Nach dreieinhalb Stunden hält es Dell Taylor nicht mehr aus. "Wir leiden und ihr habt keinen Respekt für uns", ruft die sechsfache Mutter den Mitgliedern der Ferguson-Kommission zu. Die Afroamerikanerin redet sich in Rage: "Sie erschießen unsere Kinder in den Straßen und ihr redet über euch selbst." Neben ihr springen andere Bürger auf: "Ihr wisst nicht, welche Probleme wir in Ferguson haben."
40 Minuten lang versucht Starsky Wilson vergeblich, die Lage zu beruhigen. Der schwarze Pastor ist einer der beiden Chefs der neuen Kommission, die an diesem Montagmittag in einer Turnhalle in Ferguson erstmals zusammenkommt. Zuvor hatten sich die 14 Mitglieder - sieben weiß, sieben schwarz - ausführlich vorgestellt, ihre Hoffnungen geäußert und über die Grundprinzipien ihrer Arbeit debattiert. Doch das sind nicht die Themen, über die viele Menschen fast vier Monate nach den tödlichen Schüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown sprechen wollen. Sie fühlen sich chancenlos, von der Polizei schikaniert und von ihren Politikern im Stich gelassen.
"Ich brauche Hilfe. Ich habe zwanzig Jahre ein Antiquitätengeschäft in Ferguson geführt und das ist abgebrannt. All meine Ersparnisse stecken in dem Laden", klagt Jeniece Andrews. Niemand, weder von der Stadt noch vom Bundesstaat Missouri, habe sich seither bei ihr gemeldet, weshalb sie nun im Internet Geld sammele, um ihre Kinder ernähren zu können.
Andrews' Laden "Hidden Treasures" ging in Flammen auf, nachdem bekannt wurde, dass der weiße Polizist Darren Wilson nicht angeklagt wird, obwohl er zwölf Mal auf Brown geschossen hatte. Die Tumulte bei der Bürgerversammlung zeigen, wie groß das Entsetzen der Schwarzen in Ferguson über diese Entscheidung weiterhin ist - und dass die Region St. Louis von Normalität meilenweit entfernt ist.
"Zeigt uns, dass ihr anders seid"
Dabei hatte Gouverneur Jay Nixon die Kommission eingesetzt, um die Lage zu beruhigen. Ihre Mitglieder (mehr über deren Biografien hier) sollen die "sozialen und wirtschaftlichen Gründe" untersuchen, die gesellschaftlichen "Fortschritt, Gleichheit und Sicherheit" erschweren, heißt es in Nixons Erlass. Mitte September 2015 sollen sie einen Bericht mit Empfehlungen vorlegen.
Doch allein die Verbindung zu Nixon macht viele Bürger misstrauisch. Viele nehmen dem Demokraten übel, dass die von ihm gerufene Nationalgarde nicht die kleinen Geschäfte vor der Zerstörung gerettet hat und noch immer Dutzende Humvee-Militärfahrzeuge durch die Kleinstadt fahren. "Zeigt uns, dass ihr anders seid und hört uns zu", ruft ein schwarzer Army-Veteran. Erst als Kommissionschef Wilson versichert, dass der Programmpunkt "Anliegen der Community" vorgezogen wird, beruhigt sich die Lage. Tische werden zur Seite geschoben, die Mitglieder setzen sich direkt vor das Publikum und endlich haben die Bürger das Wort.
Regungslos hört der weiße Sergeant Kevin Ahlbrand, der einzige aktive Polizist in der Kommission, wie es mehr als zwei Stunden vor allem um eines geht: die Schikanen der Polizisten. Da ist die junge Afroamerikanerin, die in New York aufwuchs: "Ich erlebe hier einen Rassismus, den ich nicht kannte. Liebe Weiße, fragt irgendeinen Schwarzen in St. Louis, ob er sich durch die Polizei geschützt fühlt - und er wird mit 'Nein' antworten." Es folgt der Familienvater, der sich stets ans Tempolimit hält: "Die Gehälter der Polizisten werden durch meine Steuern bezahlt und trotzdem wird mein Auto ständig auf Drogen durchsucht. Das ist erniedrigend."