„Er führt einen hybriden Krieg gegen uns.“ Er, das ist Wladimir Putin. Kanzler Friedrich Merz (CDU) sagte den Satz, den viele Experten schon lange sagen, an diesem Montag in einer Talksendung. Ein anderer Satz, der dieser Tage oft zu hören ist, auch vom Kanzler übrigens: Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden. Es sind Wörter zu hören, deren Klang ein leichtes Schaudern verursachen kann, etwa Spannungsfall, „Operationsplan Deutschland“ (Oplan Deu) oder Drohnenabwehrzentrum. Da ist es nicht verwunderlich, dass auch die Buchbranche reagiert. Es entsteht derzeit eine Unterkategorie der zahlreichen Multikrisen-Analysen: das Kriegsszenarien-Sachbuch. Der Anspruch: das „Undenkbare denken“, Orientierung bieten, Mut machen.
Vorgelegt haben schon die Militärkenner Carlo Masala („Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“, C.H. Beck) und Franz-Stefan Gady („Die Rückkehr des Krieges“, Quadriga). Nicht zu vergessen natürlich der Militärhistoriker Sönke Neitzel, der seit Monaten als Dauerwarner auftritt. Zum Bücherherbst kommen nun in rascher Folge „Deutschland im Ernstfall. Was passiert, wenn wir angegriffen werden“ der Sicherheitsexperten Ferdinand Gehringer und Johannes Steger sowie „Wenn morgen bei uns Krieg wäre“ des Zeit-Redakteurs Hauke Friederichs und des Filmproduzenten Rüdiger Barth auf den Markt. Schon bei den Buchtiteln dürften nicht wenige Friedensfreunde und Zartbesaitete wohl rufen: Kriegstreiberei! Panikmache! Ganz falsch liegen sie damit nicht. Es ist ein schmaler Grat, den die vier Autoren hier beschreiten. Spätestens, wenn Friederichs und Barth Marschflugkörper und Raketen auf Norddeutschland fliegen lassen, dürfte mancher überlegen, sich lieber wieder die Decke über den Kopf zu ziehen und an den Sommerurlaub zurückzudenken.

Trotzdem lohnt sich die Mühe der Lektüre. Bei „Deutschland im Ernstfall“ ist das auch wörtlich zu verstehen, denn die Autoren arbeiten sich meist im trockenen Politikwissenschaftsstil durch die Szenarien, mit Meinung – etwa zu den zahllosen Problemen der Bundeswehr – halten sie sich auffallend zurück. Man lernt aber jede Menge Gesetze kennen, die zwar oft aus den Zeiten des Kalten Krieges stammen, aber immerhin den Eindruck entstehen lassen, dass der Staat durchaus vorgesorgt hat – wenn schon nicht im Detail, so doch mit Paragrafen. Der Fokus liegt bei Gehringer und Steger vordergründig auf lebenspraktischen Fragen („Ist mein Erspartes sicher?“, „Wie erkenne ich Desinformation?“, „Wer repariert die Heizung?“). Letztlich zeigt das Buch aber vor allem, wie die Behörden im Fall des Falles reagieren würden.

Das Buch von Friederichs und Barth (ein eingespieltes Autorenteam) ist deutlich dynamischer und reportagenhafter, diverse Experten kommen ausführlich zu Wort. Die Analyse holt weiter aus, hält sich bei den Paragrafen und Grundrechten nur kurz auf, zählt dafür akribisch alle Schwächen der Bundeswehr und eine ewige Liste von Beschaffungspannen auf, schaut auf Russlands Militärmacht und darauf, was man von den Ukrainern lernen kann.
Voraussehbares Ergebnis der Lektüre: Politik, Bundeswehr und Zivilgesellschaft sind nicht vorbereitet! Hilft das dann bei der Stärkung der „gesamtgesellschaftlichen Resilienz“ und der psychologischen Widerstandsfähigkeit jedes Einzelnen, wie Gehringer und Steger hoffen? „Kann man den Leuten im Frieden überhaupt vermitteln, was Krieg tatsächlich bedeutet, und so mehr Widerstandsfähigkeit erzeugen?“, fragen wiederum Friederichs und Barth. Mit blutigen Details aus fiktiven und zugespitzten Szenarien wohl eher nicht. Mit nüchterner Aufklärung und klarer Kommunikation seitens der Politik aber schon. „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst“, wäre solch ein Satz, der schon mal geholfen hat. Wenigstens ein bisschen.

