Bürgerschaftswahl:Bremer Farbenlehre

Carsten Sieling, mayor of Bremen and Germany's Social Democrats (SPD) top candidate takes part in an election campaign in Bremen

Bremens SPD-Bürgermeister Carsten Sieling ist beliebter als sein CDU-Herausforderer, doch ihm schadet das derzeitige Image seiner Partei.

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Die SPD zittert um ihre uralte Bastion. Doch die Bürgerschaftswahl eröffnet viele Koalitions-Möglichkeiten - dabei gibt es nur eine feste Größe.

Von Peter Burghardt, Bremen

Am Freitagnachmittag auf dem Bremer Marktplatz ist es, als müsste eine Festung verteidigt werden. In Mannschaftsstärke haben die Genossen ihre wichtigsten Männer und Frauen auf eine Bühne und an Stände gestellt: Bei Bürgermeister Carsten Sieling stehen da unter anderem die Parteichefin Andrea Nahles, die Europa-Spitzenkandidatin Katarina Barley, Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas. Sogar Kevin Kühnert macht Station. Es geht um Europa. Und es geht hier um dieses Rathaus, die plötzlich so wacklige Bastion der Sozialdemokratie.

Seit 73 Jahren regiert die SPD ununterbrochen hinter der Renaissance-Fassade, sie beherrscht dieses kleinste Bundesland noch hartnäckiger als die CSU Bayern. Das könnte sich bei den Bürgerschaftswahlen am Sonntag ändern, es wird knapp. In den Umfragen führt die CDU mit ihrem Bewerber Carsten Meyer-Heder, IT-Unternehmer und Parteimitglied seit März 2018. Zuletzt wurden seiner Union 26 Prozent vorausgesagt und Sielings SPD 24,5 Prozent. Die Genossen könnten ihre Hochburg verlieren, was bis nach Berlin zu spüren wäre und sogar bei Beobachtern wie dem Londoner Economist Beachtung findet.

Entscheiden müssen nachher wohl die Grünen, die als einzige Partei ziemlich sicher auch im nächsten Bremer Senat sitzen werden. "Ultraspannend" werde es, sagt in ihrem Büro Maike Schaefer, die Spitzenfrau der Grünen, die zuletzt stabil bei 18 Prozent standen. Am liebsten würden die Grünen mit der SPD weitermachen, seit 2007 bilden sie gemeinsam die Landesregierung, aber für Rot-Grün allein wird es nicht mehr reichen. Die Grünen müssen dann vermutlich darüber befinden, ob sie Rot-Rot-Grün oder Jamaika wollen, eine Groko schließt die SPD aus. "Schwerwiegende Entscheidung für uns, große Verantwortung", sagt Maike Schaefer. Es werde für die Grünen darum gehen: "Wo ist am meisten Grün drin?"

Gegen Mitte-Links spricht, dass die Linken den Grünen zu wenig aufs Geld achten, die Grünen wollen die Schuldenbremse achten und tilgen. Ihre Finanzsenatorin Karoline Linnert war maßgeblich an der Sanierung des Bremer Haushalts beteiligt. Gegen Jamaika spricht, dass die Grünen bei Umwelt und Verkehr grünere Vorstellungen haben als die FDP, deren Anführerin mit 450 PS protzt. Wobei es die FDP erst mal ins neue Parlament schaffen muss. Es könnte sogar sein, dass Carsten Meyer-Heder und die CDU gewinnen, aber Carsten Sieling und die SPD mit Grünen und Linken trotzdem im Vorteil wären.

Um ihre Bastion zu retten, wirbt die SPD sogar mit Altbürgermeister Scherf

Ein historischer Tiefpunkt dürfte es so oder so werden für die Sozialdemokraten an der Weser, sie stürzen auch in der einstigen Arbeiter- und Werftenstadt ab, wenn auch nach wie gehabt ein paar Prozent über dem SPD-Bundestrend. Bremen hat unter den Bundesländern die schlechteste Bilanz bei Arbeitslosigkeit (9,7 Prozent), Schulden, Armut (jedes dritte Bremer Kind ist davon bedroht) und Bildung. Manches davon ist Spätfolge des Bremer Strukturwandels, aber: "Man kann nicht alle Probleme kleinreden", findet die Grüne Schaefer, "die CDU profitiert von der Unzufriedenheit mit der SPD." Der CDU-Bewerber Meyer-Heder, 58, macht auf Manager und hat Bremen mit orangen Plakaten und schrillen Sprüchen vollkleben lassen.

Als Politiker ist der ruhige Bürgermeister Sieling, 60, zwar populärer als sein Herausforderer. Auch wuchsen unter ihm die Zahl der Jobs und die Zuschüsse aus Berlin, Bremens Mindestlohn steigt auf 11,13 Euro, marode Schulen werden teilweise saniert oder neu gebaut. 2015 war er ins Amt gekommen, weil Vorgänger Jens Böhrnsen die Wahl mit 32,8 Prozent klar gewonnen, aber so viele Stimmen verloren hatte, dass er abtrat und der Bundestagsabgeordnete Sieling einsprang. Doch wie schlecht es um die SPD in dieser Hansestadt steht, das sieht man auch daran, dass sie ein Foto von Altbürgermeister Henning Scherf und dessen Frau auf ein Sieling-Plakat gedruckt hat. Unter Scherf hatte Bremens SPD noch bequeme Mehrheiten.

"Das ist nicht mehr Krise, das ist Erfolg", ruft Carsten Sieling am frühem Freitagabend am Rathaus. "Wir erteilen einer unsozialen Wende eine klare Absage." Andrea Nahles wirbt für Sieling, die SPD, Europa. "Bremen wird gut regiert", sie schreit. Und: "Wir wollen mehr Europa, ein sozialeres Europa." Sie spricht von Frieden und davon, dass sie nicht wisse, "was in den nächsten Wochen und Monaten passiert". Man wird sehen, was am Sonntag in Bremen passiert.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: