Menschen aus der Umgebung tun sich zusammen, organisieren den Bau von Biogas-, Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen und nutzen den billigen Strom anschließend selbst. Keine Abhängigkeit mehr von großen Energieversorgern oder gar von Putins Öl und Gas. Das ist der Traum der dezentralen Energiewende. Revolution von unten.
Bislang wird der Traum in Deutschland höchstens halb gelebt. Nach Angaben der Dachorganisation Bündnis Bürgerenergie (BBEn) gibt es etwa 2000 Gesellschaften, in denen Bürger gemeinsam Energieanlagen finanzieren und betreiben. Etwa die Hälfte davon sind in Genossenschaften organisiert, Tendenz seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder stark steigend.
Im Jahr 2023 kamen so viele hinzu wie seit zehn Jahren nicht mehr, die Mitgliederzahl stieg um 20 000 auf 220 000. Die meisten Energiegenossen gibt es in Bayern und Baden-Württemberg. In der Regel aber speisen sie den Strom ihrer Anlagen nur ins öffentliche Netz ein und die Mitglieder teilen sich die Rendite.
Das Wirtschaftsministerium hält die Eigenversorgung mit Strom für ein Nischenthema
Nun fordert die Branche, dass das „Energy Sharing“ erleichtert wird, also das gemeinsame Nutzen des eigenen Stroms. Möglichst autark wollen sie sein, mit eigenem Strompreis. 72 Organisationen vor allem aus dem Energie-, Umwelt- und Klimabereich unterstützten am Dienstag in Berlin das Strategiepapier „Energie in Bürgerhand: Mitbestimmen, mitverdienen, mitmachen“. Darin fordern sie mehr Unterstützung und weniger Bürokratie von der Bundesregierung.
Dabei hat Berlin einige der komplexen Regularien schon aus dem Weg geräumt. Weitere Verbesserungen sind in einem Referentenentwurf des Wirtschaftsministeriums für ein neues Energiewirtschaftsgesetz geplant. Darin steht aber auch: „Es ist nicht davon auszugehen, dass die gemeinsame Nutzung von Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen kurz- oder mittelfristig zu einem Massengeschäft wird.“
Die Bürgergesellschaften versprechen sich mehr Akzeptanz für die Energiewende
Denn das sogenannte Energy Sharing schafft auch Probleme: Wenn ihre eigenen Windräder nicht genug produzieren, wollen die Genossen nämlich weiterhin Strom aus dem öffentlichen Netz ziehen. Liefern die örtlichen Stromquellen zu viel, wie etwa Solaranlagen an sonnigen Mittagen, dann wollen die Bürgergesellschaften den Überschuss einspeisen und ihn verkaufen. Wer zieht wie viel Strom aus der eigenen Anlage und wie viel aus dem öffentlichen Netz? Das endet in einer komplizierten Rechnerei.
Für Matthias Futterlieb, Mitarbeiter im Umweltbundesamt (UBA), sind vermeintliche Vorteile des Energy Sharing „mit einem großen Fragezeichen auch im Verhältnis zu Mehrkosten und Aufwand zu sehen“. Nicht umsonst würden die Protagonisten finanzielle Unterstützung des Staates fordern. Dazu ergäbe sich ein zusätzlicher Umweltnutzen nur dann, wenn durch solche Projekte signifikant mehr erneuerbare Energien gebaut würden, was aber in Studien nicht belegt werden konnte, sagt Futterlieb.
Ein Argument indes erkennen auch Kritiker an: Bürgerprojekte können die Akzeptanz für die Energiewende vor Ort erheblich steigern. Für das Bündnis Bürgerenergie sind sie fast ein Allheilmittel. Denn damit, sagt Vorständin Katharina Habersbrunner, böte sich die Möglichkeit, „gleichzeitig die Demokratie, die Wirtschaft, die Kommunen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Bürger und den Klimaschutz zu stärken“.