Immerhin eine gute Nachricht gibt es in diesem Oktober aus bulgarischer Sicht: die Nominierung des Österreichers Magnus Brunner zum EU-Kommissar für Migration. Er hat sich nämlich dafür ausgesprochen, dass Rumänien und Bulgarien, die schon so lange auf die volle Mitgliedschaft im Schengen-Raum warten, endlich beitreten dürfen. Damit stellt er sich gegen das Veto der Regierung in Wien, der er bis vor Kurzem angehörte und die das verhindert hat. Bisher gelten in den Ländern die Schengen-Regeln nur an Häfen und Flughäfen.
Aber in Sofia sind selbst gute Nachrichten derzeit wenig wert: Sollte die ÖVP, die gerade in Regierungsverhandlungen steckt, in Wien an der Macht – und bei ihrem Veto – bleiben, könnte es weiterhin nichts werden mit diesem heiß ersehnten und wirtschaftlich so wichtigen Schritt. Die Freude über Brunners Zugeständnis hält sich daher in Sofia in Grenzen.
Experten sagen voraus, dass es wieder keine regierungsfähige Mehrheit gibt
Auch sonst ist die Stimmung in dem kleinen Schwarzmeer-Land mit seinen 6,4 Millionen Einwohnern denkbar schlecht. Derzeit regiert, mal wieder, eine Übergangsregierung, weil bei den letzten Wahlen im Juni, wie schon mehrere Male zuvor, keine Koalition zustande kam, die eine stabile Mehrheit im Parlament hat. Und so wird an diesem Sonntag zum siebten Mal in dreieinhalb Jahren gewählt.
Im Juni lag die Wahlbeteiligung bei etwa 34 Prozent; diesmal rechnen Meinungsforscher damit, dass sich weniger als ein Drittel der Wähler die Mühe machen, noch zu den Urnen zu gehen. Zumal Politikexperten und Medien voraussagen, dass es schon wieder nichts werden könnte mit einer regierungsfähigen Mehrheit. Dann würden im Winter von Präsident Rumen Radew die achten Wahlen angesetzt werden, seit die letzte, von der konservativen Gerb-Partei dominierte Koalition 2021 zerbrach, die mehr als ein paar Monate hielt.
Damals hatten sich nach monatelangen Protesten gegen eine korrupte, von Oligarchen gekaufte und der Mafia infiltrierte Regierung reformorientierte Antikorruptionsparteien zusammengefunden. Unterstützt von einer korruptionsmüden Bevölkerung wollten sie die Machtverhältnisse verändern. Der junge, im Westen ausgebildete Ökonom Kiril Petkow von „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) trat gemeinsam mit einer kleinen, liberalen Partei (DB) an und vermochte es, nach anfänglichem Scheitern, im Winter darauf sogar für eine kurze Weile das Land zu regieren.
Die politische Elite habe den Reflex zum konstruktiven Regieren verloren
Aber die Koalition wurde bald gestürzt, eine Koalition aus der konservativen Gerb-Partei unter Ex-Premier Bojko Borissow und dem Reformblock aus PP und DB zerbrach später ebenfalls. Und immer wieder zwischendurch rangen und ringen diese beiden Gruppierungen mit den geschwächten Sozialisten, der mittlerweile gespaltenen Türkenpartei DPS, einer wirren Truppe von Populisten um den Sänger Slawi Trifonow sowie der zunehmend erstarkenden, prorussischen, nationalistischen Partei Wiedergeburt (Wasraschdane) um die Vormacht im Parlament und im Land.
Dass die Wähler das nicht mehr mitmachen wollten, weil sich keine Lösungen und keine Alternativen auftäten, sei kein Wunder, sagte der Politikexperte Swetlin Tatschew vom Meinungsforschungsinstitut Gallup International Balkan in einem Interview mit Radio Bulgarien in dieser Woche. Das Problem liege jedoch nicht im politischen System, sondern in der politischen Elite des Landes, die nur noch Macht auf Zeit suche. Sie habe den Reflex zum konstruktiven Regieren verloren. Das zeige sich, so Tatschew, auch an der wachsenden Zahl unabhängiger Abgeordneter, die sich keiner Partei mehr zugehörig fühlten.
Ein „Weg von der Repression zur Depression“, warnt ein Soziologe
Laut Umfragen könnte es die nationalistische Partei Wiedergeburt, die vor drei Jahren noch bei knapp fünf Prozent lag, diesmal nach Gerb auf den zweiten Platz schaffen. Die Nachrichtenplattform Balkan Insight schreibt in ihrer Vorwahlanalyse, prorussische Kräfte hinter Parteichef Kostadin Kostadinow versuchten, reformorientierte Wählerschichten von der parlamentarischen Demokratie zu entfremden.
Wiedergeburt verfolgt eine Agenda nach Moskaus Geschmack: Sie organisierte im August im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit für ein Gesetz gegen „LGBTQ-Propaganda an Schulen“, scheiterte aber an einem Gesetz gegen „ausländische Agenten“ nach russischem Vorbild. Zuletzt hat Kostadinow angekündigt, den Green Deal der EU zu torpedieren.
Der renommierte Soziologe Iwan Krastew nennt die Entwicklung in seinem Heimatland Bulgarien den „Weg von der Repression zur Depression“. Eine Entwicklung allerdings könnte Bewegung in die verfahrene politische Lage bringen. Deljan Peewski, übel beleumundeter Medienmogul und von den USA sanktionierter Kopf der Türkenpartei DPS, galt zuletzt als Strippenzieher und Powerplayer, der im Hintergrund über Koalitionen und Konstellationen in Sofia entschied.
Er hat seine Position jedoch durch einen Machtkampf in der eigenen Partei geschwächt; derzeit kursieren Gerüchte, dass er über den Versuch von Wahlmanipulation und Stimmenkauf seinen Einfluss zu retten versucht. Sollte er scheitern oder auffliegen, könnten sich die politischen Kräfte in Sofia vielleicht neu sortieren.