Bürgerrat des Bundestags:Wie Bürger die Politik beraten

Bürgerrat zu 'Deutschlands Rolle in der Welt'

Sie wollen neue Formen der Bürgerbeteiligung erproben (von links): Claudine Nierth von "Mehr Demokratie", Bürgerrats-Vorsitzende Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) - hier beim Auftakt des Bürgerrats im Januar.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

152 zufällig ausgewählte Deutsche haben in einem Bürgerrat Empfehlungen zu "Deutschlands Rolle in der Welt" erarbeitet - erstmals im Auftrag des Bundestages. Wie hat das funktioniert und was passiert mit den Ergebnissen?

Von Peter Lindner

Am Ende passt alles auf 76 Seiten: Deutschlands Rolle in der Welt - so, wie sich Bürgerinnen und Bürger diese künftig vorstellen. Ein Bürgerrat, zusammengesetzt aus 152 per Los bestimmten Deutschen, hat über sechs Wochen Empfehlungen dazu erarbeitet und in einem Bürgergutachten ausformuliert. "Ich habe viel gelernt," sagt Teilnehmer Michael Korth. Der 41-Jährige aus Bad Langensalza in Thüringen ist als einer von zwei Bürgerräten dabei, wenn die Ergebnisse an diesem Freitag in Berlin Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übergeben werden. Korth hat klare Erwartungen.

Der bundesweite Bürgerrat zu "Deutschlands Rolle in der Welt" ist der erste, der vom Bundestag beauftragt wurde. Alle Teilnehmenden wurden zufällig aus den Einwohnermelderegistern ausgewählt. Sie sollen eine Art Mini-Deutschland abbilden. Sämtliche Bevölkerungsschichten und Altersgruppen waren vertreten, aus verschiedenen Teilen des Landes. 50 Stunden nahm sich jede und jeder Zeit für die Beratungen, pandemiebedingt online und in moderierten Kleingruppen. Experten speisten Fachwissen ein, um die Basis für zielführende Diskussionen zu schaffen. Ist das gelungen?

Ja, findet Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. Der Partizipationsexperte hat viele der digitalen Diskussionen im Bürgerrat mitverfolgt und evaluiert den Prozess. Noch ist seine Studie nicht abgeschlossen. Es zeige sich aber bereits, dass "die Teilnehmenden mit der Diskussionskultur zufrieden waren und die Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger zu differenzierten, belastbaren Ergebnissen" geführt habe.

"Faire Partnerin und Vermittlerin"

Einige dieser Resultate sind in "Leitsätzen" festgehalten. Darin wird unter anderem die Rolle der Bundesrepublik als "faire Partnerin und Vermittlerin" beschrieben. Deutschland dürfe sich nicht verstecken, müsse in der Welt Verantwortung übernehmen und selbstbewusst für Werte eintreten. Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Wahrung der Menschenrechte sowie Frieden und Sicherheit seien hierbei Fixpunkte.

Doch finden sich in den insgesamt 32 Empfehlungen auch konkrete Forderungen - wie jene nach einem Nachhaltigkeitsministerium oder nach einem Aufnahme-Programm der EU für Geflüchtete, "um die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern an den EU-Außengrenzen zu beenden". Die Bandbreite der Vorschläge ist groß - wie das vom Bundestag vorgegebene Thema: Nicht jeder sah "Deutschlands Rolle in der Welt" als eine glückliche Wahl an.

"Das Thema war absolut ungeeignet für einen Bürgerrat", findet Teilnehmer David Zwicker aus Göttingen. Es sei sehr komplex und zu weit weg von der Lebenswelt der Menschen. Ohne tieferes Fachwissen lasse sich das nicht sinnvoll bearbeiten. Die Expertenvorträge seien zwar hilfreich gewesen, doch nicht ausreichend, um eine nicht nur oberflächliche Diskussion in Gang zu bringen. "Die Bandbreite der Positionen war leider nicht besonders groß", sagt der 37-Jährige. Auch auf die Qualität der Ergebnisse habe sich das ausgewirkt. Das Instrument Bürgerrat hält Zwicker dennoch für zukunftsträchtig.

Distanz zwischen Bürgern und Politikern verringern

Nicht nur in Deutschland, auch weltweit entstehen immer mehr Bürgerräte. Schäuble sieht sie als "einen wichtigen Ansatz, um unsere parlamentarische Demokratie zukunftsfähig" zu machen. Das Ziel: Bürger und Politiker wieder näher zusammenbringen.

Die Resultate sollen jetzt in den politischen Betrieb eingespeist werden. Bloß wie? Für Abgeordnete besteht keine Verpflichtung, sich mit den Vorschlägen zu beschäftigen oder gar Rechenschaft darüber abzulegen, was mit ihnen passiert. Claudine Nierth vom Verein "Mehr Demokratie" ist dennoch zuversichtlich: "Wir haben bereits Rückmeldungen aus allen Fraktionen im Bundestag, dass sie bereit sind, die Ergebnisse aufzugreifen", sagt die Mitinitiatorin des 1,85 Millionen Euro teuren Projekts, das von Stiftungen und mit Spenden finanziert wird. Nierth wünscht sich von den Parlamentariern, dass sie den Bürgerräten eine Rückmeldung geben und beispielsweise begründen, wenn manche Vorschläge womöglich nicht weiterverfolgt werden.

Auch Michael Korth erwartet das. "Für uns Bürgerräte wäre das eine Anerkennung unserer Arbeit." Vor allem in Zeiten wie diesen, die von gesellschaftlichen Spannungen geprägt seien, halte er es für "extrem wichtig", dass die Anliegen der Bürger ernst genommen würden. Das möchte Korth auch Schäuble persönlich sagen. "Wenn die Politik das aber alles abtut und im Schreibtisch verschwinden lässt, dann schadet das der Demokratie."

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