Bund und Länder haben ihren monatelangen Streit um die Kosten für die wachsende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern vorerst beigelegt. Bei einem Gipfel im Kanzleramt einigten sich beide Seiten nach stundenlangen Verhandlungen auf einen Kompromiss. Demnach sollen die Länder in diesem Jahr eine Milliarde Euro mehr für die Kosten etwa von Unterbringung und Integration bekommen.
Noch wichtiger aber dürfte den Ländern sein, dass der Bund Bereitschaft signalisiert, die Finanzhilfen dauerhaft umzubauen. Die Bundesregierung sicherte den Ländern zu, in den kommenden Monaten über eine langfristige Lösung zu verhandeln. "Unser Land steht vor einer großen Herausforderung", sagte Scholz bei der abschließenden Pressekonferenz im Kanzleramt.
Die Einigung entspricht damit in weiten Teilen den Forderungen, auf die sich die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Mittwoch in Vorgesprächen geeinigt hatten. Der Bund zahlt in diesem Jahr bereits 2,75 Milliarden Euro an Länder und Kommunen: 1,5 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine sowie 1,25 Milliarden Euro für Geflüchtete aus anderen Ländern. Nun sollen es also insgesamt 3,75 Milliarden Euro werden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten höhere Zahlungen im Vorfeld mit dem Argument abgelehnt, in Zeiten knapper Kassen könne der Bund nicht mehr zahlen.
Die Bundesregierung kommt den Ländern nun dennoch entgegen - auch wenn eine Entscheidung über dieses Jahr hinaus vorerst vertagt wurde. Klar wurde am Mittwoch aber: Das starre System von pauschalen Zahlungen an die Länder könnte einem System weichen, das berücksichtigt, wie viele Menschen tatsächlich in Deutschland Schutz suchen. Dem Beschlusspapier zufolge wollen Bund und Länder über eine solche Reform beraten und im November entscheiden. Bis dahin solle eine Arbeitsgruppe die Entscheidung vorbereiten.
Neue Maßnahmen sollen Asylverfahren beschleunigen
Über Monate standen sich Bund und Länder unversöhnlich gegenüber. Die Ministerpräsidenten äußerten sich am Mittwoch erleichtert über die Fortschritte. Er sei froh, dass man sich zusammengerauft habe, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD). Die eine Milliarde Euro sei in Zeiten einer schwierigen Haushaltslage "fair anzuerkennen", sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).
Hintergrund des Streits war die hohe Zahl geflüchteter Menschen in Deutschland. Neben mehr als einer Million Menschen aus der Ukraine steigt die Zahl der Asylbewerber. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits mehr als 100 000 Asylerstanträge entgegengenommen - ein Anstieg um fast 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hauptherkunftsländer waren seit Jahresbeginn Syrien, Afghanistan und die Türkei.
Der Beschluss formuliert neben den Finanzhilfen nun auch neue Maßnahmen, um Asylverfahren zu beschleunigen, Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber zu forcieren und illegale Migration generell zu erschweren. Dazu sollen etwa Kooperationsabkommen mit Herkunftsländern geschlossen werden. Die Bundesregierung kündigt in dem Beschlusspapier zudem einen Gesetzentwurf an, um Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Bund und Länder haben sich auch darauf verständigt, die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern, sagte Scholz.
Vereinbart wurden den Angaben zufolge auch erweiterte Zuständigkeiten der Bundespolizei und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justiz- und Ausländerbehörden. Grenzkontrollen an den Binnengrenzen sollen nach dem Vorbild der Kontrollen zu Österreich "lageabhängig" auch an anderen Grenzen eingerichtet werden können. Vor allem soll die Digitalisierung in den Asylverfahren vorangetrieben werden. Laut Beschlusspapier sollen alle Prozesse künftig digital ablaufen - auch per E-Akte.
Der Kompromiss dürfte die Ampel-Koalition belasten. Aus den Reihen der Grünen wurde am Mittwochabend bereits massive Kritik an den geplanten Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) laut. "Das Ergebnis aus der MPK überschreitet alle roten Linien, die ich mir als grüne Abgeordnete vorstellen kann", sagte die Bundestagsabgeordnete Karoline Otte der SZ. "Der MPK-Beschluss zielt darauf ab, die Rechte Geflüchteter massiv zu beschneiden. Das Grundrecht auf Asyl wäre damit Geschichte."
Auch zwischen dem Bund und einigen Ländern geht der Streit weiter. Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt machten ihrem Ärger in einer gemeinsamen Protokollerklärung Luft. Ihnen gehen weder die Finanzhilfen noch die Maßnahmen gegen illegale Migration weit genug. Das zentrale Problem sei die fortgesetzte irreguläre Migration, warnen sie. "Alle bisher von Bundesseite getroffenen Maßnahmen haben nicht zu einer nachhaltigen Zuzugsbeschränkung geführt." Die zusätzliche Hilfe von einer Milliarde Euro sei "völlig unzureichend", eine deutlich größere finanzielle Unterstützung des Bundes zwingend erforderlich. Nur so könnten die Länder und Kommunen die Herausforderungen durch Flucht und Migration weiterhin angemessen bewältigen.