Bürgerkrieg in Syrien:Hilferuf aus der Folterhölle

Entführt, erpresst, gefoltert: Die Leidensgeschichte von Mohamed-Fawzi Yosef kann nicht überprüft werden, klingt jedoch plausibel. Der Deutsch-Syrer sitzt im umkämpften Aleppo im Gefängnis und sieht sich als Opfer einer Intrige von Geheimdienstlern. Via Skype ruft er um Hilfe.

Tomas Avenarius, Damaskus

Es ist eine Stimme aus dem Off. Buchstaben auf dem Bildschirm des Computers, ein verzweifelter Hilferuf per Skype. Ob die Angaben stimmen, lässt sich nicht prüfen, aber was Mohamed-Fawzi Yosef schreibt, ist zumindest plausibel.

Bürgerkrieg in Syrien: Stimme aus dem Off: Via Skype ruft Mohamed-Fawzi Yosef um Hilfe. Der Deutsch-Syrer sitzt im umkämpften Aleppo im Gefängnis.

Stimme aus dem Off: Via Skype ruft Mohamed-Fawzi Yosef um Hilfe. Der Deutsch-Syrer sitzt im umkämpften Aleppo im Gefängnis.

(Foto: OH)

Er sitze im Zentralgefängnis der syrischen Stadt Aleppo, hat aber trotzdem offenbar zeitweise Zugang zu einem Mobiltelefon oder Computer. Er schreibt der Süddeutschen Zeitung über den Internetdienst Skype: "Draußen wird heftig gekämpft. Am vorvergangenen Montag hat die Polizei 15 Häftlinge erschossen. An den beiden darauffolgenden Tagen haben sie neun weitere zu Tode gefoltert. Gefoltert wird immer noch, Tag und Nacht."

Per Skype fleht Yosef: "Wenn Sie einen Weg kennen, mich aus dieser Hölle zu befreien, sagen Sie es."

In Kontakt mit einem politischen Häftling, in Syrien, während rund herum das Assad-Regime den Aufstand zusammenzuschießen versucht, ums Überleben kämpft? Ein Regime, das berüchtigt ist für seine Geheimdienst- und Foltergefängnisse, für die lückenlose Überwachung?

Die Zustände im Land sind chaotisch, der Aufstand greift immer weiter um sich, die Behörden sind offenbar mit anderem beschäftigt. Der 51-jährige Yosef ist ein deutscher Staatsbürger, ein Doppelstaatler. Verurteilt offenbar von einem syrischen Staatssicherheitsgericht, angeblich wegen politischer Aktivitäten bei der verbotenen Muslimbruderschaft.

Dass Yosef bis heute in einem syrischen Gefängnis sitzt, bestätigt jedenfalls auch das Auswärtige Amt in Berlin. In der Sache bleibt es auf Anfrage wortkarg: Man habe die syrischen Behörden aufgefordert, "den Zugang zu Medikamenten und die Einhaltung der Standards der Vereinten Nationen zur Gefangenenbetreuung sicherzustellen." Viel mehr tun könne man nicht, erklärt eine Sprecherin der SZ: "Die Botschaft in Damaskus ist aus Sicherheitsgründen geschlossen."

Yosefs unglaubliche Lebensgeschichte

Yosef hat Tagebuch geschrieben, es wurde nach Angaben seiner Familie aus dem Gefängnis geschmuggelt. Es schildert eine unglaubliche Lebensgeschichte: Angeblich als irakischer Kurde mit einem falschen syrischen Pass in den Achtzigerjahren in die Bundesrepublik eingereist, Asyl beantragt. In Regensburg Geschichte studiert, den Magister mit Note 2,2 gemacht. 1993 bekommt er einen deutschen Pass. Yosef, der fast fehlerfrei Deutsch spricht und schreibt, lebt fast 20 Jahre mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Bayern. Unbescholten, von den Nachbarn geschätzt, laut den Behörden politisch unbedenklich, wie der Spiegel 2006 über ihn schrieb.

Als Historiker findet der Kurde keine Arbeit. Laut seiner Nichte Amina Siedo, die in Essen lebt, verdient er sein Geld damals als Übersetzer: "Beim Gericht, bei der Polizei, auch bei anderen Behörden." 2005 erkundigt Yosef sich bei syrischen Regierungsstellen, ob er einreisen dürfe. Er besucht das Land, problemlos. Es ist eine Zeit, in der die syrisch-deutschen Beziehungen gut sind: Der junge Präsident Baschar al-Assad ist erst kurz im Amt, die internationale Politik sieht den Sohn von Diktator Hafis al-Assad als Reformer.

Seit dem 11. September 2001 arbeiten die deutschen und die syrischen Geheimdienste laut dem Spiegel gelegentlich sogar zusammen. Assad soll dem damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer zugesagt haben, "vorbehaltslos zu kooperieren".

Im März 2006 reist der Deutsch-Syrer erneut nach Syrien. Er wird in Damaskus von der Staatssicherheit vorgeladen, der Pass wird ihm abgenommen. Yosef schreibt, er habe sich bedroht gefühlt und versucht, mit Hilfe eines Menschenschmugglers zu fliehen ins Nachbarland Libanon. In Beirut angekommen, gerät er mit dem Schmuggler in Streit um die Bezahlung, wird in der libanesischen Hauptstadt auf offener Straße von Agenten entführt, zurück ins keine zwei Autostunden entfernte Damaskus gebracht.

All dies klingt abenteuerlich, selbst für den Nahen Osten. Aber der Arm des syrischen Geheimdienstes ist lang. Aus Libanon wurden immer wieder Syrer entführt. Zurück in Damaskus hätten Geheimdienstoffiziere 100.000 Euro Lösegeld von ihm für seine Freilassung zu erpressen versucht, behauptet Yosef. Er bestreitet jede politische Aktivität. Er soll aber laut Spiegel als Student zumindest kurz Kontakt zu den in Syrien verbotenen, islamistischen Muslimbrüdern gehabt haben.

Bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt

Im Gefängnis sei er mit Schlägen auf die Fußsohlen und Stromstößen gefoltert worden, so steht es in einem Tagebucheintrag. Die Wärter hätten ihn bis zur Besinnungslosigkeit geprügelt, schreibt Yosef. Es sei immer um das Lösegeld gegangen.

Nach der Folterphase sei Anklage erhoben worden: Er sei als Mitglied der verbotenen Muslimbruderschaft bezeichnet worden - darauf steht die Todesstrafe. Das Verfahren vor dem Höchsten Staatssicherheitsgericht habe sich fünf Jahre hingezogen. Das Todesurteil sei später in lebenslange Haft mit Zwangsarbeit umgewandelt worden. Schon davor hatte sich die Deutsche Botschaft in Damaskus bei den syrischen Behörden nach dem deutschen Staatsbürger erkundigt. Es kommt zu einem Haftbesuch einer deutschen Konsulin im Damaszener Gefängnis Saidnaja und laut Yosef zu unregelmäßiger konsularischer Betreuung, auch beim Prozess.

Doch die Botschaft hat wenig in der Hand: Für die syrischen Behörden bleibt Yosef trotz seines deutschen Passes Syrer: Damaskus erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an. Aber bei seiner Verurteilung soll immerhin ein Vertreter der deutschen Botschaft anwesend gewesen sein, Zeichen einer gewissen Kompromissbereitschaft des Regimes. Vor allem behauptet Yosef, er sei gar kein Syrer: "Ich bin ursprünglich irakischer Kurde. Das habe ich auch dem deutschen Konsul gesagt, der meiner Verurteilung beigewohnt hat."

"Das Auswärtige Amt hat total versagt"

Der Fall ist mehr als undurchsichtig. Tatsache ist: Seit 2006 sitzt in Syrien ein deutscher Staatsbürger in Haft, angeblich mit 80 Mann in einer 25-Quadratmeter-Zelle. Das Land versinkt im Strudel eines bewaffneten Aufstands, der das Überleben des Regimes von Präsident Assad bedroht. Die Angaben Yosefs, seine Hilferufe aus der Gefängniszelle in Aleppo, sie lassen sich auf ihren Wahrheitsgehalt zwar nicht überprüfen. Aber seine Familie in Essen, die den Kontakt zu ihm hergestellt hat, bestätigt, dass er in Aleppo im Gefängnis sitzt. Seine Nichte Amina Siedo hält Kontakt und sagt: "Es ist schlimm. Mein Onkel ist krank, hat Prostatakrebs, Herzprobleme."

Auch das Auswärtige Amt geht offenbar davon aus, dass Yosef weiter in Haft und wohl auch gefährdet ist. Berlin appelliert an den Assad-Staat, die UN-Standards der Gefangenenbetreuung einzuhalten - die Menschenrechts-Leitlinien der Vereinten Nationen. Dass die in Syrien derzeit irgendwen interessieren, darf bezweifelt werden.

Wahrscheinlicher ist, dass politische Gefangene besonders gefährdet sind, möglicherweise beseitigt werden, während das Regime um sich schlägt. Der deutsche Häftling Yosef geht mit den deutschen Diplomaten hart ins Gericht: "Das Auswärtige Amt hat total versagt", schreibt er auf Skype.

Im Tagebuch erhebt er weitere Vorwürfe: Die Botschaft habe ihm keinen Anwalt mehr zahlen wollen. Mit dessen Hilfe hätte er sein Urteil nach einer Änderung der Rechtslage 2011 in Frage stellen können. Eine ausführliche Stellungnahme zum Fall Yosef ist vom Auswärtigen Amt nicht zu bekommen - "unter anderem wegen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte", wie eine Sprecherin sagt, die an Yosefs Anwalt in Syrien verweist.

Offiziell können die Berliner Diplomaten wenig tun. Hinter den Kulissen vielleicht aber doch: Der Bundesnachrichtendienst ist bekannt für seine guten Kontakte zur libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah. Und die Hisbollah ist der beste Freund des Assad-Regimes. Yosef schreibt aus seiner Zelle auf Skype: "Man muss die schlafende deutsche Politik wachrütteln, sich meiner Sache endlich anzunehmen."

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