Bürgerkrieg in Syrien:Für Assad sind wir Tiere

Seine Chemiewaffen muss Syriens Machthaber Baschar al-Assad nun abgeben. Doch er bekämpft weiterhin unerbittlich alle, die sich nach Freiheit sehnen. Assads Regime ist ein umfassendes System von körperlicher und symbolischer Gewalt, das Menschen zu Tieren macht.

Ein Gastbeitrag von Omar Kaddour, Damaskus

Vor vielleicht zwei Monaten wurde den im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus eingeschlossenen Menschen erlaubt, das Lager kurz zum Einkaufen zu verlassen. Ein jeder habe das Recht, so hieß es, zurückzukehren und eine Tüte Fladenbrot für die im Lager zurückgebliebene Familie mitzubringen. Bei ihrer Rückkehr wurden jedoch die Männer am Checkpoint des Militärs angehalten, und allen wurde das Brot abgenommen. Dann musste jeder, der sein Brot wiederbekommen und ins Lager hinein wollte, wie ein Hund vor den Soldaten kriechen und bellen. Ein alter Mann trat vor, kniete sich hin und begann zu bellen, während ihm Tränen der Demütigung die Wangen herabflossen. Der Offizier und die Soldaten lachten sich derweil halb tot. Auf einer Mauer neben dem Checkpoint hatten die Regierungssoldaten den Spruch geschrieben: "Hungern oder niederknien".

Hungern oder niederknien - das ist eine neue Kampagne des Regimes. Auch mit dem Einsatz von Chemiewaffen in der Oase Ghouta am Stadtrand von Damaskus hat die Regierung die Aufständischen nicht in die Knie zwingen können - im Gegenteil hat der internationale Druck das Regime gezwungen, seine Chemiewaffen an die UN abzugeben, auf dass sie vernichtet werden. Nun hat es den Anschein, als suchte man nach einer alternativen Massenvernichtungswaffe und hätte diese in der Aushungerung von Zivilisten gefunden. Der Offizier, der von den Zivilisten verlangt hatte, wie ein Hund zu bellen, war Handlanger einer gezielten Regierungspolitik der Demütigung. Der oben erwähnte Spruch steht an den Ausgängen aller belagerten Viertel in Damaskus und im Umland geschrieben, in denen etwa eine Million Menschen leben. Es ist eine Politik, die in den Syrern keine menschlichen Wesen sieht. Folglich gesteht sie ihnen nicht das Recht auf ein Leben in Freiheit und Würde zu.

So wie in der Vergangenheit auch Adolf Hitler von seinen politischen Gegnern als Untermenschen sprach, so bezeichnete Baschar al-Assad die Aufständischen von Beginn der Proteste an als Bazillen. Ein anderes Mal verglich er die Brutalität seiner Truppen mit der Arbeit des Chirurgen, der sich beim Herausschneiden des Krebsgeschwüres aus dem Körper zwangläufig die Hände mit Blut besudeln müsse.

Dem Assad-Regime geht es darum, Menschen zu demütigen, die Würde zu rauben, sie so zum Aufgeben zu zwingen. Es wurden Soldaten dabei gefilmt, wie sie Zivilisten zwangen, vor Assads Bild niederzuknien und ihn als ihren Herrn zu bezeichnen - eine abscheuliche Erinnerung an die schlimmsten Formen der Sklaverei.

Wir haben es hier mit einem umfassenden System von körperlicher und symbolischer Gewalt zu tun. Zuerst werden die Menschen entehrt, indem sie als Tiere bezeichnet werden, die ganz allgemein als minderwertige Kreaturen gelten. Und dann werden sie gequält wie Tiere, ein Verhalten, das wiederum als völlig normal hingestellt wird: Wer als Tier gilt, kann auch wie ein Tier behandelt werden. Es ist daher auch kein Zufall, dass Regimetruppen sich darin üben, kaltblütig Esel zu ermorden und dieses Tun mit ihren Kameras dokumentieren, und dass sie dann auf die gleiche Weise auf unbewaffnete Menschen schießen und sich gleichfalls dabei filmen, um damit zu prahlen.

Menschen schlachten aus Not ihre Katzen und Hunde

Was hier in Syrien geschieht, ist beispiellos. Kein Volk, das nichts als die Freiheit forderte, hat Ähnliches erlebt. In dem Augenblick, in dem diese Zeilen niedergeschrieben werden, beschießt die syrische Armee einen knappen halben Kilometer entfernt Zivilisten aus Flugzeugen und mit Raketenwerfern. Es sind die gleichen Zivilisten, die einer tödlichen Belagerung ausgesetzt sind, denen Lebensmittel und Medikamente verwehrt werden. Hier reichen die Worte nicht mehr aus, um das Leid der Menschen zu beschreiben. Einige Familien sahen sich bereits gezwungen, ihre Hauskatzen und Hunde zu schlachten, um nicht Hungers zu sterben. Andere zogen sich Vergiftungen zu, weil sie Baumblätter aßen.

Zu Beginn der Revolution arbeitete das Staatsfernsehen an einer Reportage, in der ein junger Mann namens Muhammad Abdalwahhab vor laufender Kamera ausrief: "Ich will Baschar al-Assad sagen: Ich bin ein Mensch und kein Tier! Und das gilt für die anderen auch!" Das Interview wurde zwar nicht ausgestrahlt, doch einer der Mitarbeiter veröffentlichte es heimlich, und so machte es in den sozialen Netzwerken die Runde.

Ich bin ein Mensch und kein Tier - dieser Aufschrei trifft auf alle Syrer zu. Seit mehr als vierzig Jahren behandelt dieses Regime uns nicht wie Menschen, es beraubt uns unserer Würde. Vermutlich behandeln die Syrer ihre Tiere sogar besser, als sie selbst von ihrer Regierung behandelt werden. Ein großer Teil der syrischen Bevölkerung stammt vom Land und wurde dazu erzogen, Sorge um ihre Tiere zu tragen und sie als treue Freunde zu betrachten. Als Regierungssoldaten begannen, Esel zu Übungszwecken zu töten, rief dies allgemeine Empörung hervor.

40 Jahre vom Wahlrecht ausgeschlossen

Der Schreiber dieser Zeilen möchte keinen Text über seine persönliche Geschichte schreiben. Er möchte aber in diesem Zusammenhang doch darauf hinweisen, dass er wie alle Schüler in syrischen Schulen dazu gezwungen wurde, jenen Spruch zu wiederholen, der Präsident Assad als ewigen Präsidenten des Landes bejubelt - damals musste er noch dem Vater des heutigen Machthabers huldigen, Hafis al-Assad. Der Autor, der die Hälfte seiner Lebenszeit bereits hinter sich hat, kennt nichts als einen Präsidenten, der durch einen Militärputsch an die Macht kam und die Herrschaft später an seinen Sohn vererbte. Mehr als vierzig Jahre lang waren die Syrer vom Recht ausgeschlossen, zu wählen, wer sie vertreten solle.

Das war der Grund, der die Menschen in Syrien auf die Straße trieb: Sie wollten frei sein. Das Regime aber will eine Bevölkerung von Tieren, willenlos und ohne die Fähigkeit, sich auszudrücken. Deshalb wendet es alle Formen von Gewalt an, unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Es hat ja schon einmal funktioniert, 1982, beim Massaker von Hama, als syrische Spezialkräfte und die Luftwaffe unter der Führung des Präsidentenbruders Rifaat al-Assad, unter dem Vorwand, einen Aufstand der Muslimbrüder zu beenden, bis zu 30.000 Menschen ermordete - und die Welt wegsah.

Aber die Syrer wollen keine Tiere sein. Und genauso wenig wollen sie, dass ihren Tieren Leid zugefügt wird. Stattdessen wollen sie in Freiheit und Würde leben. Sie wünschen sich auch für ihre Katzen und Hunde ein glückliches Leben im Alter. Es sind sehr einfache Wünsche. Warum sollte das nicht möglich sein?

Omar Kaddour, 47, studierte Bauingenieurswesen und Wirtschaftswissenschaften - nun veröffentlicht er Lyrik und Romane. Er lebt in Damaskus. Übersetzung: Larissa Bender.

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