Valérie Pécresse wirkte verstört, als sie im Eingang des Parteigebäudes in der Pariser Rue de Vaugirard ein paar Worte sagte. Am Vorabend hatte sie das mit Abstand schlechteste Ergebnis für die Rechtsbürgerlichen in der ersten Runde einer französischen Präsidentschaftswahl eingefahren. "Debakel", "monumentaler Crash", "kolossales Scheitern", solche Vokabeln waren aus den Medien auf sie eingeprasselt. Und weil die 4,8 Prozent der Stimmen, die sie holte, knapp zu wenig sind, um einen großen Teil der Wahlkampfkosten vom Staat zurückzuerhalten, musste sie nun auch noch um Spenden bitten. Die Finanzlage sei kritisch, sagte sie mit düsterem Blick, sie selbst habe fünf Millionen Euro investiert, bis Mitte Mai brauche sie das Geld.
Es steht überhaupt nicht gut um Les Républicains (LR), die Partei in der Nachfolge des Staatsgründers Charles de Gaulle, die bis 2015 UMP hieß und allerlei Strömungen rechts der Mitte bündelt: die Gaullisten selbst, Christdemokraten, Konservative, Rechtsliberale. Sie hat die Hälfte aller Präsidenten der Fünften Republik gestellt. In vielen Regionen und Städten ist sie noch stark, doch ihr nationaler Niedergang zeichnet sich seit Längerem ab.
Die Kandidatin wirkte hölzern und unlocker, wie eine schlechte Schauspielerin
Der neue Tiefpunkt hat einiges mit der Kandidatin zu tun und einem Wahlkampf, der allgemein als misslungen bezeichnet wurde. Die ehemalige Ministerin und jetzige Präsidentin der Hauptstadtregion Île-de-France hatte sich in einer parteiinternen Vorwahl im Herbst gegen vier Männer durchgesetzt, unter ihnen der Ex-Brexit-Unterhändler der EU Michel Barnier. Sie werde Frankreich "reparieren", versprach sie, und Schluss machen mit der "unverantwortlichen Schuldenpolitik" Emmanuel Macrons. Frühe Umfragen sahen sie sogar fast gleichauf mit dem Amtsinhaber.
Doch schon bei ihrer ersten Großveranstaltung in Paris fiel sie durch, wirkte hölzern und unlocker, wie eine schlechte Schauspielerin. Das Medienecho war verheerend. Auch inhaltlich gab Pécresse Rätsel auf. Ein klar erkennbares zündendes Thema fiel ihr nicht ein, ihr politischer Kompass schien zu wackeln. 2019 war sie unter Protest gegen den Rechtskurs des populistischen damaligen Vorsitzenden Laurent Wauquiez aus der Partei ausgetreten. Im Wahlkampf aber meinte sie, selbst am rechten Rand fischen zu müssen, und scheute sich nicht, mehrmals die Phrase des "grand remplacement" in den Mund zu nehmen, einen identitären Kampfbegriff, der auf einen angeblich von westlichen Eliten geplanten Bevölkerungsaustausch mit arabischen Immigranten anspielt. Sie werde jene europäischen Staaten unterstützen, die "Mauern hochziehen", sagte sie und verlangte von Einwanderern volle Assimilation. Sie wolle "Franzosen des Herzens, nicht nur auf dem Papier" - ebenfalls ein Konzept der extremen Rechten.
Auch die Partei selbst scheint nicht mehr zu wissen, wohin sie will. Am Tag nach der Wahl erklärte das Präsidium zwar, die Zweitplatzierte der ersten Runde, Marine Le Pen, müsse gestoppt werden, sprach aber, anders als Pécresse in der Wahlnacht, keine Wahlempfehlung für Macron aus. Das holte am nächsten Morgen umso eindringlicher Nicolas Sarkozy nach, von 2007 bis 2012 der bisher letzte Präsident für die Rechtsbürgerlichen. Trotz seiner Probleme mit der Justiz haben seine Worte noch immer bemerkenswert hohes Gewicht im Land. "Wir sollten uns nur nach dem Interesse Frankreichs richten", sagte er und boxte der Parteiführung unmissverständlich in die Rippen: "Man liegt nie falsch, wenn man sich für Klarheit und Konstanz entscheidet."
Soll Christine Lagarde Premierministerin werden?
An der Person Sarkozy lassen sich einige Probleme der Bürgerlichen ablesen. Der 67-Jährige war ihre letzte Führungsfigur, die neben Bling-Bling auch etwas Charisma mitbrachte. Einen Ersatz sucht die Partei seither vergeblich, verheddert sich in internen Machtkämpfen und Streitereien um die Richtung. Sarkozy hat sich von den Républicains seit Längerem entfernt und Macron angenähert, dem Mann, der sich als "weder rechts noch links" versteht und immer wieder Rechtsbürgerliche wie Ex-Premierminister Édouard Philippe oder Innenminister Gérald Darmanin in sein Kabinett geholt hat. Der Präsident und sein Vorvorgänger schätzen einander. Sarkozy empfahl ihm, Christine Lagarde zur Präsidentin der Europäischen Zentralbank zu machen und angeblich auch zu seiner künftigen Premierministerin. Vor gut drei Wochen trafen sich Sarkozy, der sich bis zuletzt geweigert hatte, Pécresse zu unterstützen, und Macron zum Frühstück; angeblich besprachen sie die großen Linien einer künftigen Zusammenarbeit.
Macron streckte den Bürgerlichen am Wahlabend die Hand aus, als er zur Gründung einer "großen politischen Bewegung der Einheit und des Handelns" aufrief. Für Sarkozy steht fest, dass die Républicains im Blick auf die Parlamentswahl im Juni nur überleben können, wenn sie die strikte Opposition aufgeben und sich zumindest partiell in Macrons "präsidentielle Mehrheit" einreihen. Den Stil Macrons imitiert er schon: Eine "neue Epoche" stehe bevor, erklärte er, man müsse "die parteipolitischen Reflexe" hinter sich lassen. Viele altgediente Républicains halten das für genau den falschen Weg. "Wir werden die Rechte nicht wiederaufbauen", kritisierte das Senatsmitglied Bruno Retailleau, "indem wir uns im Macronismus auflösen."