Süddeutsche Zeitung

Entlastungspaket:Länder fordern Gegenleistung vom Bund

Sie verlangen für ihre Zustimmung zum Entlastungspaket finanzielle Zugeständnisse des Bundes - etwa beim Wohngeld. Einigkeit besteht beim Wunsch, die Gasumlage abzuschaffen.

Von Daniel Brössler, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Die Bundesländer machen ihre Zustimmung zu den neuen Entlastungsplänen der Ampelkoalition von erheblichen finanziellen Zugeständnissen des Bundes auf anderen Gebieten abhängig. "Wir brauchen eine faire Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen", sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwochabend nach einem Treffen mit seinen Länderkollegen in Berlin. Nur dann könnten Länder und Kommunen vor Ort ihre Aufgaben in der Krise wahrnehmen. Die Maßnahmen des dritten Entlastungspakets müssten "in einen Gesamtvorschlag eingebettet sein", so Wüst.

Laut dem Beschlusspapier der Länderrunde soll der Bund demnach auf vier Feldern zusätzliche milliardenschwere Lasten übernehmen: beim Ausbau und der Modernisierung des Nahverkehrs, bei den krisenbedingten Mehrkosten der Krankenhäuser, der Flüchtlingsfinanzierung und den bisher hälftig getragenen Kosten für das Wohngeld. Letztere soll der Bund "in Zukunft vollständig übernehmen".

Die Länder wollten "konstruktiv mit dem Bund zusammenarbeiten", beteuerte Wüst, der derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist. Die Hand der Länder bleibe "selbstverständlich ausgestreckt". Die stellvertretende MPK-Vorsitzende Franziska Giffey (SPD) hob vor allem den einstimmigen Beschluss der Länder zu einem "Energiepreisdeckel" hervor. "Es ist notwendig, dass wir hier jetzt ein Stoppsignal haben", sagte die Regierende Bürgermeisterin von Berlin mit Blick auf die gestiegenen Preise für Strom, Gas und Wärme. Man müsse das Problem "an der Wurzel anpacken". Die hohen Rechnungen für Betriebe und Haushalte dürften gar nicht erst gestellt werden.

Wegen der Corona-Erkrankung von Olaf Scholz (SPD) haben die Ministerpräsidenten zunächst ohne den Kanzler getagt. Das Treffen mit Scholz wurde auf kommenden Dienstag verschoben. Doch schon die Gespräche der Ministerpräsidenten untereinander gestalteten sich schwierig. Statt wie vorgesehen am Nachmittag traten Wüst und Giffey erst am Abend vor die Presse. Zu hören war, dass es zwischen den SPD-regierten Ländern und denen unter Unionsführung unter anderem Unstimmigkeiten darüber gegeben habe, wie sehr der abwesende Kanzler vor dem gemeinsamen Treffen am Dienstag durch den Länderbeschluss unter Druck gesetzt werden sollte.

Bis zum Schluss nicht einig wurden sich beide Seiten zudem in der Frage, ob in dem Beschluss das abermalige Aussetzen der Schuldenbremse gefordert werden sollte. Die SPD-regierten Länder und Thüringen (Linke) gaben am Ende eine Protollerklärung ab. "Wir stellen fest, dass wir es mit einer außergewöhnlichen Notsituation im Sinne des Grundgesetzes zu tun haben", heißt es darin. Dies rechtfertige "bei Bund und Ländern die Aufnahme von Krediten über die Begrenzung der Schuldenbremse hinaus". Weitere Protokollerklärungen gab Bayern ab - unter anderem die Forderung nach einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und nach einem "Spritpreisdeckel".

Zumindest der Länderforderung nach einer vollständigen Übernahme der Wohngeldkosten durch den Bund erteilte die Bundesregierung bereits am Mittwoch eine Absage. Man wolle an der "guten Regelung der Kostenteilung beim Wohngeld festhalten", stellte Regierungssprecher Steffen Hebestreit klar. Als Teil des dritten Entlastungspakets hatte das Kabinett just am Mittwoch die Ausweitung des Wohngeldes sowie des Heizkostenzuschusses beschlossen. Angesichts der rasant gestiegenen Energiepreise sollen künftig etwa zwei Millionen Haushalte Anspruch auf diese Leistungen haben; bisher sind es nur etwa 600 000.

Bremse statt Umlage - aber wie sie aussehen wird, bleibt weiter unklar

Ebenfalls vom Kabinett verabschiedet wurde die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gaslieferungen. Eigentlich war das als Kompensation dafür gedacht gewesen, dass auf die geplante Gasumlage auch noch Umsatzsteuer erhoben werden muss. Inzwischen aber haben sich alle drei Regierungsparteien von der Umlage abgewandt. Stattdessen soll es nun eine Gaspreisbremse geben. Wie die aber ausgestaltet und finanziert werden soll - und ob die eigentlich am 1. Oktober in Kraft tretende Gasumlage fürs erste trotzdem erhoben wird, ist weiter unklar.

Mit Blick auf den von den Ländern geforderten "Energiepreisdeckel" sprach Giffey am Mittwochabend von einem "dreistelligen Milliardenbetrag", der dafür notwendig sein werde. Es werde an der Bundesregierung sein, die Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten. Auch Wüst forderte einen eine "zeitnahe" Einigung der Bundesregierung auf einen "solide finanzierten" Vorschlag.

Vor dem Ländertreffen hatte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast gesagt, es gehe bei der Gasumlage nur noch darum, "wie sie weg kommt". In den "nächsten Tagen" werde dafür ein Konzept vorgestellt, wie es damit weitergehe. Das habe auch der Kanzler so zugesagt. Derzeit arbeitet eine Expertenkommission an einem Vorschlag für eine Gaspreisbremse. Mit Ergebnissen wird erst im Oktober gerechnet; nach Einschätzung Masts sogar erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen am 9. Oktober.

Angesichts der finanziellen Dimension gilt als fraglich, ob dann die Schuldenbremse im Jahr 2023 wieder eingehalten werden kann. Die Rückkehr zur Schuldenregel aber ist ein zentrales politisches Versprechen von Finanzminister Christian Lindner (FDP), dessen Partei jüngsten Umfragen zufolge um den Wiedereinzug in den niedersächsischen Landtag bangen muss.

Unterdessen versicherte Regierungssprecher Hebestreit am Mittwoch mit Blick auf den Stopp der russischen Gaslieferungen und die "Havarie" der Nord-Stream-Pipelines, dass die Regierung "mit Hochdruck an einer Gesamtlösung" arbeite. Ziel sei der Schutz von Verbrauchern wie Unternehmen, die Stabilisierung des Gasmarktes und die Wiederherstellung der Versorgungssicherheit.

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