Buch über Tötung von Osama bin Laden:Operation Geronimo

Zehn Jahre dauerte die Jagd nach dem Al-Qaida-Führer, im Mai 2011 war sie beendet. Das US-Spezialkommando der Navy Seals meldete die Tötung Osama bin Ladens. Das Buch des Experten Peter L. Bergen über die Verfolgung des Terrorpaten ist ein Krimi.

Olaf Ihlau

Es war eine Hinrichtung: Als amerikanische Elitesoldaten Osama bin Laden im Mai 2011 endlich aufstöberten, war sein Schicksal besiegelt. Es galt Rache zu nehmen für "9/11". Auf ein juristisches Tribunal wollte Amerikas politische Führung offenbar lieber verzichten. Der Terrorpate sollte auf Erden keinerlei öffentliche Bühne mehr finden, sein Leichnam schlicht verschwinden.

Nach der Tötung Bin Ladens

Erste Videoaufnahmen aus dem Inneren des Anwesens im pakistanischen Abbottabad, in dem Terroristenführer Osama bin Laden am 2. Mai 2011 von einem US-Spezialkommando aufgespürt und getötet wurde (Archiv).

(Foto: dpa)

So apodiktisch formuliert der Journalist und Terrorismusexperte Peter L. Bergen den Tötungsauftrag der Navy Seals zwar nicht, aber das Vorgehen des Spezialkommandos beim Sturm auf Bin Ladens Anwesen im pakistanischen Abbottabad lässt schwerlich eine andere Deutung zu: Von den elf Erwachsenen, die sich in jener Nacht auf dem Gelände aufhielten, wurden sieben innerhalb einer Viertelstunde niedergeschossen. Die meisten waren unbewaffnet. Währenddessen wartete Bin Laden in seinem Schlafzimmer des obersten Stockwerks schweigend im Dunkeln.

Bergen meint, Bin Laden hätte allenfalls dann überleben können, wenn er sofort mit erhobenen Armen aus dem Schlafzimmer gekommen wäre. Das tat der Al-Qaida-Führer nun nicht. Aber er griff auch nicht zu der AK-47 oder der Makarow-Pistole, die im Regalbrett seines Schlafzimmers lagen. Als die fremden Männer dort eindrangen, warf sich seine vierte Ehefrau vor ihren Mann, wurde von einem Schuss in den Unterschenkel getroffen und brach bewusstlos zusammen.

Bergens Schilderung erinnert an einen Krimi von Henning Mankell: "Bin Laden leistete keinen Widerstand, als man ihm eine ,doppelte Ladung' in die Brust und ins linke Auge schoss. Es war ein grässlicher Anblick: Das Gehirn spritzte bis an die Decke und sickerte aus der Augenhöhle. Der Fußboden um das Bett war von Bin Ladens Blut verschmiert."

Dass "Geronimo", so das Codewort der US-Fahnder für Bin Laden, "im Gefecht getötet" wurde, meldete das Seal-Kommando dem Weißen Haus. Dort hatte im Lagebesprechungsraum Obama mit seinem Kriegskabinett die Operation 40 Minuten lang live in der Videoübertragung einer Tarnkappendrohne verfolgt. Es habe ein befreites Aufatmen gegeben, aber weder Jubelrufe noch Schulterklopfen, schildert Bergen diese Szene. Der Präsident habe nur vor sich hin gemurmelt: "Wir haben ihn, wir haben ihn."

Mit sensationellen Neuigkeiten vermag Bergen zwar nicht aufzuwarten. Doch so dicht, detailliert und farbig wurde die Operation "Neptuns Speer", die wohl kostspieligste Menschenjagd aller Zeiten, noch nirgendwo beschrieben. Dabei kam Bergen zweierlei zugute: Er hatte 1997 als erster westlicher Journalist Bin Laden in einer Lehmhütte in den ostafghanischen Bergen für den Nachrichtensender CNN interviewt. Und er erhielt nach dem Tod des Terrorpaten Zugang zu hochrangigen Mitarbeitern im Weißen Haus, zum US-Militär und zu CIA-Beamten, die die Jagd auf den Al-Qaida-Führer organisiert und geleitet hatten. Dass diese Seite in der Regel nur preisgab, was ihr günstig erschien, darf getrost unterstellt werden, es mindert indes nicht Aussagekraft und Qualität des Buches.

Eigentlich ist es erstaunlich, wie lange der gigantische Apparat der amerikanischen Geheimdienste brauchte, um dem nach der Schlacht um Tora Bora im Winter 2001 untergetauchten Al-Qaida-Chef wieder auf die Spur zu kommen. Sein Versteck wurde irgendwo in den pakistanischen Stammesgebieten vermutet. Von Zeit zu Zeit bejubelte Bin Laden erfolgreiche Anschläge seiner Anhänger in Audio- oder Videobotschaften. Deren Bänder gelangten über Kuriere zu Sendern wie al-Dschasira. Die CIA überprüfte Unmengen aufgefangener Telefongespräche aus dem Unterstützer-Netzwerk al-Qaidas, fast ein Jahrzehnt lang ohne Erfolg. Erst 2010 wurde durch Geotargeting-Techniken das Handy eines früheren Kuriers von Bin Laden geortet. Die Spur führte nach Abbottabad, zu einem Gebäudekomplex ohne Telefon- und Internetanschluss, der mit fast vier Meter hohen Mauern wie eine Festung wirkte.

Eine Festung mit vier Meter hohen Mauern

Kaum zu glauben, dass dieses "Araberhaus", wie es von Nachbarn genannt wurde, nicht auch das Interesse des allmächtigen pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI fand, der unweit davon eine Militärakademie unterhält. CIA-Agenten überwachten die Anlage und fanden heraus, dass dort die beiden Familien des Kuwaiters und seines Bruders lebten sowie eine dritte Großfamilie mit drei Frauen und wenigstens neun Kindern, die nie das Anwesen verließen. Außerdem beobachteten sie über Satelliten eine mysteriöse Person, die jeden Tag im Gemüsegarten herumspazierte und dabei von einer raffiniert aufgespannten Plane abgeschirmt wurde, sodass kein klares Bild zustande kam. Das war Bin Laden beim Hofgang in einer Art selbst gewähltem Gefängnis, in dem er fast sechs Jahre lang unbehelligt hauste.

Bis zuletzt wussten die US-Fahnder nicht, ob sich Bin Laden wirklich in Abbottabad aufhielt. Die Experten schätzten die Wahrscheinlichkeit auf 40 bis 60 Prozent. "Wir haben die besten Beweise seit Tora Bora, und das bedeutet, wir haben die Pflicht zu handeln. Es gibt kein Zurück mehr", warb CIA-Direktor Leon Panetta bei den Debatten im Washingtoner Kriegskabinett für einen Militärschlag. Vizepräsident Joe Biden und Verteidigungsminister Robert Gates aber waren gegen ein Kommandounternehmen, solange nicht feststand, dass Bin Laden in Abbottabad lebte.

Beide fürchteten, solch eine Verletzung der Souveränität Pakistans werde zum permanenten Bruch der Beziehungen zwischen Washington und Islamabad führen: Pakistan könnte dann die Land- und Luftkorridore für den Nachschub der 100 000 im benachbarten Afghanistan operierenden amerikanischen Soldaten sperren und zudem die zähneknirschende Zustimmung zu den erfolgreichen US-Drohnenangriffen gegen Al-Qaida-Kämpfer auf seinem Territorium künftig verweigern.

Barack Obama entschied sich, das Risiko einzugehen und ordnete den Militärschlag an. Der Erfolg gab ihm recht. Das nicht eingeweihte, nunmehr düpierte pakistanische Militär aber schäumte. Bergen beschreibt minutiös Verlauf und Nachspiel dieser Aktion, garniert mit dem süffisanten Kommentar: "Wenn die Seals in Pakistan eindringen und mitten im Land herumfuhrwerken konnten, ohne dass es dem pakistanischen Militär auffiel oder es etwas dagegen unternahm, was sagte das über die Fähigkeit der Armee aus, die eigenen Kronjuwelen, die Atomwaffen vor indischen Truppen oder auch den Amerikanern zu schützen?"

Bergen gelang es, den Gebäudekomplex in Abbottabad zu besichtigen. Auch die pakistanischen Sicherheitsbeamten, die Bin Ladens Frauen verhörten, konnte er befragen. Ein professioneller Rechercheur mit Reporterglück. Zwei Wochen nach Bergens Besuch wurde der Komplex abgerissen.

Olaf Ihlau berichtet seit 35 Jahren, zunächst für die SZ, dann für den Spiegel, über Afghanistan und die umliegenden Länder. Peter L. Bergen: Die Jagd auf Osama bin Laden. Eine Enthüllungsgeschichte. DVA, München 2012. 368 Seiten, 19,99 Euro.

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