegelt.

Für absolut berechtigt dagegen halten Insider die Kritik Biesens am Arbeitsdruck im Bamf. Es gehe darum, möglichst viele Asylbescheide zu erstellen. In der Belegschaft mache sich das Gefühl breit, dass sich das Amt in ein privates Unternehmen mit entsprechendem Erfolgsdruck verwandle. Während sich die Privatwirtschaft aber um gute Arbeitsbedingungen bemühe, vermisse sie dies im Bamf, so Biesen.

Biesen ist bekannt dafür, offen Kritik an der Leitung zu üben

Ihre offenen Worte auf großer Bühne begründet Biesen damit, dass die Amtsleitung das Gespräch mit ihr in kleinem Kreis verweigere: "Gedacht ist vom Gesetz ein regelmäßiger, einander unterstützender Austausch zwischen der Gleichstellungsbeauftragten und der Leitung. Realität ist, dass dies hier mein Jour fix mit der Leitung ist." Damit meint sie die Personalversammlung. Ironisch fährt sie fort: "Termine mit mir sind aber auch unglaublich lästig, nicht wahr? Immer das Gerede von Fairness und Gleichstellung und Gesetzen, die man einhalten soll. Schlimm." Die Leitung meine, so Biesen, dass es mit der Installation einer Gleichstellungsbeauftragten getan sei. "Das ist eine recht eigenartige Einstellung", sagt Biesen laut Skript. "Vergleichbar mit der Haltung, man könne ja eine angezündete Kerze im Büro stehen lassen. Neben dem trockenen Tannenzweig. Übers Wochenende. Man hat ja schließlich Brandschutzbeauftragte für so was."

Tanja Biesen ist bekannt dafür, offen Kritik an der Leitung zu üben. Sie soll sich, so ist zu hören, mit ihrer engagierten Art großes Ansehen im Kollegenkreis erworben haben. Während der Versammlung seien die Reaktionen auf ihren Vortrag eher verhalten gewesen, ist aus Teilnehmerkreisen zu hören. Eine Führungskraft habe die Amtsspitze vor dem Vorwurf, zu wenig gegen sexuelle Belästigung zu tun, in Schutz genommen. Ansonsten hätten die abschließende Aussprache vorsichtig kritische Wortmeldungen geprägt. Ein langjähriger Beschäftigter führt dies auf ein "Klima der Angst" zurück.

Die Gleichstellungsbeauftragte war nicht die Einzige, die in der Meistersingerhalle die Amtsleitung attackierte. Auch Rudolf Scheinost, Chef des Gesamtpersonalrats (GPR), übte Kritik; seine Rede ist ebenfalls ins Intranet gestellt. Er kritisiert, dass viele befristet eingestellte Mitarbeiter das Bamf verlassen müssten oder in einer anderen Außenstelle eingesetzt würden, zugleich aber neues Personal befristet engagiert werde. Der GPR stimme diesen Neueinstellungen nicht zu. Weil das Bamf trotz des Vetos neue Mitarbeiter einstelle, habe man beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage eingereicht. Das Bamf äußerte sich auch dazu nicht. In früheren Stellungnahmen erklärte es die Personalpolitik damit, dass es keine weiteren Stellen gebe, zugleich aber noch Geld vorhanden sei, um Mitarbeiter befristet einzustellen.

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