Roma in Deutschland:Angekommen im Abseits

In der Heimat wurden sie misshandelt, in Deutschland leben sie ärmlich als Tagelöhner oder Bettler. Auf der Suche nach ihrem Glück stoßen viele Angehörige einer Minderheit aus Rumänien und Bulgarien auf große Probleme. Trotzdem wollen viele bleiben - weil es immer noch besser ist als daheim.

Roland Preuß und Gökalp Babayigit

Die deutschen Polizisten, sagt Sider Karamfilov, seien wunderbar. "Keine Schläge auf der Wache, so wie in Bulgarien." Wenn ihn die Beamten beim Betteln aufgreifen, dann nehmen sie ihn mit aufs Revier. Dort dürfe er sich auch hinsetzen, schwärmt der 70-Jährige und hebt die Arme. "Und sie haben uns danach sogar heimgefahren."

Roma in Deutschland: Ein Tisch, ein Fernseher, drei Betten: Sider und Zyumbyul Karamfilov teilen sich mit ihrer 44-jährigen Tochter Silvija ein Zimmer.

Ein Tisch, ein Fernseher, drei Betten: Sider und Zyumbyul Karamfilov teilen sich mit ihrer 44-jährigen Tochter Silvija ein Zimmer.

(Foto: Stephan Rumpf)

Daheim, das ist für Karamfilov, seine Frau und seine Tochter ein Zimmer im Hinterhof einer Mietskaserne im Münchner Stadtteil Obersendling. Drei Betten drängen sich um einen Sperrholztisch, ein Fernseher, eine Waschmaschine, eine modrige Küchenzeile - das war's. Vor der Tür brummt ein Kühlschrank, die Toilette liegt am Ende des Flurs. So leben die Karamfilovs seit gut drei Jahren.

Die Familie ist gleich nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU 2007 nach München gekommen. Mittlerweile folgten Zigtausende weitere. Seit ein paar Jahren steigen die Zahlen steil an, nach Polen sind Bulgaren und Rumänen inzwischen die größte Zuwanderergruppe. 115.000 Menschen zogen allein vergangenes Jahr neu nach Deutschland. Unter ihnen sind Fachkräfte, Ehepartner, Tagelöhner - und viele, die Elend und Gewalt entfliehen wollen.

Das trifft vor allem auf Minderheiten zu, wie die Karamfilovs, die zu den Roma gehören und türkisch sprechen. Laut Amnesty International werden sie in beiden Staaten benachteiligt: In Bulgarien werden Roma-Familien aus ihren Häusern vertrieben, in Rumänien werden sie wie auch die Türken durch Polizisten misshandelt. Viele sind arbeitslos und hausen in Hütten. Sie leben zwar nun in der Wohlstandsgemeinschaft EU, aber sie sind arm geblieben. Deshalb verschwinden Tausende nach Westen, denn als EU-Bürger dürfen sie ohne Visum kommen.

Gedacht war das mit dem EU-Beitritt anders: Deutschland schränkte die Freizügigkeit ein, Bulgaren und Rumänen dürfen anders als Polen oder Griechen eigentlich bis 2014 nicht einfach als Arbeitnehmer arbeiten. Doch es gibt Schlupflöcher: Jeder kann sein Glück als Selbstständiger probieren oder einfach so bleiben. Denn die Behörden dürfen EU-Bürger nur zurückschicken, wenn sie ihnen nachweisen, dass sie gar nicht arbeiten wollen oder Verbrechen begehen.

Sider Karamfilov würde auch als verarmter Bayer durchgehen

Man sieht Sider Karamfilov nicht an, wo er herkommt, in seinem grünen Jackett und der Trachtenweste mit Hirschhornknöpfen könnte er auch als verarmter Bayer durchgehen. Seine Frau Zyumbyul dagegen trägt lange Gewänder und Kopftuch.

Karamfilov war einst Chauffeur, nun bekommt das Paar 122 Euro Rente im Monat aus Bulgarien. Wie überlebt man damit in einer teuren Stadt wie München? Gar nicht, sagt Tochter Silvija. Die 44-Jährige hat deshalb immer wieder Gelegenheitsjobs angenommen, als Putzhilfe für fünf bis sechs Euro die Stunde. "Ich halte meine Eltern am Leben", sagt sie. Doch das ist schwieriger geworden, seit sie eine chronische Halskrankheit habe, sagt Silvija. Ihre Gelegenheitsjobs verliert sie immer wieder, weil ihr die Arbeit zu anstrengend ist, zurzeit ist sie wieder arbeitslos. Etwa 200 Euro kommen im Monat trotzdem zusammen.

Unterstützung vom deutschen Staat ist nicht vorgesehen, die erhalten nur EU-Bürger, die schon länger als Arbeitnehmer gearbeitet haben. Zuwanderer wie die Karamfilovs fallen komplett durchs soziale Netz. Und ein anderer Job kommt selbst im boomenden München kaum in Frage, denn Silvija spricht kaum Deutsch, bringt weder Ausbildung noch Studium mit.

Also holen sie Brot und Milch von der Tafel und gehen am Hauptbahnhof betteln. Fünf bis zehn Euro lassen sich so pro Person am Tag erlösen. "Wir sind dort schon alte Bekannte." Damit meint Karamfilov auch die Polizisten. Weil die keine anderen Druckmittel haben, verteilen sie Strafzettel an die Bettler: Die Beamten stufen sie dann als "Mitglied einer organisierten Bettlergruppierung" ein, die Bußgeldbescheide gegen die Karamfilovs summieren sich auf etwa 14.000 Euro. Doch das Geld einzutreiben, dürfte schwierig werden.

Sie erzählen Geschichten von enttäuschten Hoffnungen

Auch in anderen Städten fallen die Zuwanderer aus dem Südosten immer häufiger auf. In Berlin sind etwa 10.000 Bulgaren und 4500 Rumänen gemeldet, und es werden stetig mehr. Viele dieser Familien seien "extrem verarmt", sagt Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening. In Duisburg sind in den vergangenen Monaten fast 4000 Rumänen und Bulgaren zugezogen, schätzt die Stadt selbst, die meisten von ihnen Roma. Sie machen die Lage in den verarmten Stadtteilen Duisburgs noch schwieriger.

In München stoßen Hilfsorganisationen mit ihren Angeboten für Obdachlose und kostenloser Arztversorgung an ihre Grenzen. Die Neuzuwanderer würden oft kein Deutsch lernen und sich nicht integrieren, heißt es bei einigen hinter vorgehaltener Hand. Wilhelm Dräxler von der Münchener Caritas schränkt hingegen ein: Man müsse die Lage dieser Leute nachvollziehen. "Sie waren nicht einmal in Bulgarien oder Rumänien integriert - und hier sind sie ständig mit dem eigenen Überleben beschäftigt."

Und ihre Bilder gleichen sich: In Duisburg sammeln sich die Männer auf einem Parkplatz, um für wenige Euro die Stunde einen Job auf dem Bau zu ergattern, in München bieten sich die Tagelöhner an einer Straßenkreuzung beim Hauptbahnhof an. Gegen 6.30 Uhr wird es immer voll in der bahnhofsnahen Selbstbedienungsbäckerei: An die 20 Männer sitzen dann auf Kunstlederstühlen und hoffen, dass ein Arbeitgeber auftaucht und ein paar von ihnen in seinen Kleinbus lädt.

Arif ist einer der Tagelöhner, er sitzt vor seinem Kaffee und wartet. Er bleibe hier, weil es die einzige Möglichkeit sei, seine Frau und die vier Kinder in Bulgarien zu ernähren, sagt er. Als Türke bekomme er keine Stelle in Bulgarien. "Türke sein ist sehr schlimm in Bulgarien." Eine eigene Wohnung hat Arif nicht, er schläft bei Freunden - oder auf Bänken am Hauptbahnhof. 1200 wohnungslose Bulgaren und Rumänen soll es laut Hilfsorganisationen allein in München geben. Eigentlich ist Arif Arbeiter und hilft bei Abbrucharbeiten, doch wegen der Auflagen geht dies offiziell nur als Selbstständiger - ein Hilfsarbeiter mit Gewerbeschein.

Es sind Geschichten von enttäuschten Hoffnungen, die die Männer erzählen. "Es gibt so viele Jobs, aber es ist so schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen", sagt einer. Egal wo sie stehen, überall scheuchen sie die Geschäftsleute fort - fort von ihren Plätzen vor der Bank, vor dem Supermarkt, vor dem Dönerladen. "Wir wollen nicht jeden Tag gejagt werden", sagt einer. Die ständigen Polizeikontrollen seien "Terror".

Hinzu kommt die Ausbeutung. Erol zum Beispiel hat eineinhalb Monate auf dem Bau gearbeitet, vereinbart waren zehn Euro pro Stunde. Am Anfang floss das Geld, 2500 Euro, für ihn ein Vermögen. Doch am Ende sagte ihm der Chef, es gebe nur noch acht Euro, außerdem verlangte er eine Rechnung - die Erol mangels Steuernummer nicht ausstellen kann. Nun stehen noch 1700 Euro Lohn aus, sagt Erol.

Verdi klagt für die Tagelöhner - mit Erfolg

Savas Tetik zieht einen Stapel Verdi-Mitgliedskarten aus der Tasche, sie tragen bulgarische oder rumänische Namen. Der Deutsch-Türke kümmert sich für die Gewerkschaft um die Tagelöhner. In München gibt es bereits 400 bulgarische Mitglieder. Wenn die Arbeitgeber mal wieder nicht zahlen wollen, zieht Verdi vor Gericht. "Wir haben alle Klagen gewonnen" sagt Tetik.

Die Arbeitgeber wollen die Bulgaren nicht mit Sozialversicherung beschäftigen, allein auf die Arbeitsgenehmigung müssten sie vier bis sechs Wochen warten. Also bleiben die Männer im Tagelöhnerstatus hängen. Ohne Arbeitsgenehmigung seien sie der Willkür preisgegeben, sagt Tetik. "99 Prozent meiner Klienten haben nicht einmal eine Krankenversicherung." Auch, dass jemand Steuern zahle, habe er "noch nie gehört". Der Gewerbeschein, er ist nur das Feigenblatt für die illegale Praxis.

Aber zurück nach Rumänien? Die Männer schütteln den Kopf. "Ich möchte meine Familie hierherholen", sagt Erol. Auch die Karamfilovs blicken bei der Frage verwundert. "Wir sind hier glücklich", sagt Silvija Karamfilova. Für die 14.000 Euro Bußgeld haben sie inzwischen Ratenzahlung à 20 Euro im Monat beantragt. Ihre Schulden wären dann in 58 Jahren abgestottert.

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