Bürgerkrieg in Syrien:Obamas Schubladen

Können Barack Obama und Wladimir Putin den Syrien-Krieg beenden? Ihr Treffen gibt Anlass zu Hoffnung - wenn auch nur zu sehr, sehr wenig.

Von Nicolas Richter

Präsident Barack Obama beherrscht die psychologische Kunst der compartmentalization, zu Deutsch: des Schubladendenkens. Es ist die Kunst, widersprüchliche innere Standpunkte zu dulden. So rügt Obama zwar die computerhackende chinesische Regierung, gewinnt sie aber als Verbündete beim Klimaschutz. Ähnlich kommt Obama mit den Erzfeinden Iran und Kuba ins Geschäft. Und nun versucht er es mit Russland: In eine gedankliche Schublade sortiert er Wladimir Putin, den Krim-Annektierer ein; in der anderen könnte jetzt der Syrien-Verbündete Putin Platz finden.

In den internationalen Beziehungen nennt man diese Art des Denkens Realpolitik. Sie führt dazu, dass man Regime und Staatschefs, die man verachtet, für Kooperationen gewinnt. Dabei kommt es zu so seltsamen Vorgängen wie jetzt in New York: Obama und Putin werfen einander vor, die Welt in Brand zu setzen, stoßen widerwillig mit Sekt an und unterhalten sich dann, wenn auch ohne Ergebnis, 90 Minuten lang über die Weltlage.

Man mag sich Putin wegwünschen - reden muss man trotzdem mit ihm

Natürlich ist es richtig, dass sich Obama mit Putin trifft. Der US-Präsident findet es zu Recht unsinnig, dass man andere zu bestrafen glaubt, indem man nicht mit ihnen redet, und dass man hundert Prozent Erfolg zur Bedingung für Verhandlungen erklärt. Washingtons Falken schimpfen zwar, Obama sei naiv und habe Putin "aufgewertet", aber das sind die gleichen Leute, die Amerikas Irak-Invasion für eine tolle Idee hielten und Irans Atomprogramm nie in den Griff bekamen. Wer mit Putin redet, erkennt bloß eine Tatsache an: Russland ist im Nahen Osten, zumal in Syrien, eine Macht, und so viele Gründe es dafür geben mag, sich Putin wegzuwünschen, so sehr ist er nun mal Russlands Präsident. Man kann ihn gleichzeitig wegen der Ukraine bestrafen und doch mit ihm über Syrien sprechen.

Wo also liegen Möglichkeiten und Grenzen des seltsamen Paares? Im Kern sind deren Haltungen nicht zu versöhnen: Die USA verlangen, dass Syriens Diktator und Fassbombenwerfer Baschar al-Assad verschwindet; Russland lobt den heldenhaften syrischen Kampf gegen den "Islamischen Staat". Dieser Grundkonflikt, verstärkt durch die Animositäten der Ukraine-Krise, lähmt die Vereinten Nationen seit vier Jahren und hat Syriens Bürgerkrieg zu einem endlosen Albtraum mit einer Viertelmillion Toten wachsen lassen.

Andererseits aber zeichnen sich inzwischen gemeinsame Interessen ab und ein paar Möglichkeiten für eine Annäherung, denn beide Präsidenten haben mit der jetzigen Lage ein Problem. Obama deshalb, weil die Flüchtlinge seine europäischen Verbündeten belasten und weil der IS-Terror eines Tages die USA treffen könnte. Putin deshalb, weil er mit seiner fortgesetzten Unterstützung für Assad die Sunniten gegen sich aufbringt und weil der Konflikt den muslimischen Süden Russlands in Brand setzen könnte.

Bei der Frage nach Assads Zukunft könnten die Schubladen helfen

Die Krise führt beide Präsidenten vor. Obama hat für Syrien keinen Plan - eine US-Invasion kommt nach dem Irak-Desaster nicht in Frage, und in Syrien haben die USA zwar viele Feinde, aber keine Verbündeten. Während es Obama also an einer Strategie fehlt, mangelt es Putin an Ehrlichkeit: Er preist das Assad-Regime als Bollwerk gegen Islamisten, dabei wollte und will es die gemäßigte Opposition ausmerzen. Putin dürfte wissen, dass es mit Assad keine syrische Zukunft gibt, schon gar keine friedliche, und dass Zugeständnisse in der Syrien-Frage Moskau einen Weg ebnen würden aus der Isolation, die auf die Annektierung der Krim folgte.

Theoretisch können sich die USA und Russland annähern, indem sie in Schubladen denken. Sie können die Schublade mit der Assad-Frage erst einmal schließen und eine andere öffnen: Jene zum Beispiel mit den UN-Resolutionen, die sie gemeinsam verabschiedet, aber nie umgesetzt haben - etwa zur humanitären Hilfe und zum Verbot von Fassbomben. Anschließend könnten sie ihre Militärschläge gegen den IS abstimmen, also gegen den größten gemeinsamen Feind. Sollte Vertrauen wachsen, ließe sich die Assad-Schublade öffnen und überlegen, ob Militär und Verwaltung nicht ohne den Diktator bestehen können. Putins Worte bei den UN nähren den Verdacht, dass er sich das Regime ohne Assad vorstellen kann.

Die Aussichten auf Erfolg sind außerordentlich klein, zumal man Putin erfahrungsgemäß alles Mögliche zutrauen muss. Aber es ist das Wesen der Diplomatie, dass man bei minimaler Übereinstimmung beginnt. Sowohl Obama als auch Putin haben bewiesen, dass sie zum notwendigen Schubladendenken fähig sind. 2013 haben sie bereits gemeinsam Assads Chemiewaffen einsammeln lassen. Sie verachten einander, haben jetzt aber 90 Minuten geredet. Das ist ein Anfang, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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