Bürgerschaftswahl in Hamburg:Wahlkampf der letzten Meter

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins: Buchstäblich bis zur letzten Minute buhlten die Parteien um die Stimmen der Hamburger. Eindrücke vom Wahlkampffinale.

Oliver Das Gupta, Hamburg

Die letzten Stunden des Wahlkampfes verlangen großen Einsatz und - warme Kleidung. Selbst wenn es sich um einen Freibeuter handelt. Grimmig schaut der Pirat drein und klammert sich an eine meterlange Stange, an deren Ende die Flagge der Piratenpartei im eisigen Wind flattert. Einen Steinwurf entfernt, am Eingang zur Hamburger Fußgängerzone, verteilt ein frierender Parteifreund "Kaperbriefe" an die Passanten, in denen der "Angriff auf Bürgerrechte" gegeißelt wird.

Bürgerschaftswahl - Stimmabgabe

Knapp 1,3 Millionen Hamburger sind zur Bürgerschaftswahl aufgerufen. Alles deutet auf einen großen Erfolg der Sozialdemokraten hin, während die FDP um den Einzug ins Landesparlament bangen muss.

(Foto: dpa)

"Die haben ihren Zenit überschritten", sagt ein junger Mann in Sichtweite und bietet Kugelschreiber samt Flyer der FDP an: Er gehört zum FDP-Nachwuchs, den Julis. Einer erzählt, er wolle nicht weiter Politik machen, das sei "zu schmutzig." Ein anderer der auffällig gut Gekleideten meint, die Stimmung in der FDP fühle sich nicht nach 4,9, sondern nach 5,1 Prozent an. Und später gehe man nach St. Pauli. "Wir machen nonstop weiter und kämpfen um jede Stimme."

Es ist ein Wahlkampf der letzten Meter. Am frühen Samstagabend vor dem Urnengang neigt sich der Parteienwettstreit dem Ende zu, der kurz und bisweilen auch heftig war. Intensiv buhlen seit Jahresbeginn die Parteien um die 1,26 Millionen stimmberechtigten Hanseaten. Politprominenz aus Berlin mischte mit, auch die Kanzlerin und ihr zuletzt zum Selbstverteidigungsminister mutierter Kabinettstar aus Bayern traten auf. Etliche "Duelle" der Hamburger Spitzenkandidaten hat es gegeben, von den kleinen und den größeren Parteien, abgedruckt in Zeitungen und übertragen im Fernsehen. Zuletzt beharkten sich die Kandidaten um den Posten des Ersten Bürgermeisters, der christdemokratische Amtsinhaber Christoph Ahlhaus und sein SPD-Herausforderer Olaf Scholz, vor laufenden Kameras.

Im Rest Deutschlands ist diese Bürgerschaftswahl dennoch erst in den vergangenen Tagen wahrgenommen worden, die Umstürze in der arabischen Welt und der Wirbel um Doktor zu Guttenberg absorbierten das Interesse.

Das dürfte sich nun ändern: Alle Zeichen stehen auf einen Erdrutschsieg der SPD, die seit zehn Jahren regierende CDU hofft, dass ihre Verluste nur herb und nicht dramatisch ausfallen. Seit dem Bruch der schwarz-grünen Koalition im November 2010 zeichnet sich dieses Szenario ab, spannend wird dieser Wahlsonntag trotzdem: Wird die SPD die absolute Mehrheit holen? Wie stark werden die Grünen, deren Umfragewerte immer schlechter wurden? Schafft es die außerparlamentarische FDP wieder ins Landesparlament? Und kommt die von der Kommunismus-Debatte in Mitleidenschaft gezogene Linkspartei auf mehr als fünf Prozent?

Die Chancen der FDP stehen so schlecht nicht

Zweifellos wirkt sich der hanseatische Wahlausgang auch auf den Rest der Republik aus: Ein Kantersieg des SPD-Kandidaten Scholz wäre für die gerupften Sozialdemokraten wie Adrenalin für die weiteren sechs Landtagswahlen dieses Jahres.

Andersrum dürfte ein Desaster der Union sich auf die Stimmung der wahlkämpfenden Landesverbände in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auswirken, von der Bundespolitik ganz zu schweigen. Guido Westerwelle hofft auf ein FDP-Ergebnis über fünf Prozent. Sollten die Elb-Liberalen abermals vier Jahre draußen bleiben, würde die Debatte um die Zukunft des angezählten Parteichefs und Vizekanzlers wohl bald wieder aufflammen.

Die Chancen für die FDP stehen so schlecht nicht: Sie bieten mit Katja Suding ein frisches Gesicht auf, aber womöglich noch entscheidender wird sich das neue Wahlrecht auswirken. Erstmals kann jeder Hamburger 20 Stimmen verteilen - je zehn für Bürgerschaft und für die Bezirksversammlungen. Die Möglichkeit des Stimmensplittens kommt eher den kleineren Parteien zupass.

"Verloren haben wir die Wahl eh schon"

Klar scheint zu sein, wer den Stadtstaat an der Elbe künftig regieren wird: Olaf Scholz. Die Umfragen sehen seine SPD bei satten 46 Prozent. "Der macht denselben inhaltsarmen Wahlkampf wie wir früher mit Ole von Beust", seufzt ein namhafter Hamburger Christdemokrat. "Ole wählen" stand etwa 2004 auf den CDU-Wahlplakaten, dazu das Konterfei des populären Ex-Stadtvaters. Damals holte die Union erstmals die absolute Mehrheit.

Ähnlich wortkarg gibt sich nun die SPD: "Klarheit" prangt auf den Scholz-Plakaten. Mit Versprechungen hält sich Scholz auffällig zurück; die Attacken von Ahlhaus, der ihm Unehrlichkeit und Wahlbetrug vorwirft, perlen an ihm ab. Scholz bleibt aus Kalkül vage, statt konkret zu werden, wiederholt er lieber Sätze wie "Pragmatismus ist zu Unrecht diskreditiert".

Früh hat sich der frühere Arbeitsminister auf die Grünen als Wunschpartner festgelegt, auf Offerten von der FDP ging er ebensowenig ein wie auf Signale von Ahlhaus, der sich im sueddeutsche.de-Interview offen für eine große Koalition zeigte. Scholz wollte nicht wackeln, er wolle Rot-Grün, versicherte er. Im Wahlkampfendspurt zog Scholz dann die Daumenschrauben an: Auf Townhall-Meetings versichert er, in Sachen Wirtschaft und innerer Sicherheit kaum Grün zuzulassen, im Interview mit sueddeutsche.de beerdigt er das Lieblingsprojekt der Ökopartei, die Stadtbahn. Und im TV-Duell mit Ahlhaus bekennt er sich zur Elbvertiefung und schließt eine City-Maut aus. Bewusst torpediert Scholz mögliche Grüne Vorzeigethemen, andere wie die Abschaffung der Studiengebühren, besetzt er einfach ebenso, nach dem Motto: Wenn nichts Grünes bleibt, können die Hamburger gleich SPD wählen.

Bei vielen Grünen löst das Beklemmung und Sorge aus, Radau will aber niemand vor der Wahl. In den letzten Tagen klebten sie auf die Plakate ihrer Spitzenkandidatin Anja Hajduk den Appell, zu viel Rot zu verhindern und darum Grün zu wählen.

Ähnliche Worte kommen auch von Lennart und seinen Mitstreitern. Der Jung-Grüne steht frierend nachts um halb eins auf der Reeperbahn und versucht mit Aufklebern, Bonbons und Flyern den einen oder anderen Nachtschwärmer in ein Gespräch zu verwickeln. Es ist ein bizarres Schauspiel: Feierwütige Jugendliche strömen vorbei, zwei Betrunkene kicken auf einem kleinen freien Stück des Bürgersteigs den Ball hin und her, in der Nähe flimmern nackte Hinterteile über zwei Monitore einer Tabledance-Bar. Und mitten drin ein Grünen-Sonnenschirm, neben dem Lennart und seine Leute stehen. Ein originäres Thema für die Grünen im künftigen Senat kann er nicht nennen, einer seiner Parteifreunde sagt etwas vom Ausbau der Radwege. Die Grünen hadern hörbar nach wie vor mit dem Volksentscheid, der ihre Schulreform zu Fall brachte.

Die Konkurrenz von den Jungen Liberalen kam auch schon vorbei, man kennt sich, man grüßt sich. "Und anschließend geht man dann oft ein Bier trinken", erzählt Lennart. Das gilt auch für den jungen Mann von der CDU, der zu Lennart kommt. Man kennt sich aus dem Jura-Studium. "Ich hoffe, wir kriegen noch 27 Prozent", sagt der junge Konservative.

In seiner Hand hält er ein Bündel CDU-Flugblätter, er scheint unschlüssig, ob er sie noch verteilen soll. Ihm sei entschieden zu kalt, sagt er dann zu dem Grünen, er werde jetzt nach Hause gehen: "Verloren", sagt der Unionsmann und schüttelt den Kopf, "verloren haben wir die Wahl eh schon."

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