Bürgerkrieg:So ringt die Welt um Syrien

Seit fünf Jahren tobt der Bürgerkrieg, jetzt könnte er bald entschieden sein. Russland, die USA und andere Länder mischen in dem Konflikt mit. Was wollen sie?

Von Paul Munzinger und Benedikt Peters

Sie wollten sich eigentlich an einen Tisch setzen und verhandeln. Doch die Genfer Friedensgespräche, die den syrischen Bürgerkrieg nach fünf Jahren, einer Viertelmillion Toten und Millionen Vertriebenen beenden sollten, wurden vergangene Woche kurzfristig verschoben. Der Krieg ging weiter: Unterstützt von russischen Kampfjets kesselten syrische Regierungstruppen die Stadt Aleppo ein, die zum Teil noch von Rebellen gehalten wird.

Baschar al-Assad, dessen Sturz viele noch vor Monaten als Bedingung für eine Lösung ansahen, steht vor einem entscheidenden Sieg. Putin triumphiert, der Westen schweigt, die nächste Eskalation droht: ein Überblick über die internationalen Akteure und ihre Interessen.

Russland

Im September des vergangenen Jahres wurde Wladimir Putin gefragt, ob es sein Ziel sei, Syriens Machthaber Baschar al-Assad zu retten. "Da haben Sie recht", antwortete der russische Präsident. Wenige Tage später flogen russische Kampfjets die ersten Luftangriffe über syrischem Gebiet. Nun, vier Monate später scheinen sie diesem Ziel näherzukommen. Auch nach Einschätzung des Chairman of the Joint Chiefs of Staff, des Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs, General Joseph Dunford, ist es Russland gelungen, das Regime militärisch zu stabilisieren; an mehreren Fronten in Syrien geht es erstmals seit Jahren wieder in die Offensive. Russland stützt Assad, um ein Abrutschen Syriens ins Chaos zu verhindern, so zumindest die Version Moskaus.

Offiziell bombardieren die russischen Flugzeuge die Terroristen des IS, nicht die Rebellen. Im Westen glaubt das längst niemand mehr. In der vergangenen Woche und am Wochenende flog die russische Luftwaffe Hunderte Angriffe auf Dörfer an der Straße, die Aleppo mit der türkischen Grenze verbindet. Die einst größte Stadt Syriens, die zum Teil von Rebellen gehalten wird, ist nun eingekesselt. Sollte die Regierung Aleppo vollständig zurückerobern, wäre dies ein strategisch und symbolisch wichtiger Sieg - die Belagerung anderer Städte dauerte zum Teil Jahre.

Der russisch-syrische Vorstoß auf Aleppo, während in Genf eigentlich über eine politische Lösung verhandelt werden sollte, ist ein Affront, doch die internationalen Proteste prallen an Russland ab. Putin versucht momentan, mit massiven Luftangriffen den Regierungstruppen Vorteile auf dem Schlachtfeld zu verschaffen. Deswegen sprechen fürs Erste die Waffen.

USA

Die USA wollen die Herrschaft des syrischen Machthabers Baschar al-Assad beenden - in erster Linie aber die Terrormiliz Islamischer Staat bekämpfen. Sie unterstützen moderate Rebellengruppen, aber keine radikal-islamistischen Aufständischen. Zunächst lieferte Washington Waffen und unterstützte die Ausbildung von einigen Tausend Kämpfern. Dies billigte das US-Repräsentantenhaus 2014. Allerdings sollen bereits seit 2012 Waffen geliefert worden sein - unter Mitwirkung des Geheimdienstes CIA.

Seit September 2014 fliegt eine von den USA geführte Koalition zudem Luftangriffe in Syrien. Sie richten sich aber nicht gegen das Assad-Regime, sondern gegen die Terrormiliz des sogenannten "Islamischen Staats", die im irakisch-syrischen Grenzgebiet Fuß gefasst hat. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums haben sich an den Luftschlägen auf syrischem Territorium neun weitere Länder beteiligt: Australien, Bahrain, Kanada, Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, Großbritannien und Frankreich. Kanada hat inzwischen seine Beteiligung aufgegeben.

Um den syrischen Bürgerkrieg zu beenden, setzten die USA bisher auf eine Verhandlungslösung: Gespräche mit Kriegsparteien und Unterstützern gab es etwa in Wien und Genf. Doch sie erbrachten wenig Zählbares. Zuletzt wurden die Genfer Friedensgespräche auf Ende Februar vertagt. US-Außenminister John Kerry gab der russischen Seite daran eine Mitschuld: Moskau und Damaskus hätten kein Interesse an einer politischen, sondern suchten eine militärische Lösung. Angesichts der zunehmenden russischen Aktivitäten auf Seiten des Assad-Regimes und der zunehmenden Schwächung der moderaten Rebellengruppen werden Rufe nach einem stärkeren Eingreifen der USA immer lauter.

Saudi-Arabien

Saudi-Arabien möchte Assad stürzen. Riad unterstützt syrische Rebellen, gemäßigte wie auch islamistische, mit Waffen und Geld. Seit 2014 ist Saudi-Arabien Teil der von den USA angeführten internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat. Fast 200 Luftangriffe hat das Königreich geflogen - von mehr als 8000. Doch Bombardements, das sagte am Sonntag Ahmed al-Assiri, Militärsprecher des Königreichs, seien nicht genug. Um den IS zu schlagen, brauche es ein kombiniertes Vorgehen aus der Luft und am Boden. Saudi-Arabien sei bereit, so Assiri weiter, "sich an jeder Bodenoperation der Koalition in Syrien zu beteiligen" - vorausgesetzt, die Operation würde von den USA angeführt. Auch Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate verschickten entsprechende Verlautbarungen.

US-Präsident Barack Obama hat bislang abgelehnt, US-Soldaten in den Kampf gegen den IS zu schicken, das hat er mehrfach betont. Und doch hat die Ankündigung Saudi-Arabiens erhebliche Irritationen ausgelöst - scheint sie doch die nächste Eskalationsstufe in diesem Konflikt einzuläuten. Der syrische Außenminister drohte umgehend, wer nach Syrien eindringe, werde das Land "im Holzsarg" wieder verlassen. Eine irakische Schiiten-Miliz verkündete, die "Tore der Hölle" würden geöffnet, sollten sich die arabischen Staaten zum Eingreifen in Syrien entschließen.

Was die EU, die Türkei und Iran wollen

Wie alle anderen Konfliktparteien auch verfolgt Riad in Syrien eigene Ziele. Das sunnitische Königreich will den Einfluss seines schiitischen Erzrivalen Iran eindämmen, der mit Saudi-Arabien machtpolitisch und ideologisch um die Vormachtstellung in der Region kämpft. Nach Aufhebung der westlichen Sanktionen ringen beide Länder außerdem verstärkt um Marktanteile beim Öl. Die zunehmenden Geländegewinne der syrisch-russisch-iranischen Allianz in Syrien setzen Riad unter Druck. In Teheran argwöhnen sie nun, Saudi-Arabien wolle die eigenen Ziele in Syrien auch militärisch erreichen - unter dem Mantel des Anti-Terror-Einsatzes. Sie wären nicht die Ersten (siehe Russland).

Iran

Iran ist Assads ältester und wichtigster Verbündeter. Teheran liefert Waffen und Geld nach Damaskus und finanziert die schiitische Hisbollah-Miliz; die syrischen Regierungstruppen werden von Offizieren der iranischen Revolutionsgarden unterstützt. Iran sieht in Assad das letzte Bollwerk gegen die Terroristen, wobei das Verständnis von "Terroristen" sehr weit gefasst ist. Darunter fällt der IS, aber ebenso alle bewaffneten Gruppen, die gegen Assad kämpfen. Zugleich ist Assad der einzige wirkliche Bündnispartner der Iraner in der arabischen Welt. Syrien ist unter seinem Regime zudem strategisches Hinterland und Versorgungsroute für die Hisbollah in Libanon. Die Miliz wurde von den iranischen Revolutionsgarden zum Kampf gegen Israel gegründet.

Was für Saudi-Arabien gilt, gilt auch für Iran: Ohne die beiden regionalen Vormächte ist eine Lösung des Syrien-Kriegs nicht vorstellbar. Zugleich besteht die Gefahr, dass die beiden Staaten sich aufgrund der zunehmend offen ausgetragenen Feindschaft zum Friedenshindernis entwickeln. Frank-Walter Steinmeier, der in der vergangenen Woche erst Teheran, dann Riad besuchte, mahnte, gerade starke Nationen trügen "Verantwortung für ihre Nachbarschaft". Die Frage wird sein, ob Iran und Saudi-Arabien unter Verantwortung das Gleiche verstehen wie der deutsche Außenminister.

Türkei

Wie die USA will auch die Türkei den Sturz Assads. Aber mindestens genauso wichtig ist es für die Führung in Ankara, zu verhindern, dass sich im türkisch-syrischen Grenzgebiet ein unabhängiger Kurdenstaat bildet. Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden in der Türkei unterdrückt sie seit Jahrzehnten, doch ihre Einflussmöglichkeiten in Syrien sind begrenzt.

Nach einem Selbstmordattentat eines mutmaßlichen IS-Kämpfers im türkischen Suruç begann Ankara vergangenen Juli mit Luftangriffen in Syrien. Diese trafen sowohl die Terrormiliz IS als auch Stellungen kurdischer Kämpfer der sogenannten Volksverteidigungseinheiten (ihre kurdische Abkürzung lautet YPG). Diese sind ein Ableger der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Wie die kurdischen Peschmerga im Irak bekämpfen Volksverteidigungseinheiten die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien. Sie profitieren aber derzeit offenbar auch von der Offensive der Assad-Truppen gegen Aleppo, in deren Rücken sie Dörfer erobern konnten.

Die Türkei hat die USA und andere westliche Staaten immer wieder harsch dafür kritisiert, dass sie kurdische Milizen im Kampf gegen den IS unterstütze. So erklärt sich auch die harsche Reaktion der Türkei auf einen Besuch des US-Sondergesandten Brett McGurk in der von kurdischen Kämpfern befreiten syrischen Stadt Kobanê. ´Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan forderte die US-Regierung auf, sich zu entscheiden, ob sie auf seiner Seite oder aber auf der der "Terroristen" stehe.

Europäische Union

Die Europäische Union fordert ebenfalls den Rücktritt Assads und ein Ende der Gewalt in Syrien. Dabei leitet die Mitgliedsländer, nicht zuletzt Deutschland, auch ein Eigeninteresse. Schließlich ist die Europäische Union das Ziel von Millionen Flüchtlingen, deren Größenordnung auch mit dem syrischen Bürgerkrieg zusammenhängt.

In der Frage, wie die Terrormiliz IS in Syrien und dem Irak bekämpft werden soll, sind die EU-Mitgliedsländer gespalten. Frankreich und Großbritannien etwa haben sich der US-geführten Anti-IS-Koalition angeschlossen. Sie fliegen Luftangriffe gegen die Terrormiliz in Syrien, was moderate, mit dem IS verfeindete Rebellengruppen zumindest teilweise entlastet. Andere EU-Mitgliedsländer kämpfen ebenfalls gegen den IS, allerdings bisher nur auf irakischem Gebiet, etwa die Niederlande, Belgien und Dänemark. Deutschland unterstützt die Koalition etwa mit Aufklärungsflugzeugen und mit der Ausbildung kurdischer Peschmerga, beteiligt sich aber nicht an den Angriffen.

Parallel bemühen sich führende EU-Länder um eine Verhandlungslösung. Vergangene Woche besuchte Außenminister Frank-Walter Steinmeier Teheran und Riad, um zwischen den beiden wichtigen Unterstützerparteien zu vermitteln.

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