Bulgarien:Das Patt zwingt Konservative und Reformer zusammen

Marija Gabriel von der Gerb und Nikolaj Denkov von der PP wollen sich auf dem Posten des Ministerpräsidenten von Bulgarien abwechseln.

Marija Gabriel von der Gerb und Nikolaj Denkow von der PP wollen sich auf dem Posten des Ministerpräsidenten von Bulgarien abwechseln.

(Foto: Dimitar Kyosemarliev/AFP)

Fünf Wahlen in zwei Jahren, und die nächste stand schon am Horizont: Bulgarien ist ein gespaltenes Land. Welche Aussichten hat da die geplante Koalition aus Konservativen und Reformern? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Bei der Wahl in Bulgarien im April konnte die Gerb-Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow zwar knapp die meisten Stimmen holen, aber einmal mehr hat sich die Bildung einer Regierung in Sofia als schwierig erwiesen. Nun haben sich die Konservativen offenbar mit dem Reformbündnis PP-DB auf ein Modell geeinigt, um gemeinsam zu regieren - wenigstens die kommenden eineinhalb Jahre.

Bekommt Bulgarien nun wirklich eine neue Regierung?

Fünfmal sind die Bulgaren schon wählen gegangen in den vergangenen zwei Jahren. Und gibt es in den kommenden Tagen keine formale Einigung zwischen den beiden größten, im Parlament vertretenen Parteien, dann könnte im Herbst ein sechstes Mal gewählt werden. Aber die Chancen stehen gut, dass es diesmal klappt.

Die konservative Gerb-Partei, die beim letzten Urnengang im April mit 26 Prozent der Stimmen knapp vor dem Reformbündnis PP-DB, bestehend aus "Wir setzen den Wandel fort" (PP) und "Demokratisches Bulgarien" (DB), lag, hatte vor zwei Wochen mit der bisherigen EU-Kommissarin für Forschung, Kultur und Jugend, Marija Gabriel, eine Überraschungskandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin aus dem Hut gezaubert. Auf sie, so hoffte man, könnten sich auch linksliberale Kräfte im Parlament einlassen. Denn bisher war eine Koalition immer daran gescheitert, dass kaum eine relevante Kraft in Bulgarien mit Gerb und ihrem Vorsitzenden, Ex-Langzeit-Premier Bojko Borissow, kooperieren wollte. Nun gibt es offenbar einen Deal, der aber anders aussieht als vermutet. Bulgarischen Medien zufolge wurde er am Montag als Absichtserklärung öffentlich gemacht.

Was ist diesmal anders als bisher?

Nun wollen Gerb und PP-DB doch zusammenarbeiten - auf Rotationsbasis. Geplant ist, dass zuerst der PP-Politiker Nikolaj Denkow, studierter Physiker und ehemaliger Bildungsminister, für neun Monate das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt, dann Gerb-Politikern Marija Gabriel. Offenbar soll der Vize-Chef von "Wir setzen den Wandel fort", Asen Wasilew, Finanzminister werden; er hatte das Amt schon einmal während der kurzen Ära einer Reformregierung vor anderthalb Jahren inne. Wie es nach der nun verabredeten Frist dann weitergeht, wurde noch nicht ausgeführt; offenbar will man erst einmal ausprobieren, wie stabil die neue, große Koalition ist.

Eine Zusammenarbeit mit der Partei der türkischen Minderheit und den Sozialisten hatte die bisherige EU-Kommissarin, mit ihrem Förderer Borissow im Hintergrund, offenbar schnell ausgeschlossen, weil, wie sie sagte, Bulgarien endlich eine reguläre Regierung brauche, die das Land eine, nicht spalte.

Sind solche rotierenden Regierungen häufig?

Für Bulgarien ist eine geteilte Regierungszeit ein Novum; das zeigt einerseits, wie groß der Druck im Inneren war, eine Einigung herbeizuführen und endlich die großen Krisen der Zeit gemeinsam anzugehen, belegt aber auch den Druck im Äußeren: Die Koalition mit russlandfreundlichen Kräften, mit der Gerb drohte, wäre in der EU nicht gut angekommen.

Sonst sind Regierungen, in denen sich die Führungskräfte abwechseln, jedoch gar nicht so selten: Im Nachbarland Rumänien etwa wird der amtierende Ministerpräsident Nicolae Ciucă von der liberalen PNL Ende Mai abtreten und nach der Hälfte der Legislaturperiode Platz machen für seinen Nachfolger, den Sozialdemokraten Marcel Ciolacu. Es hatte zwar einige Spekulationen über Neuwahlen gegeben, weil es den Verdacht gab, dass Ciucă den Deal nicht einhalten würde, um "die Stabilität des Landes" nicht zu gefährden. Aber der amtierende rumänische Ministerpräsident ließ zuletzt keinen Zweifel daran, dass er verabredungsgemäß Ende Mai gehen werde. Auch in Irland und Israel wurde solch ein Modell schon praktiziert.

Was passiert derweil hinter den Kulissen?

In den vergangenen Wochen ist ein zuvor schwelender Machtkampf zwischen Ex-Premier Borissow, bulgarischen Oligarchen und Generalstaatsanwalt Iwan Geschew offen ausgebrochen. Geschew ist oberster Aufseher über alle Ermittlungsverfahren, also auch alle Korruptionsermittlungen, die in Bulgarien jedoch nicht vom Fleck kommen. Er selbst gilt als höchst korrupt; Massendemonstrationen im Herbst 2020 hatten neben einem Rücktritt Borissows auch das Aus für Geschew gefordert.

Jetzt hat sich Borissow gegen seinen ehemaligen Buddy gewendet. Der bullige Generalstaatsanwalt hat daraufhin prompt, aber nicht zum ersten Mal, behauptet, auf ihn sei ein Attentat verübt worden - wegen seines Kampfes gegen den "politischen Müll" im Land. Das Problem: Der Generalstaatsanwalt ist praktisch nicht absetzbar, er könnte nur von sich aus zurücktreten. Eine neue Regierung wird vor allem in diesem Bereich ansetzen müssen, um den Rechtsstaat in Bulgarien zu stärken.

Welche Rolle spielt Bulgarien in der EU?

Das Balkanland ist traditionell gespalten zwischen proeuropäischen und prorussischen Kräften. In Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat es zwar bisher alle Beschlüsse aus Brüssel mitgetragen, aber - offiziell - keine Waffen an Kiew geliefert. Eine Koalition aus Gerb und PP-DB könnte außenpolitisch einen proeuropäischen Kurs fahren und innenpolitisch endlich Verfassungsreformen anstoßen, mit denen der Kampf gegen die endemische Korruption verstärkt und das Justizsystem reformiert wird.

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