Mit Verlusten hatten sie rechnen müssen, jedenfalls die Bremer Grünen. Das Rekordergebnis von 22,5 Prozent nach der Atomkatastrophe von Fukushima vor vier Jahren konnten sie nicht halten. Das war klar, auch wenn die voraussichtlichen 15 Prozent trotzdem eine Enttäuschung sind. Doch dass die SPD so schlecht abschneiden würde, das hatte niemand erwartet. 33 Prozent lautete die Hochrechnung am Abend, fast sechs Prozent weniger als 2011. Das war ein Schlag ins Kontor. Es wäre das schlechteste Wahlergebnis der Sozialdemokraten seit Bestehen des kleinsten Bundeslandes, dieser roten Bastion. Ein Desaster.
Der zuvor so gelassene Bürgermeister Jens Böhrnsen war merklich gezeichnet, als die Zahlen bekannt wurden. "Ein bitterer Wahlabend", sagte er. Gefährden die Verluste womöglich sogar die Fortsetzung der Regierung von SPD und Grünen? Schnelle Gewissheit verhinderte das komplizierte Wahlrecht in Bremen, das jedem Wahlberechtigten mehrere Stimmen zugesteht. Dazu kam die Frage, ob es die AfD wie in Hamburg auch in diese Bürgerschaft geschafft hat. Böhrnsen aber stellte am Sonntagabend klar: Die SPD werde als stärkste Partei in Bremen weiterregieren, er will "die erfolgreiche Koalition mit den Grünen fortsetzen". Und er will Bürgermeister und Senatspräsident bleiben.
Stunden zuvor hatte sich die Aufregung ob dieser Aussichten noch in Grenzen gehalten. Was sollte an der Weser schon groß passieren? Es ist das 18. Bremische Landesparlament seit dem Krieg, zusammengesetzt aus 83 Abgeordneten, von denen 68 die Hansestadt Bremen vertreten und 15 Bremerhaven mit dem riesigen Hafen für Autos und Container an der Mündung zur Nordsee. Immer gewann dieselbe Partei. Seit 1945 regiert den Staat der beiden Städte ununterbrochen die SPD, noch länger als die CSU Bayern. "Nicht ununterbrochen, sondern unterbrochen durch Wahlen", präzisiert Amtsinhaber Böhrnsen, die hiesige Version des Ministerpräsidenten.
Bremens SPD hatte früher auch mal allein das Kommando, von 1991 bis 1995
Bei den Wahlen bekam die SPD stets die meisten Stimmen. Und es gab keinen Anlass zu zweifeln, dass es diesmal anders sein sollte. Die Umfragen sagten den Genossen zwischen 36 und 40 Prozent voraus, bei Böhrnsens zweitem Sieg 2011 waren es 38,6 Prozent gewesen. Für Aufsehen sorgten beim letzten Mal allerdings vor allem die Grünen, weil sie die schwache CDU überflügelten. Damals eroberten die Ökologen angesichts der japanischen Reaktorkatastrophe unter den 650 000 Wahlberechtigten eine Menge Anhänger dazu, diesmal ging es umgekehrt. Die bequeme Zweidrittel-Mehrheit ist plötzlich dahin. Obendrein gab nicht mal jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab.
So wurde dieser 10. Mai 2015 zu einer Zäsur für Bremens erfolgsverwöhnte SPD. Zwölf Jahre lang hatte sie sich mit der CDU zur großen Koalition zusammen getan. Als Jens Böhrnsen dann 2007 den zuvor so populären Henning Scherf ablöste, begann das Bündnis mit den Grünen. Es war eine Rückkehr in die nähere bundesdeutsche Vergangenheit, in Berlin hatte sich diese Kombination 2005 ja verabschiedet. Noch wenige Tage vor der Abstimmung war Böhrnsen in seinem Büro im Weltkulturerbe-Rathaus bester Dinge und sagte: "Es spricht alles dafür, das fortzusetzen."
Nun könnte dies der Beginn einer Trennung sein, obwohl inzwischen der halbe Norden rot-grün ist. In Schleswig-Holstein unter dem SPD-Premier Torsten Albig währt der Pakt seit 2012 - der dortige Grünen-Umweltminister Robert Habeck bewirbt sich sogar um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017. Niedersachsen wird seit 2013 vom SPD-Mann Stephan Weil und den Grünen verwaltet, Hamburgs SPD-Regent Olaf Scholz machte die Grünen nach dem Verlust seiner Alleinherrschaft kürzlich zum Juniorpartner. Bremen hat da vergleichsweise lange Erfahrung, jetzt ist es auf einmal eng geworden. "Nicht schön für uns", klagt die Grüne Karoline Linnert, Böhrnsens Vize und Senatorin für die maroden Finanzen. Man regiere halt unter schwierigen Bedingungen, erläutert Linnert. "Der Haushalt zwingt uns, öfter nein zu sagen, als uns lieb wäre."
Trotz roter Zahlen: Das Land will bis zum Jahr 2020 die Schuldenbremse einhalten
Warum wählten die Bremer immer wieder "eine Partei, die 70 Jahre lang bewiesen hat, dass sie es nicht kann?", ätzte bei einer Wahlkampfveranstaltung vor schneidigen Unternehmern die Polit-Novizin Lencke Steiner, mit der die FDP in die Bürgerschaft zurück kehrt. Genüsslich zählten sie und andere Herausforderer die Engpässe der Regierung auf. Höchste Verschuldung eines Bundeslandes, derzeit in etwa 20,4 Milliarden Euro. Was allerdings auch damit zu tun hat, dass 150 000 Pendler in Niedersachsen wohnen und dort Steuern zahlen. Höchste Arbeitslosigkeit, im April waren es 11,1 Prozent. Schlechteste Ergebnisse bei der letzten Pisa-Studie zur durchschnittlichen Bildung. Jeder vierte Bremer kann im Monat weniger als 869 Euro ausgeben und gilt nach dem deutschen EU-Schlüssel als arm, zu den Bedürftigen zählen viele Kinder. Andererseits ist Bremen der fünftgrößte Industriestandort Deutschlands und beherbergt den zweitgrößten Hafen der Nation, eine der besten Unis sowie Weltmarken. In reicheren Vierteln wie Schwachhausen leben zahlreiche Millionäre, Unternehmer und Akademiker in schicken Häusern, in Bereichen wie Gröpelingen nimmt der Anteil von Immigranten, Arbeitslosen und Empfängern von Hartz IV stetig zu. Außerdem gilt Bremen als Zentrum von Salafisten - ein Antiterroreinsatz im März sorgte für Ärger, weil eine verdächtige Moschee von der Polizei stundenlang nicht überwacht wurde.
Die Möglichkeit eines rot-rot-grünen Experiments wurde sofort beiseite gelegt. Dafür müssten sich SPD und Grüne von der schwarzen Null verabschieden und mehr in Schulen investieren, sagte die Linken-Anführerin Kristina Vogt, deren Partei annähernd zehn Prozent bekam. Bremen werde kaputt gespart und verstärke die soziale Spaltung, klagen die Linken und halten den SPD-Slogan "Miteinander" für Hohn. Rot-rot-grün? "Keine Option", sagte Böhrnsen. Bremen will bis 2020 die Schuldenbremse einhalten. Innensenator Ulrich Mäurer bat kürzlich sogar die Fußball-Bundesliga für ein teures Großaufgebot an Polizisten beim Derby Werder gegen HSV zur Kasse. Selbst die CDU-Bewerberin Elisabeth Motschmann, geborene Baronesse von Düsterlohe, predigt soziale Gerechtigkeit. Die CDU ist nun wieder Bremens Nummer zwei. Frau Motschmann erkennt "ein klares Signal an Rot-grün, ein weiter so geht nicht mehr". Es war der Tag, an dem die verarmte Hochburg der SPD ins Wanken geriet.