Immerhin, die Beteiligung war nicht so schlecht wie befürchtet: Bei den siebten Wahlen in mehr als drei Jahren hatten Politikwissenschaftler und Umfrageinstitute in Bulgarien erwartet, dass das Interesse an der Stimmabgabe ein neues Tief erreichen würde. Im Juni, bei der letzten Parlamentswahl nach einem gescheiterten Regierungsbildungsversuch, hatte sie bei 34 Prozent gelegen.
Diesmal gaben 35 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Einen klaren Wahlsieger erkoren sie allerdings wieder nicht; vielmehr ist das bulgarische Parlament so zersplittert wie lange nicht mehr. An die erste Stelle schaffte es, wie schon mehrmals in den vergangenen Jahren, die konservative Gerb-Partei von Langzeit-Premier Bojko Borissow, der mit 25 Prozent allerdings zwei Koalitionspartner bräuchte, um eine Regierung zu bilden.
Die prorussischen Rechtsextremen schließt Borissow als Partner aus
Das könnte wie gewohnt schwierig werden. Denn die Zweitplatzierten, das Reformbündnis „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB), kamen auf knapp 16 Prozent, wollen aber wie schon bisher den der Korruption verdächtigen Borrissow nicht als Regierungschef akzeptieren. Auf Platz drei landete die erstarkte, rechtsextreme und prorussische Partei Wasraschdane (auf Deutsch: Wiedergeburt), mit der vorerst niemand koalieren will. Borissow hatte schon am Wahlabend mitgeteilt, er werde „mit allen regieren, die unser Programm unterstützen“. Wasraschdane aber könne er, „rein ideologisch, basierend auf den Werten der europäischen Familie, nicht zulassen“.
Interessant wird, ob der Gerb-Chef die Nähe des von den USA sanktionierten Oligarchen Deljan Peewski suchen wird. Dieser kam mit seiner DPS – NN, einer Abspaltung von der Partei der bulgarischen Türken (DPS), auf elf Prozent der Wählerstimmen. Schon nach der letzten Wahl im Juni, die letztlich keine Regierung hervorbrachte, hatte Peewski versucht, in eine Koalition einzutreten. Teile der DPS um deren Gründer Ahmed Dogan waren jedoch strikt dagegen.
Peewski, dem seit vielen Jahren Wahlmanipulation und Stimmenkauf in der ethnisch türkischen Minderheit sowie der Missbrauch seines Parlamentsmandats vorgeworfen werden, wäre allerdings aus Sicht des liberalen Reformblocks PP-DB, den Borissow auch für eine Regierung braucht, ein Ausschlussgrund. Bei den Auslandsbulgaren holte Peewskis Kontrahent, der ehemalige Agent der bulgarischen Staatssicherheit, Ahmed Dogan, die meisten Stimmen.
Mit Koalitionsverhandlungen wird erst nach der US-Wahl gerechnet
Nach den sechs letzten Wahlen vom April 2021, Juli 2021, November 2021, Oktober 2022, April 2023 und Juni 2024 bleibt die bulgarische Politik also auch weiterhin zerrissen, unübersichtlich und konsensunfähig. „Wir werden alle Kompromisse eingehen, aber es wird eine Regierung geben“, hatte Borissow laut Radio Bulgarien noch am letzten Wahlkampftag versprochen. Gleichwohl wird vermutet, dass es vor der US-Wahl am 5. November nicht zu Koalitionsverhandlungen kommt, weil Wahlsieger Borissow einen möglichen Sieg von Donald Trump abwarten will. Derweil dürfte der von Präsident Rumen Radew eingesetzte Übergangspremier Dimitar Glawtschew die Geschäfte weiterführen.
Assen Wassilew von der PP-DB, dessen Partei vor zwei Jahren für ein paar Monate eine Reformregierung anführte und im vergangenen Winter eine kurze Koalition mit Gerb eingegangen war, versprach, sich für höhere Einkommen, bessere Gesundheitsversorgung und Bildung in dem ärmsten EU-Land einzusetzen. Wichtig seien aber auch „Gesetze zur Korruptionsbekämpfung, die eine Voraussetzung für die Aufnahme Gespräche jedweder Art sind“.
Laut Marijan Sabew vom Sofioter Zentrum für Demokratieforschung spiegelt Bulgariens innenpolitische Spaltung die größeren ideologischen Konflikte zwischen dem Westen und Russland wider. Einige Parteien, sagte der Experte dem ORF, plädierten für engere Beziehungen zu Moskau, während andere eine stärkere Integration mit der EU und der Nato forderten. Vorangetrieben werde die Spaltung in der Bevölkerung durch wirksame Desinformationskampagnen des Kremls.