Die Kabinettssitzung lag schon ein paar Stunden zurück, aber der Bundeskanzler war noch ganz beschwingt. Quasi bei jeder Zusammenkunft beschließe das Kabinett nun Teile der Wachstumsinitiative, „auch heute wieder“. Die Koalition wolle schließlich, „den Wirtschaftsstandort stärken und unsere Wettbewerbsfähigkeit“, es gehe um „substanzielle Wachstumsimpulse“. Das war am Mittwoch, der Kanzler sprach bei einem Unternehmer-Treffen. Am Morgen hatte das Kabinett tatsächlich Teile jener „Wachstumsinitiative“ beschlossen, mit der die Koalition gerne die Wirtschaft neu entfesseln würde. Doch schon gibt es darüber Streit.
Das Kabinett hatte sich mit Änderungen beim Bürgergeld befasst, darunter auch eine Prämie für Langzeitarbeitslose. Eine „Anschubfinanzierung“ von 1000 Euro soll diese zusätzlich motivieren, aus dem Bezug von Bürgergeld in eine feste Stelle zu wechseln – und zwar eine, von der sie leben können und bei der sie Sozialversicherungsbeiträge leisten. Nach einem Jahr in diesem Job bekämen sie die Prämie ausgezahlt. Solche Anreize, arbeiten zu gehen, zählen zu den zentralen Ideen der Wachstumsinitiative, auf die sich die Koalition im Juli verständigt hatte. Der Plan sollte auch einen negativen Anreiz ausgleichen: Transferzahlungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag oder Wohngeld werden derzeit mit jedem selbst verdienten Euro gekürzt, der Zuverdienst schmilzt so dahin.
In der Koalition aber regt sich Widerstand. Von einem „Unding“ spricht etwa der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler in der Bild-Zeitung. Schon jetzt explodierten die Ausgaben. „Die Prämie muss im Bundestag gestoppt werden“, fordert Schäffler. Auch der Grünen-Sozialpolitiker Frank Bsirske will nichts von so einer Prämie wissen, schließlich sei ein fester Job Anreiz genug. Ob sich die Koalitionsfraktionen tatsächlich zu der Prämie durchringen können, die per Änderungsantrag zu einem Gesetzesvorhaben aus dem Sommer kommen soll, steht in den Sternen.
Die Reform helfe, Geld zu sparen, heißt es im Wirtschaftsministerium
Wenn Kritik von FDP und Grünen kommt, während der Kanzler jubiliert, handelt es sich dann um eine Idee aus dem SPD-geführten Arbeitsministerium? Der Eindruck könnte entstehen. Doch am stärksten verteidigt das Wirtschaftsministerium des grünen Vizekanzlers Robert Habeck den Plan. Ziel sei es, die „Aufnahme regulärer, dauerhafter Beschäftigungsverhältnisse“ zu stärken. „Langzeitarbeitslose sollen damit die staatliche Grundsicherung tatsächlich überwinden und verlassen können“, wirbt das Ministerium. Die Allgemeinheit spare so nicht nur Geld, sondern könne auch auf Einnahmen hoffen, sei es an Steuern oder Sozialversicherungsabgaben.
Gewesen sein will es das Wirtschaftsministerium allerdings auch nicht. Die Darstellung, dass es um eine Maßnahme des Hauses Habeck gehe, „ist nicht korrekt“, erklärt ein Sprecher. „Tatsächlich handelt sich hierbei um ein gemeinsames Vorhaben der Bundesregierung.“ Eigentlich stamme die Idee aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das hatte im Juni in einem Debattenbeitrag so eine Anschubhilfe ins Gespräch gebracht, just in der Zeit also, in der auch letzte Arbeiten an der Wachstumsinitiative liefen. Das IAB ist eine Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, die wiederum unter der Rechtsaufsicht von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) steht. Und wie nebenbei verweist das Wirtschaftsministerium auch darauf, dass Heils Ministerium die Federführung für die geplante Gesetzesänderung habe.
Umso erstaunlicher, dass das Arbeitsministerium selbst nicht sonderlich überzeugt zu sein scheint von der Idee. Zu großen Verteidigungsreden jedenfalls setzt man dort gar nicht erst an. Das Ministerium setze „auftragsgemäß das Maßnahmenpaket im Rahmen der von der gesamten Bundesregierung beschlossenen Wachstumsinitiative um“, erklärt ein Sprecher nur. „Das weitere Verfahren liegt nun in den Händen des Parlaments.“