Bürgerdialog:Ein Virus, das sprachlos macht

Keine direkten Kontakte mehr, nur noch virtueller Unterricht, keine Einstellungsgespräche: Bürger erzählen dem Bundespräsidenten, wie ihnen die Corona-Pandemie die Arbeit erschwert.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Treffen sich ein Handwerker, eine Bankerin, eine Studentin, eine Mutter, eine Lehrerin und ein Arzt: Wie schön das doch ist, sagen sie. Dass wir alle hier sind, also wirklich: hier. Und miteinander sprechen. Sie tun das auf einer der regelmäßig stattfindenden Kaffeetafeln von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die dieser nutzt, um mit unterschiedlichen Bürgern zu unterschiedlichen Themen ins Gespräch zu kommen. Wobei es zurzeit natürlich nur ein Thema gibt: Corona. Das diskutieren die Teilnehmer im Garten von Schloss Bellevue, natürlich mit reichlich Abstand zwischen den Stühlen.

Der Handwerker, die Sparkassenangestellte, die Studentin und die Lehrerin können jeweils eigene Geschichten erzählen, wie die Pandemie ihr Leben verändert - vielfach: erschwert - hat. Von der mangelnden Digitalisierung der Schulen ist die Rede, von schlimmen hygienischen Zuständen und natürlich von den wirtschaftlichen Problemen, in die der Lockdown viele Menschen und Unternehmen gestürzt hat. Ein Problem zieht sich jedoch durch die ganze Runde, egal, welchen Lebensbereich die Gespräche berühren: Die Pandemie schafft nie gekannte Sprachbarrieren und Kommunikationsprobleme.

Ein Metallbauermeister aus Brandenburg berichtet, dass viele Handwerker Probleme haben, Auszubildende zu finden: "Wir können nicht an die Schulen gehen, um Jugendliche zu gewinnen. Die großen Jobmessen sind alle ausgefallen." Eine Lehrerin erzählt, dass viele ihrer Kolleginnen WhatsApp und private Rechner nutzten, um überhaupt mit ihren Schülern in Kontakt bleiben zu können: "Das verstößt eigentlich gegen alle Vorschriften."

Ausgerechnet die jüngste Teilnehmerin der Runde, die Klimaaktivistin und Studentin Carla Reemtsma, sagt ganz grundsätzlich: Digitaler Austausch ersetze den echten nicht, vor allem wenn man politisch etwas bewegen will. Ihre Bewegung Fridays for Future musste in den vergangenen Monaten mehrere Protestaktionen absagen, so wie viele politischen Organisationen. "Die Zivilgesellschaft ist wie leergefegt." Der digitale Raum sei nur ein kümmerlicher Ersatz. "Da trendet dann vielleicht mal einen Tag ein Hashtag. Aber das nehmen doch nur die wahr, die uns ohnehin schon folgen." Und Wirtschaftsminister Peter Altmaier kümmere es vermutlich auch nicht groß, wenn Millenials auf Social Media Plakate in die Kamera halten, sagt sie und grinst. Auf einem echten Marktplatz, vor den Rathäusern hingegen, da blieben auch die Leute bei einer Aktion stehen, die sich sonst nicht mit Klimafragen beschäftigen. Und so entstünde echter Druck auf die Politik.

Amtsarzt Patrick Larscheid aus Berlin-Reinickendorf hingegen macht gerade die Erfahrung, dass von ihnen eine ganz neue Form der Kommunikation erwartet wird. In der Corona-Pandemie sind Mediziner und Virologen zu Beratern der Politik geworden - was die sonstigen Logiken ihrer Arbeit gehörig aus dem Takt gebracht hat. In der Wissenschaft sei es normal, Erkenntnisse zu präsentieren, diese aber auch stetig zu erweitern, zu debattieren und manchmal auch zu revidieren, sagt Larscheid. Nun würden daraus in der Öffentlichkeit Konflikte gestrickt, Kollegen wie dem Virologen Christian Drosten würden vermeintlich falsche Entscheidungen vorgeworfen. "Wir sind an diesem Punkt wehrlos, wir können das nicht wieder einfangen", sagt er.

Diejenigen, die es einfangen müssen, die eigentlich verantwortlich sind für die Entscheidungen in der Corona-Pandemie sind nach wie vor Politiker, sagt Steinmeier. Dass sich dabei viele Menschen ungerecht behandelt fühlten, sei normal: "Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass eine Krise immer ein großer Gleichmacher ist." Corona trifft nicht alle gleich - und manche schon lange andauernde gesellschaftliche Ungerechtigkeit erscheint jetzt wie unter dem Brennglas. Welche Veränderungen jedoch aus den jetzt gemachten Erfahrungen erwachsen können, das sei die eigentliche große Frage der kommenden Monate. Und wie sie unter den verschärften Bedingungen der immer noch anhaltenden Pandemie zu diskutieren ist, eine große Herausforderung.

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