Am Montagmorgen ist Mario Czaja noch vorsichtig. "Die CDU-regierten Länder werden sich heute aller Voraussicht nach enthalten. So haben sie es signalisiert", sagte der CDU-Generalsekretär im ZDF. Dann werde der Bund die Zustimmung der Länderkammer, die er zur Durchsetzung des Bürgergelds benötigt, nicht erhalten. "Und deswegen wird der Vermittlungsausschuss mit ziemlicher Sicherheit kommen müssen."
So kommt es dann auch. Kurz nach zwölf Uhr ist klar: Die Ablehnungsfront der unionsgeführten Bundesländer, und von Baden-Württemberg, wo die CDU Juniorpartner ist, steht. Damit ist das geplante Bürgergeld, ein zentrales Reformprojekt der Ampel-Koalition, vorerst gestoppt. Das Regierungsbündnis muss sich nun mit der Union verständigen, wenn das Vorhaben gesetzliche Wirklichkeit werden soll. Die Koalition müsste zumindest ein größeres Bundesland mit Regierungsbeteiligung der Union auf seine Seite ziehen, um in der Länderkammer die nötige Mehrheit zu erzielen, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg.
Das "falsche Gesetz zur falschen Zeit"
Bei den Unionsländern gibt es eine gewisse Bandbreite an Kompromissbereitschaft, das zeigt sich am Montag im Bundesrat. Der Vertreter Bayerns, Staatsminister Florian Herrmann, verdammte das Bürgergeld als das "falsche Gesetz zur falschen Zeit", es sei von Grund auf "sozial unausgewogen". Auf Vorschläge zur gütlichen Einigung verzichtete Herrmann.
Die baden-württembergische Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), die zusammen mit den Grünen regiert, stimmte dagegen Teilen des Vorhabens wie der stärkeren Förderung der Aus- und Weiterbildung von Arbeitslosen zu. Man müsse sich fragen, "wie wir zusammen das Bürgergeld gestalten", sagte sie in Richtung Ampel-Koalition.
Hoffmeister-Kraut skizzierte die Punkte, bei denen die Länder mit Unionsbeteiligung Änderungen fordern. Das ist zum Ersten das Schonvermögen. Hier sehen die Ampelpläne vor, dass Bürgergeldbezieher in der sogenannten Karenzzeit von zwei Jahren ein beträchtliches Vermögen nicht für ihren Lebensunterhalt heranziehen müssen. Das heißt, sie können das volle Bürgergeld beziehen, obwohl sie über beträchtliche Barmittel oder vergleichbare Werte verfügen. Eine vierköpfige Familie dürfte beispielsweise 150 000 Euro unangetastet lassen, zudem dürfte sie im eigenen Haus wohnen bleiben und ihre Autos behalten.
Die Ampel-Koalition argumentiert, damit könnten sich Hilfebezieher auf die Suche nach einer neuen Stelle oder auf eine Aus- oder Weiterbildung konzentrieren. Für die Union dagegen sind die Freigrenzen viel zu hoch. Man müsse sicherstellen, dass "nur jenen geholfen wird, die Hilfe auch wirklich brauchen", sagte Hoffmeister-Kraut.
Unionsländer wollen mehr Geld
Ein zweiter Punkt betrifft die Sanktionen gegen Hilfebezieher, die Termine im Jobcenter versäumen, die angebotene Jobs ablehnen oder Maßnahmen wie Weiterbildungskurse abbrechen. Laut Gesetzentwurf sollen die Sanktionen entschärft werden. In den ersten sechs Monaten, in der sogenannten Vertrauenszeit, soll nur für wiederholte Terminversäumnisse eine Geldkürzung von maximal zehn Prozent drohen, danach allerdings sind Sanktionen bis zu 30 Prozent des Regelsatzes möglich. Mehr lässt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019 grundsätzlich nicht zu.
Hoffmeister-Kraut lehnt die Vertrauenszeit ab, das System brauche "Mitwirkungsbereitschaft". Die Union setze dem "Verbindlichkeit und klare Grenzen" entgegen, sagte sie. Übersetzt heißt dies: Geht es nach der Union, müssen von Anfang an wieder mehr Sanktionen gegen pflichtsäumige Hilfebezieher, für die großzügigere Regelungen eingeführt wurden, möglich sein - ähnlich wie in der Zeit vor der Corona-Pandemie.
Drittens fordern die Unionsländer mehr Geld vom Bund. Dies sei für die Vorbereitung und Umsetzung des Bürgergelds nötig, sagte Hoffmeister-Kraut. Die umfassenden Reformpläne dürften zu einigem Aufwand in den Jobcentern führen, Personalräte der Behörden haben bereits in einem Brandbrief vor einer Überforderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewarnt. Hinzu kommen höhere Kosten, zum Beispiel soll es eine Prämie in Höhe von 150 Euro im Monat geben, wenn jemand eine Berufsausbildung nachholt. Insgesamt beziffert der Bundesrechnungshof die Mehrkosten allein im ersten Jahr des Bürgergelds auf etwa fünf Milliarden Euro.
Der Vermittlungsausschuss muss schnell arbeiten
Eine mögliche Einigung zwischen Ampel-Koalition und Union muss nun unter Zeitdruck stattfinden. Die Jobcenter benötigen Zeit, um sich auf die neue Gesetzeslage einzustellen. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hat bereits eine Einigung "noch im November" gefordert, wenn die Reform zum 1. Januar greifen soll.
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Schon jetzt gebe es Gespräche mit der Unionsseite, heißt es aus Regierungskreisen. Der Vermittlungsausschuss soll dann laut Arbeitsminister Heil kommende Woche erstmals tagen. Am Mittwoch nächster Woche werde der Ausschuss erstmals zusammentreten, heißt es aus Regierungskreisen. Von SPD-Seite soll er von Manuela Schwesig geführt werden, der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns. Der Ausschuss besteht aus 32 Mitgliedern, je 16 aus dem Bundestag und aus dem Bundesrat. Erzielt der Vermittlungsausschuss eine Einigung, so muss der Gesetzentwurf in seiner neuen Fassung erneut vom Bundestag und anschließend auch vom Bundesrat beschlossen werden.
Käme es zu keiner Einigung, so könnte dies gravierende Folgen haben. Im Gesetzespaket sind auch höhere Zahlungen für Hilfebezieher enthalten, Alleinstehende sollen zum Beispiel pro Monat 53 Euro mehr erhalten. Diese könnten bei einem Scheitern vorerst ausbleiben. Zudem würden die großzügigeren Regelungen für die Corona-Zeit auslaufen, etwa für das Schonvermögen. Für die Kompromissfindung bleibt dem Vermittlungsausschuss wohl nur die erste Sitzung am Mittwoch nächster Woche. Schon zwei Tage später, am 25. November, ist die vorletzte reguläre Sitzung des Bundesrates in diesem Jahr, in der das Bürgergeldgesetz beschlossen werden könnte. Die letzte am 16. Dezember gilt allgemein als zu spät.