Ein Land ist in Aufruhr: Bei den seit drei Tagen andauernden Unruhen in Kirgistan starben nach offiziellen Angaben mindestens 117 Menschen. Zwischen 1400 und 1500 Menschen wurden verletzt.

Nach Angaben der usbekischen Minderheit sind angeblich 700 Menschen getötet worden. Das meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Montag nach Angaben eines hochrangigen Vertreters der Volksgruppe. Eine offizielle Bestätigung gab es allerdings nicht. Das Rote Kreuz hatte zuvor berichtet, dass viele Leichen ohne vorherige Identifizierung begraben worden seien.
Nach Angaben des Nachbarlandes Usbekistan sind bereits bis zu 80.000 Menschen vor der Gewalt in ihrem Land geflohen. Usbekistan öffnete am Sonntag erstmals die Grenzübergänge für die Geflohenen. In Jorkischlok wurden mehrere Flüchtlingslager eingerichtet.
Die meisten Flüchtlinge waren nach Angaben der usbekischen Behörden Frauen, Kinder und Angehörige der usbekischen Minderheit. Viele von ihnen berichteten in dem usbekischen Grenzort Jorkischlok von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Kirgistan. "Sie bringen uns um, alle Usbeken, einen nach dem anderen", sagte die 51-jährige Rani der Nachrichtenagentur AFP, nachdem sie aus ihrem Haus nahe der Stadt Osch geflohen war. "Ich weiß nicht, was mit meinen Kindern und Enkeln passiert ist."
Viele der Flüchtlinge warfen den kirgisischen Sicherheitskräften vor, sich auf die Seite der Kirgisen zu stellen und den Konflikt mit den Usbeken damit zusätzlich anzuheizen. Nach Angaben des usbekischen Katastrophenschutzministeriums wurden allein in der Region Andischan im Osten Usbekistans 32.000 Grenzübertritte von Erwachsenen registriert. Hinzu kämen Tausende Kinder, die aber nicht einzeln erfasst würden, sagte Abror Kossimow. Ein Polizeibeamter gab die Zahl aller Flüchtlinge mit mehr als 80.000 an.
Kremlchef Dmitrij Medwedjew will nun doch die Frage eines militärischen Beistands erörtern lassen. Dazu treffen sich an diesem Montag in Moskau die Gremien der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einer Militärorganisation früherer Sowjetstaaten, wie der Radiosender Echo Moskwy berichtete.
Nach Angaben der Agentur Interfax sagte Medwedjew, die ethnischen Auseinandersetzungen im Fergana-Tal müssten nun so rasch wie möglich beendet werden. Bei der Krisensitzung der OVKS sollten alle Mittel ausgelotet werden, um den "Bürgerfrieden" im Süden Kirgistans wiederzuherzustellen. Medwedjew reagierte damit auf eine neue Bitte der kirgisischen Übergangsregierungschefin Rosa Otunbajewa, Friedenstruppen zur Verstärkung zu schicken.
Russland hatte dies am Samstag zunächst abgelehnt. Tags darauf hatte das Land ein Sonderkontingent mit Fallschirmjägern in drei Militärmaschinen nach Kirgistan transportieren lassen. Die Truppe solle "den Schutz russischer Militäreinrichtungen stärken und die Sicherheit russischer Soldaten und ihrer Familien gewährleisten", hieß es. Der Stützpunkt Kant ist etwa 20 Kilometer von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek entfernt.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich in einer Erklärung "alarmiert" über die Gewalt zwischen Kirgisen und Usbeken und die Zahl der Opfer und Flüchtlinge. Er lasse derzeit den Bedarf an humanitärer Hilfe ermitteln. Der UN-Generalsekretär habe am Sonntag mit dem kasachischen Außenminister Kanat Saudabajew telefoniert, der derzeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vorsteht. Drei OSZE-Gesandte seien vor Ort oder auf dem Weg nach Kirgistan und die EU werde ihre Mission koordinieren, teilte Ban mit.
Die Organisation Human Rights Watch rief die internationale Gemeinschaft zur Hilfe auf. "Ohne internationalen Beistand gibt es keinen Ausweg und jede Minute kostet Leben", sagte Andrea Berg, die für die Organisation Zentralasien beobachtet und bis Sonntag in Osch eingeschlossen war.
Die Übergangsregierung unter Präsidentin Rosa Otunbajewa hatte am Wochenende die Ausgangssperren im Süden erweitert und die Reservisten der Armee mobilisiert. Für die gesamte südliche Region Dschalalabad galt ein Ausnahmezustand. Soldaten und Polizisten wurden per Dekret ermächtigt, ohne Vorwarnung zu schießen.