Süddeutsche Zeitung

Hartz-IV-Reform:Ampel und Union einigen sich beim Bürgergeld

So soll es mehr Druck auf Bürgergeldbezieher geben, als dies der Gesetzentwurf bisher vorsieht. Geldkürzungen sollen schärfer ausfallen.

Von Boris Herrmann und Roland Preuß

Im Streit über das Bürgergeld haben die Ampelkoalition und die Union eine Einigung erzielt. So soll es strengere Regeln für Bürgergeldbezieher geben als dies der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bisher vorsieht. Geldkürzungen gegen Hilfebezieher von bis zu 30 Prozent sollen bereits von Anfang an möglich sein, wenn diese Termine im Jobcenter versäumen oder angebotene Jobs nicht annehmen. Für das Vermögen, das Hilfebezieher unangetastet lassen dürfen, soll es niedrigere Freigrenzen geben. Dies bestätigten Verhandler beider Seiten am Dienstag.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sagte, zu seiner Überraschung sei die Ampel-Koalition sehr weitgehend bereit gewesen, Kompromisse zu machen. "Damit ist das Gesetz, so wie es jetzt in dieser Form vorliegt, aus unserer Sicht zustimmungsfähig." Dies werde er auch der Unionsfraktion vorschlagen.

"Es ist ein tragfähiger Kompromiss", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in Berlin: "Wir wollen ja jetzt eine ganz große Sozialreform beschließen, die dann jahrzehntelang in Deutschland die Art und Weise der Förderung von Arbeitssuchenden beschreibt. " Das werde auch gelingen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann betonte, dass nun die Regelsatzerhöhung für Leistungsbezieher zum 1. Januar 2023 kommen werde. Der Kern der Reform bleibe erhalten, nämlich die Menschen künftig nicht in "irgendeine Tätigkeit" zu vermitteln, sondern sie zu qualifizieren und dauerhaft in Arbeit zu bringen.

Die FDP zeigte sich zufrieden mit dem Kompromiss. "Mit dem Bürgergeld schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit und Aufstiegschancen unabhängig von der Herkunft", sagte der FDP-Vizevorsitzende Johannes Vogel. Er hob die besseren Zuverdienstmöglichkeiten hervor. Diese sollen unverändert kommen.

Am Montagabend hatten Vertreter der Ampel und der Union in informellen Vorgesprächen vier Stunden lang verhandelt. Um ein Uhr am Dienstagmorgen soll dann eine Einigung erzielt worden sein, mit denen beide Seiten leben konnten. Am längsten soll um die Verkürzung der sogenannten Karenzzeit auf zwölf Monate gestritten worden sein. Damit sollen sich vor allem die Grünen schwergetan haben. Die Union habe in Bund und Ländern an einem Strang gezogen und deshalb gemeinsam einen schönen Erfolg erzielt, sagte Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe.

Die Länder mit Regierungsbeteiligung der Union hatten das Bürgergeld vergangene Woche im Bundesrat vorläufig gestoppt, an diesem Mittwoch soll im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat der Kompromiss besiegelt werden, der dann am Freitag in Bundestag und Bundesrat beschlossen werden könnte.

Die Ampelkoalition wollte eine sechsmonatige "Vertrauenszeit" einführen, in der nur wiederholt versäumte Termine beim Jobcenter mit einer Geldkürzung von maximal zehn Prozent geahndet werden. Im alten Hartz-IV-System waren bis zu 30 Prozent möglich. Dies soll nun auch im Bürgergeld gelten, allerdings können die Sanktionen nur stufenweise verschärft werden. Die Vertrauenszeit wird gestrichen. Grünen-Fraktionschefin Haßelmann bedauerte, dass die Vertrauenszeit nun wegfallen soll.

Auch beim sogenannten Schonvermögen und bei der Karenzzeit dürfte es noch Verschärfungen im Gesetzentwurf geben. Hier wollte die Koalition Hilfebeziehern viel mehr Vermögen belassen als bisher. In den ersten zwei Jahren 60 000 Euro plus 30 000 für jede weitere Person im Haushalt. Nun soll die Karenzzeit mit den großzügigeren Regelungen auf zwölf Monate gekürzt werden. Das Schonvermögen beträgt demnach nur noch 40 000 Euro statt 60 000. Für jede weitere Person im Haushalt würde es auf jeweils 15 000 beschränkt, eine Halbierung gegenüber den geplanten 30 000. Eine vierköpfige Familie käme damit zum Beispiel auf 85 000 Euro, das sie vor einem Bürgergeldbezug nicht aufbrauchen muss, statt der bisher vorgesehenen 150 000.

Das Bürgergeld soll 2023 das Hartz-IV-System für Arbeitslose ablösen. Die Jobcenter-Mitarbeiter sollen dann weniger Zeit mit Formalien und mehr mit der Betreuung der Menschen verbringen. Weil die meisten Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben, soll künftig beispielsweise das Nachholen von Berufsabschlüssen einen höheren Stellenwert haben als die schnelle Vermittlung in einen Job. Zudem sollen die Regelsätze steigen, für einen Alleinstehenden von 449 Euro auf 502 Euro im Monat. Diese Erhöhung trägt auch die Union ohne Einwände mit.

Weil Teile der Reform, insbesondere die höheren Zahlungen, zum 1. Januar in Kraft treten sollen, finden die Verhandlungen unter Zeitdruck statt. Die Bundesagentur für Arbeit hatte bereits erklärt, wenn sie ab Januar mehr Geld auszahlen solle, dann müsse sie bis Ende November Rechtssicherheit haben, also ein neues Gesetz.

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