Mitten in der Haushaltsdebatte steuert die Ampel auf den nächsten großen Streit zu. Auch in der Sozialpolitik gehen die Vorstellungen völlig auseinander. Der Chef der FDP-Fraktion im Bundestag, Christian Dürr, hat eine Senkung des Bürgergelds ins Spiel gebracht. Die Argumentation dahinter: Die Inflation ist dieses Jahr nicht so stark gestiegen, wie bei den Berechnungen des Bürgergelds noch prognostiziert worden war. Die Grundsicherung liegt derzeit bei 563 Euro monatlich für Alleinstehende. Dürr zufolge sollte die Summe, angepasst an die tatsächliche Entwicklung der Inflation, 14 Euro bis 20 Euro darunter liegen, sagte er der Bild-Zeitung. Das entspräche einem Minus von rund drei Prozent.
Kürzungen im Sozialen hatte aber die SPD im Haushaltsstreit als rote Linie definiert. Das von Minister Hubertus Heil (SPD) geführte Bundesarbeits- und Sozialministerium sieht schon rechtlich keine Möglichkeiten, die Bürgergeldhöhe zu senken. Eine „gesetzliche Besitzschutzregelung“ verhindere Kürzungen unter das aktuelle Niveau, sagte eine Sprecherin. Das derzeitige Bürgergeld „zu hoch“ zu nennen, sei „nicht sachgerecht“, so das Ministerium. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, sagte der Süddeutschen Zeitung, er halte gar nichts davon, „ständig mit völlig unausgegorenen Ideen fernab jeder Realität für Verunsicherung zu sorgen“.
Auch bei den Grünen wächst der Ärger über das, was sie als Querschüsse aus der FDP wahrnehmen. Die Bundestagsfraktion kündigt Widerstand gegen die Bürgergeldforderungen der Liberalen an. „Viele Familien in Deutschland arbeiten und beziehen aufstockend Bürgergeld, weil das Geld mit den Kindern nicht reicht“, sagte Grünen-Fraktionsvizechef Andreas Audretsch der SZ. „Diese Familien planen mit dem Geld. Wir werden sie nicht der Willkür wilder und falscher FDP-Fantasien aussetzen.“
Die FDP will das Argument eines Bestandsschutzes für die Höhe des Bürgergelds nicht gelten lassen. Die Grundsicherung erhöht sich seit der Namensänderung anders als das als „Hartz IV“ bekannte frühere Arbeitslosengeld II schneller angesichts künftiger Inflation. Daran will auch die FDP nichts ändern. Doch wenn die Preise stabiler bleiben als angenommen, führe das dazu, dass das Bürgergeld zu stark erhöht werde. „Das ist momentan der Fall. Deshalb sollte es dann auch möglich sein, eine solche Anpassung teilweise zurückzunehmen“, sagte Fraktionschef Dürr der SZ. Passe sich das Bürgergeld nicht nur nach oben, sondern auch nach unten der tatsächlichen Inflation schneller an, stärke das die Akzeptanz des Sozialstaats bei denjenigen, die ihn finanzieren, so Dürr.
Viele Arbeitnehmer finden das Bürgergeld ungerecht – ein Problem für die SPD.
Das Bürgergeld ist zuletzt zwei Jahre hintereinander um jeweils rund zwölf Prozent gestiegen, von 449 Euro für Alleinstehende im Jahr 2022 auf 502 Euro und schließlich 563 Euro. Einig ist sich die Ampel, dass das Bürgergeld 2025 nicht weiter steigen wird, das betont auch das SPD-geführte Arbeitsministerium. Null Prozent Inflation werden allerdings nicht erwartet. Daher können sich Bürgergeldempfänger nach Abzug der Preissteigerungen kommendes Jahr voraussichtlich weniger leisten als derzeit.
Die FDP trifft mit ihrem Vorstoß einen wunden Punkt der SPD. Die Sozialdemokraten haben jahrelang unter dem Slogan „Hartz IV überwinden“ für eine Sozialstaatsreform gekämpft. Doch Umfragen zeigen, dass viele Arbeitnehmer das Bürgergeld als ungerecht empfinden. Das Thema bringt die SPD in den Landtagswahlkämpfen in Ostdeutschland in die Defensive.
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben bereits Verschärfungen der Bürgergeldregeln beschlossen. Sanktionen für Versäumnisse sollen schärfer werden. Jobs sollen zumutbar werden, auch wenn sie drei Stunden Pendeln erfordern. Das wäre härter als bei Hartz IV. Doch die Bürgergeldverschärfungen der Ampelspitzen sind in den Fraktionen der SPD und der Grünen umstritten. Rolf Mützenich, der Fraktionschef der Sozialdemokraten, hatte schon angekündigt, die Pläne nicht eins zu eins umzusetzen, ohne ins Detail zu gehen.
Reformen beim Bürgergeld sollen helfen, Geld im Haushalt 2025 einzusparen. Dieser ist bislang nicht in der Bundesregierung geeint, müsste aber eigentlich an diesem Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. FDP-Fraktionschef Dürr sagte, eine inflationsgemäße Kürzung des Bürgergelds könnte die Haushaltslücke um bis zu 0,85 Milliarden Euro schließen. Im Budget 2025 sind für die Grundsicherung insgesamt bislang rund 45 Milliarden Euro eingeplant, rund elf Prozent weniger als zuletzt. Dieses Jahr sind die Ausgaben für das Bürgergeld allerdings höher gewesen als zuvor geplant, vor allem wegen der vor dem russischen Krieg geflüchteten Menschen aus der Ukraine und der schlechteren Konjunktur.