Bundestag:Was das Bürgergeld von Hartz IV unterscheidet

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Zahlreiche Hartz-IV-Empfänger sind bisher auf die Tafeln angewiesen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Selbstbewusst verteidigt Bundesarbeitsminister Heil im Parlament das Projekt, das zum 1. Januar umgesetzt werden soll. "Das wird die größte Sozialreform der vergangenen 20 Jahre sein." Doch was ändert sich genau und warum kritisiert die Opposition das Projekt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Oliver Klasen und Martin Tofern

"Die Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar wird eine der größten Sozialreformen der vergangenen 20 Jahre sein", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der Debatte im Bundestag. Dort wird das neue Bürgergeld an diesem Donnerstag in erster Lesung beraten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den neuen Regeln.

Was ist der Kern der Reform?

Mit dem Bürgergeld sollen Millionen Bedürftige in Deutschland ab dem 1. Januar 2023 mehr Geld und darüber hinaus eine bessere Betreuung im Jobcenter bekommen. Es soll Hartz IV für die mehr als fünf Millionen Betroffenen in seiner heutigen Form ablösen.

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Schon jetzt wird im Hartz-IV-System weniger sanktioniert, ähnlich wie beim geplanten Bürgergeld. Eine kleine Minderheit der Hilfsbezieher sei dadurch schlechter erreichbar, sagt der Jobcenter-Sprecher Stefan Graaf. Aber es gibt auch positive Effekte.

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Warum soll Hartz IV abgelöst werden?

Die von der damaligen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführten Arbeitsmarktreformen - benannt nach ihrem Erfinder, dem früheren VW-Manager Peter Hartz - waren von Anfang an umstritten. Der Hartz-IV-Regelsatz galt vielen als zu niedrig. Die unter dem Motto "Fördern und Fordern" eingeführten Reformen galten als zu hart, denn die Jobcenter hatten dadurch das Recht, den Antragstellern Leistungen zu kürzen oder zu streichen, wenn sie bestimmte Auflagen nicht erfüllten.

Man verfolge mit der Reform zwei Ziele, so Heil. Die Regierung wolle erstens Menschen "verlässlich absichern, die in existenzielle Not geraten sind". Wie schnell Menschen in existenzielle Not geraten können, das habe die Corona-Krise gezeigt, so der Arbeitsminister.

Zweites Ziel sei es, jene, die in Not geraten sind, möglichst schnell wieder von dieser Not zu befreien. Die Lage sei heute eine andere als bei der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005. Anders als damals, als es fast fünf Millionen Arbeitslose gegeben habe, herrsche heute Fachkräftemangel. In Deutschland gebe es trotzdem noch immer einen Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit. Daten zeigten, dass ein großer Teil dieser Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung habe. Das wolle die Bundesregierung ändern. "Ausbildung statt Aushilfsjob" sei die Devise.

Wie hoch wird das Bürgergeld sein?

Der Regelsatz soll nach Heils Plänen für alleinstehende Erwachsene monatlich 502 Euro betragen - mehr als 50 Euro mehr als bislang. Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten 451 Euro. Jugendliche ab 14 Jahren bekommen 420 Euro, Kinder von 6 bis 14 Jahren 348 Euro, Unter-Sechsjährige 318 Euro.

Was ändert sich bei der Regeln für diejenigen, die die Leistungen beziehen?

Arbeitssuchende sollen künftig in den Jobcentern weniger Druck ausgesetzt sein. So sollen Menschen, die nicht mit dem Jobcenter kooperieren, weniger Sanktionen fürchten müssen. Die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sagte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland , dass Leistungsempfänger weiter zur Mitwirkung verpflichtet blieben. Der Kern des neuen Bürgergelds sei eine Stärkung der "Aus-, Fort- und Weiterbildung" - "statt Menschen auf Biegen und Brechen in irgendeinen Job zu vermitteln."

Ein weiterer Kernpunkt ist die sogenannte Vertrauenszeit: Wer seine Arbeit verliert, wird in den ersten sechs Monat sozusagen weitgehend in Ruhe gelassen. Die Möglichkeiten zur Kürzung der Leistungen sollen in dieser Zeit stark eingeschränkt werden. Zahlungen sollen nur bei versäumten Terminen im Jobcenter gemindert werden können. Bei Pflichtverletzungen hingegen, also etwa der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit, soll es im ersten halben Jahr keine Sanktionen mehr geben. Später können bei wiederholten Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen höchstens 30 Prozent des Regelbedarfs gemindert werden. Kosten der Unterkunft und Heizung werden nicht gemindert.

Künftig wird die Inflation nicht erst im Nachhinein bei der Festsetzung der Regelsätze berücksichtigt, sondern bei der Entwicklung der Grundsicherungs-Leistungen wird die künftig zu erwartende Teuerungsrate zugrunde gelegt. Es sei ein großer Fortschritt, so der Minister. "Die Regelsätze beim Bürgergeld werden der Inflation nicht nur hinterherlaufen", so Heil.

Was sind die wichtigsten Kritikpunkte der Opposition an der Reform?

Gegner der Reform kritisieren vor allem, dass es für Arbeitslose keine Pflichten mehr gebe. Der Druck, wieder eine bezahlte Arbeit anzunehmen, würde dadurch abgeschafft. Die Ampelkoalition gebe Sanktionsmöglichkeiten für Leistungsempfänger, die Arbeit ablehnten, ohne Not aus der Hand, heißt es aus der Union. "Sie wollen mehr Leistung, deutlich weniger Mitwirkungspflichten und weniger Vermittlung von Arbeit", sagt etwa Stephan Stracke, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

CDU-Chef Friedrich Merz sprach außerdem von "Sozialtourismus". Menschen aus anderen Ländern würden vom Bürgergeld und anderen Sozialleistungen angelockt. Diese Äußerung kritisiert der Arbeitsminister im Bundestag scharf, ohne Merz beim Namen zu nennen: "Ich finde es persönlich unanständig, Geringverdiener gegen Bedürftige und Bedürftige gegen Flüchtende auszuspielen, das gehört sich nicht", so Heil.

Die Linke kritisiert die Pläne der Ampelregierung aus einer völlig anderen Richtung: Sie fordert einen Aufschlag von 200 Euro auf die derzeitigen Regelsätze, als Ausgleich für die exorbitant steigenden Energiepreise. Die 50 Euro, die Heil jetzt den Leistungsempfängern gewähren wolle, seien keine echte Erhöhung, sondern ein reiner Inflationsausgleich. Heils Gesetz sei "keine Überwindung von Hartz IV".

Ist das Bürgergeld eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde?

Nein, das Bürgergeld war schon lange vor dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine geplant worden. Es ist eines der zentralen Projekte der Ampelkoalition, auf das sich die drei Koalitionspartner verständigt haben. Heil betont, dass die Reform verknüpft sei mit Bestrebungen, Menschen mit geringen Einkommen besser zu stellen. Arbeit müsse sich lohnen. Es müsse einen Abstand geben zwischen Bürgergeld und Arbeitseinkommen, daher habe die Ampelregierung gezielt Geringverdienern geholfen, etwa mit einer Senkung der Sozialabgaben.

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