Die SPD im Bundestag will das in die Kritik geratene Bürgergeld anders umgestalten als die Koalitionsspitzen. „Was wir im Bundestag zum Bürgergeld beschließen, wird mehr und anderes umfassen, als die Regierung vorgeschlagen hat“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die SPD werde sich im Bundestag genau anschauen, was von der Regierung vorgeschlagen werde.
„Das Bürgergeld wird nicht abgeschafft, sondern fortentwickelt“, sagte Mützenich. Es gehe vor allem darum, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Mützenich machte deutlich, dass er die von den Koalitionsspitzen geplanten schärferen Leistungskürzungen bei Versäumnissen und Pflichtverletzungen von Bürgergeldempfängern skeptisch sieht. Es brauche „eine maßvolle Sanktionstreppe“. Details wollte er auf SZ-Nachfrage nicht nennen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hatten Anfang Juli ein gemeinsames Papier für eine „Wachstumsinitiative“ vorgelegt, das zahlreiche Pläne zur Belebung der Wirtschaft beinhaltet, darunter auch eine Verschärfung der Regelungen im Bürgergeld. Demnach soll Beziehern zur Arbeitsaufnahme ein längerer Weg zur Arbeit zugemutet werden, mögliches Vermögen soll kürzere Zeit verschont bleiben, Schwarzarbeit auch durch eine Kürzung der Unterstützung bestraft werden.
Im alten Hartz-IV-System landeten manche Menschen auf der Straße
Besonders umstritten sind die Pläne, Hilfebeziehern für versäumte Termine im Jobcenter oder Pflichtverletzungen, etwa die Ablehnung angebotener Jobs, schneller das Bürgergeld zu kürzen. Bisher werden bei versäumten Terminen zehn Prozent gestrichen, bei Pflichtverletzungen sind schrittweise bis zu 30 Prozent möglich. Scholz, Habeck und Lindner zufolge soll das Bürgergeld bei Verstößen gegen die Regeln künftig von Anfang an um 30 Prozent verringert werden. Das heißt, es soll eben keine „Sanktionstreppe“ mehr geben, wie Mützenich sie jetzt fordert.
Die Pläne der Wachstumsinitiative hatten der Koalition den Vorwurf eingebracht, sie wolle das Bürgergeld nun schärfer gestalten als den Vorläufer Hartz IV. Das aber ist missverständlich. Im alten Hartz IV-System, das 2005 eingeführt wurde, konnten die Jobcenter den Beziehern die Unterstützung bei Regelverstößen vollständig kürzen, manche Menschen landeten so auf der Straße.
Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Praxis in einem Urteil vom November 2019 deutlich eingeschränkt, seitdem darf die Hilfe in der Regel nur noch um höchstens 30 Prozent gekürzt werden. Ausnahmen sind nach Einschätzung von Verfassungsjuristen zulässig für Menschen, die eine Mitwirkung zur Überwindung ihrer Hilfsbedürftigkeit total verweigern. Entsprechende Sanktionen der Jobcenter hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits Anfang des Jahres ermöglicht. Sie betreffen nur eine sehr geringe Zahl der Hilfebezieher.
Die Zahl der Hartz-IV-Bezieher steigt weder, noch geht sie zurück
Hintergrund der Debatte ist, dass die Zahl der Bezieher von Hartz IV seit 2017 bis Mitte 2022 stetig gesunken war, mit Unterbrechungen in der Corona-Pandemie. Seit Mitte 2022 kamen Hunderttausende geflüchtete Ukrainer neu ins System, wenn man diese herausrechnet, sind die Zahlen zwar nicht gestiegen, sie gehen aber auch nicht weiter zurück.
Der frühere Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, forderte Änderungen am Bürgergeld. „Es gibt in Deutschland 260 000 junge Menschen zwischen 25 und 45, die seit längerer Zeit nicht arbeiten, obwohl sie alle Kriterien für Erwerbstätigkeit erfüllen“, sagte Weise dem Spiegel. „Das ist in dieser Dimension nicht hinnehmbar.“ Der Wissenschaftler Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt, Gründe für die Entwicklung könnten neben der mauen Wirtschaftsentwicklung auch die gelockerten Regeln im Bürgergeld sein.
Die CSU bekräftigte ihre Grundsatzkritik am Bürgergeld. „Die angekündigten Änderungen am Bürgergeld sind ein Schuldeingeständnis der SPD, dass das Bürgergeld gescheitert ist und die Menschen vom Arbeiten abhält“, sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber der Deutschen Presse-Agentur. Die „permanenten Reförmchen des Bürgergelds“ reichten nicht aus, es müsse abgeschafft werden. Stattdessen „gehört die alte Sozialhilfe zurück“, forderte Huber.