Buch: Yasmina Reza über Sarkozy:... als ob es kein Gestern gäbe

Flirt zwischen Muse und Macht: Theaterautorin Yasmina Reza hat den französischen Politiker Nicolas Sarkozy hautnah begleitet - und lässt ihn sich selbst als eitlen Machtmenschen entzaubern.

Mirja Kuckuk

Sie: eine erfolgreiche Theaterautorin, die ein preisgekröntes Stück wie "Kunst" auf die Bühnen bringt. Er: ein erfolgreicher Politiker, der seine Welt als großes Schauspielhaus begreift und seine Aufritte wie kein Zweiter inszeniert und genießt.

Yasmina Reza und Nicolas Sarkozy

Ein Jahr lang kam die Theaterautorin Yasmina Reza dem jetzigen französischen Präsidenten näher als kaum ein anderer Journalist. Wirklich zu fassen bekam sie ihn aber nicht.

(Foto: Foto: AFP)

Was passiert, wenn sie ihn trifft, ein Jahr lang täglich hautnah begleiten darf? Dann sieht die Autorin einen Machtmenschen, der sich geschmeichelt fühlt - und nichts dagegen hat, dass der Flirt zwischen Muse und Macht zu einem Buch führt.

"L'aube, le soir ou la nuit" ("Die Dämmerung, der Abend oder die Nacht") heißen die Beobachtungen, die Yasmina Reza auf 200 Seiten über Nicolas Sarkozy festgehalten hat - den wuseligen Franzosen, den sie "Speedy Sarkozy" nennen, und der inzwischen in seinem Rennen ganz oben angekommen ist, im Präsidentenpalais.

Das Staatsoberhaupt, im Mai gewählt, hält sich Journalisten normalerweise am liebsten vom Leib. Kritische Medien werden ignoriert, ein enger Draht zu ihm wohlgesonnenen Blättern und Sendern gepflegt. Die pausenlose PR-Politik führt sogar soweit, dass unvorteilhafte Bilder geschönt werden. Im Wahlkampf wurde dieser Regisseur der Realität deshalb in die Nähe des italienischen Ex-Premierministers Silvio Berlusconi gerückt.

Doch wie jeder Politiker braucht auch er die Medien. Von dem Gesamtkunstwerk "Sarko" sollte jemand künden, der höchstes Niveau beim Schreiben verspricht - die Erfolgsautorin Yasmina Reza eben. Einzige Bedingung für die Dauerreporterin, die Zugang zur Intimität der Macht bekam, war, dass sie nicht über Sarkozys Frau Cécilia berichten durfte. Seine Motivation brachte Sarkozy kurzum auf den Punkt: "Wenn es mich nicht gäbe, müsste man mich noch erfinden."

Willkommen im Theater

Das Buch erschien Ende August und wurde in Frankreich mit Spannung erwartet. Die einen wollten ein messerscharfes Porträt lesen, die anderen sagenhafte Enthüllungen. Enttäuscht wurden beide. Intelligent, oberflächlich, ehrgeizig, ungeduldig, selbstverliebt, nervös und manchmal wie ein kleines Kind - so erlebte und beschreibt die Autorin ihr Sujet Sarkozy. "Nichts Neues", moniert unter anderem der Kritiker von La Libération.

Doch der Einwand, Reza gehe gänzlich unkritisch mit Sarkozy um und stelle sogar selbstverliebt ihre Nähe zum neugewonnenen Duz-"Freund" heraus, greift zu kurz.

Yasmina Reza nutzt ihre Stärken: die Analyse von Figuren und die Inszenierung von Schauspiel. "Politik ist ein idiotisches Metier für intelligente Leute", zitiert sie einen Freund. Das ist das Leitmotto für ihr Stück über Sarkozy. Von Station zu Station eilt sie neben dem gockelhaften Politiker her, sie fängt die Figur ein in kurzen Szenen, bruchstückhaften Dialogen. "Die Realität zählt nicht, sondern ihre Wahrnehmung", lernt Yasmina Reza von einem Sarkozy-Berater.

Willkommen im Theater.

Ein bisschen viel Mitleid

Ein Sympath ist der Protagonist dieses Stückes nicht. Er ist ein Ehrgeizling, ein Hektiker, der auf dem Weg an die Macht keine Zeit zu verlieren hat. Manchmal spricht dabei ein bisschen zu viel Mitleid aus der Autorin, denn ihr Ansatz ist es, Sarkozy als Mann darzustellen, "der mit dem Lauf der Zeit konkurrieren will" - der agiert, "als gäbe es kein Gestern". Allerdings fällt es schwer, dies beim Lesen nachzuempfinden. Sarkozy beherrscht und genießt seine selbstgewählte Rolle allzu sehr.

Seine Beobachterin begibt sich auf den schmalen Grat, das Vertrauen der Leser zu gewinnen und ihnen das "Phänomen" Sarkozy zu zeigen, ohne ihn gleichzeitig vorzuführen und sein Vertrauen zu verlieren.

Die 48-Jährige, die wie Sarkozy sowohl jüdische als auch ungarische Vorfahren hat, entlarvt sein Wesen in vielen kleinen Begebenheiten: die ungeduldigen Gesten, wenn er doch scheinbar interessiert den Anliegen potentieller Wähler lauscht. Die kindliche Freude über hohe Zuschauerquoten im Fernsehen, die verächtliche Bemerkung über eine gerade noch als "sehr wertvoll" bezeichnete Podiumsdiskussion, das Gespräch mit seinem Berater auf der Suche nach der verführerischsten politischen Formel.

Mag ja sein, dass jene unbefriedigt zurückbleiben, die ein präzises, tiefes Porträt erwartet hatten. Wer, bitte, ist Sarkozy? Gegen wen haben die Franzosen die Sozialistin Ségolène Royale verlieren lassen?

Yasmina Reza nimmt sich als Kommentatorin zurück, die Figuren charakterisieren sich selbst über ihre Rede, ihre Aktion. Szene für Szene lässt sie den Protagonisten sich selbst beschreiben, peu à peu setzt sich das Bild des öffentlichen Mannes Nicolas Sarkozy zusammen. Flüchtig, oberflächlich, einfach enttäuschend mag das erscheinen - aber dafür kann die Autorin selbst am wenigsten. Schließlich schreibt sie die Figur nicht, sie beschreibt sie.

Und der Betrachtete selbst? Am Ende sitzt er auf dem errungenen Terrain, in seinem prachtvollen Büro im Élysée-Palast. Er findet es "ein bisschen trist" und gibt zu: "Ich kann nicht sagen, dass ich unglücklich bin."

Ein richtiges Happy End war auch nicht zu erwarten, wenn Muse und Macht flirten.

Yasmina Reza: "L'aube, le soir ou la nuit". Flammarion, 18 Euro.

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