Corona-Maßnahmen:"Ich habe bestimmte eigene Vorstellungen gehabt"

Kanzlerin Merkel muss sich bei Kitas und Schulen dem Willen der Länder beugen. Damit ist aber auch die Verantwortung für mögliche Folgen geklärt.

Von Nico Fried, Berlin

Angela Merkel verspürt Erklärungsbedarf. Die Kanzlerin hat an diesem Mittwoch einen Kampf verloren, den sie lange geführt hat. "Ich habe bestimmte eigene Vorstellungen gehabt", sagt Merkel zur allmählichen Wiederöffnung von Kitas und Schulen. Sie hätte lieber noch ein, zwei Wochen länger gewartet. Aber man lebe nun einmal im Föderalismus, und die Kultushoheit liege bei den Ländern. "Da ist es einfach nicht möglich, dass ich mich da als Bundeskanzlerin durchsetzen könnte, als hätte ich ein Vetorecht."

Nun werden also zumindest die Kitas und die Grundschulen bald wieder öffnen, in manchen Bundesländern früher, in manchen etwas später. In diesem Punkt nachzugeben, sei ihr jetzt leichter gefallen, sagt Merkel in der Pressekonferenz am Mittwochabend im Kanzleramt, weil die Länder und sie nicht mehr meilenweit auseinanderlägen. Aber nachdem einzelne Länder, zum Beispiel Sachsen, bereits vor dem Treffen Merkels mit den Ministerpräsidenten angekündigt hatten, ihre Schulen schon demnächst wieder zu öffnen, muss der Kanzlerin klar gewesen sein, dass sie auf verlorenem Posten stand. Schulen und Kitas, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, "das war allen Ministerpräsidenten sehr, sehr wichtig".

Schulpolitik war bei den Treffen immer wieder ein Streitpunkt

Die Schulpolitik war in den Videokonferenzen Merkels mit den Länderchefs jedes Mal ein Streitpunkt. Die Zuständigkeit liegt bei den Ländern, Merkel kann nur auf die Macht der Mahnung setzen. Mitte November, als die zweite Welle immer heftiger wurde, überraschte das Kanzleramt die Ministerpräsidenten mit dem Vorschlag, Klassen zu teilen und eine Maskenpflicht in allen Jahrgangsstufen einzuführen. Die Länder fühlten sich so überrumpelt, dass sie den Satz schon aus der Beschlussvorlage strichen, ehe sie überhaupt mit Merkel zusammensaßen.

Im Dezember, als die Fallzahlen weiter gestiegen waren, verständigte man sich auf die Formulierung, dass die Schulen "grundsätzlich geschlossen" bleiben oder die Präsenzpflicht ausgesetzt werden solle. Das klang nach Konsens, aber jedes Land legte die Formulierung anders aus. Die Interpretationen, sagt Merkel am Mittwochabend, seien immer schon "disparat" gewesen.

In der Haushaltsdebatte am 9. Dezember, als um einen vorzeitigen Beginn der Weihnachtsferien gestritten wurde, warnte Merkel im Bundestag: Sie wolle sich in die Kompetenz der Länder für die Schulen nicht einmischen. "Ich will nur sagen: Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben, und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben."

Ihre strikte Politik gegenüber Kitas und Schulen hat Merkel von der SPD den Vorwurf eingebracht, die Wirtschaft zu schonen, aber den Kindern immer neue Belastungen aufzuerlegen. Sie lasse sich nicht anhängen, "Kinder zu quälen", hielt Merkel in einer Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten Mitte Januar dagegen. Erst vor wenigen Tagen sprach sie 90 Minuten lang vor laufenden Kameras mit Müttern und Vätern über deren Erfahrungen mit Homeschooling, Lernproblemen und fehlenden Sozialkontakten. Die Kanzlerin war beeindruckt. Trotzdem sagte sie, es dürfe nicht passieren, "dass wir die Schulen aufmachen und dann wieder zumachen müssen, wenn die Infektionszahlen steigen". Deshalb gelte für sie: "Lieber noch drei Tage länger warten."

Nun hat sie doch nachgegeben. Aber klar ist auch: Die Verantwortung liegt jetzt bei den Ländern. "Wir wollen alles tun", sagt die Kanzlerin ganz allgemein, "dass wir nicht in eine Wellenbewegung kommen, rauf, runter, auf, zu." Wenn es aber doch ein drittes Mal zu Schulschließungen kommen sollte, werden die Länderchefs dafür politisch den Kopf hinhalten müssen.

Und wie groß ist diese Gefahr? Man könne zufrieden sein mit den sinkenden Fallzahlen, sagt Merkel. Aber im Aufkommen der Virus-Mutanten, insbesondere in der Form, wie sie zuerst in Großbritannien aufgetreten ist, sei auch "eine dritte Welle angelegt, die wir bekämpfen müssen". Die Mutante B.1.1.7 werde "die Oberhand gewinnen", warnt Merkel. Das alte Virus werde verschwinden. "Deshalb müssen wir weiter runter, runter, runter mit der Fallzahl."

Es habe sich ein Schwarzmarkt der Friseure entwickelt, hatte Horst Seehofer gewarnt

Über weitere Öffnungsstrategien wollen Kanzlerin und Ministerpräsidenten nun am 3. März sprechen. Dann soll auch der Handel unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen können. Einem Berufszweig kam die Runde allerdings am Dienstag schon entgegen: den Friseuren. Vom 1. März an sollen die Salons wieder öffnen können. Innenminister Horst Seehofer hatte diese Debatte schon vor einigen Tagen angestoßen - und zwar nicht aus persönlichen Gründen, sondern mit dem Hinweis darauf, dass sich der Schwarzmarkt in dieser Branche zu einem Problem entwickelt habe, auch was die Ansteckungsgefahr betreffe.

Michael Müller sagt zu dem Beschluss, vor allem Menschen, die sich nicht selbst versorgen könnten, bräuchten mit den Haaren Hilfe aus hygienischen Gründen. Markus Söder, Bayerns Regierungschef und stellvertretender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, geht noch weiter. Die Entscheidung habe auch mit Würde zu tun. Und dann formuliert Söder einen Satz zum Vorteil geschnittener Haare, der in seiner Bildhaftigkeit wie gemacht erscheint für die Geschichtsbücher zur Corona-Pandemie: "Es spielt eine Rolle für viele Menschen in dieser Pandemie, sich selber auch wiederzufinden."

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