Süddeutsche Zeitung

Budgetpläne:Neuer EU-Haushalt gibt der Kommission mehr Macht

Der vorgeschlagene Finanzrahmen ermöglicht der Kommission, künftig finanziell gegen Mitglieder vorzugehen, bei denen die Rechtsstaatlichkeit leidet. Das dürfte vor allem Ländern in Osteuropa nicht gefallen.

Von Alexander Mühlauer

Um mal zu zeigen, worum es hier geht, macht Günther Oettinger eine einfache Rechnung auf: Von 100 Euro, die ein Bürger in der EU verdiene, zahle er im Schnitt die Hälfte an Steuern und Sozialabgaben; aber nur ein Euro davon komme in die Gemeinschaftskasse der Union. "Ein Euro", sagt der Haushaltskommissar, "das ist so viel wie eine Tasse Kaffee." Geht es nach Oettinger, sollen die EU-Staaten künftig mehr Geld nach Brüssel überweisen. Der Kommissar präsentierte am Mittwoch seinen Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der Jahre 2021 bis 2027. Die EU-Staaten geben sich damit eine Art Obergrenze, sie legen fest, wie viel Geld sie in dieser Zeit für Gemeinschaftsaufgaben zur Verfügung stellen wollen - und wohin dieses fließen soll. Es geht dabei nicht nur um viele Milliarden, sondern auch darum, was für die EU von zentraler Bedeutung ist - und was nicht. Der Streit ums Geld offenbart sämtliche Konflikte, die Europa umtreiben. Ein Überblick.

Brexit

Mit dem Brexit verliert die Europäische Union einen ihrer größten Nettozahler. Bis Ende 2020 wollen die Briten zwar weiter ihre Beiträge in den Haushaltstopf überweisen, doch danach klafft ein riesiges Loch. Nach Berechnungen der Kommission fehlen etwa zwölf Milliarden Euro pro Jahr, weil London mehr einzahlt, als es herausbekommt. Geht es nach Oettinger, soll die Brexit-Lücke zur Hälfte durch Einsparungen, zur anderen Hälfte durch frisches Geld der EU-Staaten geschlossen werden.

Neue Aufgaben

Die EU will deutlich mehr in den Schutz der Außengrenzen, die Terrorabwehr und die Verteidigung investieren. Auch die Ausgaben für Forschung und das Austauschprogramm Erasmus sollen erhöht werden. Doch woher soll das Geld kommen, wenn es nach dem Brexit weniger zu verteilen gibt? Die neuen Ausgaben für gemeinsame Projekte beziffert Oettinger auf etwa zehn Milliarden Euro. 20 Prozent davon sollen durch Kürzungen im Haushalt kommen; der Rest wiederum von den Mitgliedstaaten. Unter dem Strich soll es für alle teurer werden: Oettinger will den Haushaltsbeitrag von derzeit einem Prozent der Wirtschaftsleistung auf 1,11 Prozent erhöhen. Doch dagegen regt sich in Berlin, Wien und Den Haag Widerstand.

Rechtsstaatlichkeit

Die EU-Kommission will die Vergabe von Fördermitteln künftig an die Einhaltung von Grundwerten knüpfen, vor allem der Rechtsstaatlichkeit, und die Zahlungen künftig notfalls "aussetzen, verringern oder beschränken", erklärte die Behörde. Brüssel geht es dabei um den Schutz der eigenen finanziellen Interessen. So soll die Kommission einen Antrag auf Rückzahlung von Hilfen stellen können, wenn sie einen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit feststellt. Diesem Vorschlag könnten die EU-Staaten dann mit qualifizierter Mehrheit widersprechen. Eine Blockade der vier Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei wäre so nicht möglich. Unklar ist aber, ob diese Länder überhaupt dem Vorschlag der Kommission zustimmen; denn der Finanzrahmen muss einstimmig beschlossen werden.

Migration

"Wir müssen wissen, wer zu uns kommt", sagte Oettinger bei seinem Auftritt im Europäischen Parlament. Deshalb will die Kommission die Mitarbeiterzahl bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex binnen zehn Jahren von derzeit 1200 auf 10 000 erhöhen. Innere Grenzkontrollen wie etwa zwischen Deutschland und Österreich sollen damit überflüssig werden. Die Kommission will außerdem all jenen Ländern verstärkt helfen, deren Ausgaben im Zuge der Flüchtlingskrise gestiegen sind. Staaten wie Bulgarien, Italien oder Griechenland seien bei diesem Thema "sehr gefordert, wenn nicht überfordert", sagte Oettinger. Für Migration und Grenzmanagement soll fast dreimal so viel Geld zur Verfügung stehen wie im vergangenen Haushaltsplan.

Landwirtschaft

Die Mittel für die gemeinsame Agrarpolitik sollen um etwa fünf Prozent sinken. Auch die Strukturförderung soll um diesen Faktor gekürzt werden. Bei den Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe soll es bald entweder eine Obergrenze für erhaltene Beträge pro Betrieb oder aber abnehmende Zahlungen im Verhältnis zur bewirtschafteten Fläche geben. Davon sollen kleinere und mittlere Betriebe profitieren. Auch sollen die Direktzahlungen an ein "höheres Maß an umwelt- und klimapolitischen Ambitionen" geknüpft werden. Einer vollständigen Angleichung der Direktzahlungen pro Hektar, wie sie osteuropäische Staaten seit Längerem fordern, erteilte die Kommission eine Absage.

Euro-Zone

Als Antwort auf die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach einem Euro-Zonen-Budget hält die EU-Kommission zwei Vorschläge parat. Mit 25 Milliarden Euro soll ein "Reformhilfeprogramm" Staaten bei wirtschaftspolitischen Reformen unterstützen. Außerdem soll es eine Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion geben. Darlehen von bis zu 30 Milliarden Euro könnten dann im Falle wirtschaftlicher Schocks zur Verfügung stehen.

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SZ vom 03.05.2018/bix
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