Dies will Susan Page, die Leiterin des Washingtoner Büros von USA Today, nicht so stehen lassen: "Es ist berechtigt, die Medien zu kritisieren. Aber wir Journalisten beziehen jetzt stärker Stellung. Wenn ich sehe, dass etwas weiß ist, dann schreibe ich das auf und gebe nicht nur wieder: Politiker A sagt, es ist weiß und Politiker B sagt, es ist schwarz." Die Journalisten hätten die Lehren aus den Debatten um Obamas Geburtsort und die Birther-Bewegung sowie um die oft kruden Thesen zur Negation der Erderwärmung gezogen, erläutert Page: "Vor ein paar Jahren kamen die Klimaskeptiker stets zu Wort, doch heute steht überall, dass nur wenige Wissenschaftler den Klimawandel abstreiten."
Diese Haltung ist typisch für die überregionalen Zeitungen und Sender: Die Kritik von Mann und Ornstein wird zwar ernst genommen, aber zugleich als überzogen empfunden. Einige Blogger wie Dylan Byers von Politico wundern sich nicht zu Unrecht, dass das Thema bisher in keiner der wichtigen TV-Sonntagstalkshows diskutiert wurde - offenbar besteht kein Bedarf, die eigene Rolle zu diskutieren. Der Economist kritisiert etwas anderes: Es sei weder verboten, dass sich eine Partei neu ausrichte, noch hätten Think-Tank-Mitarbeiter das Vorrecht, die politische Mitte zu definieren und von Radikalität zu sprechen.
Hohen Anteil an der Polarisierung Amerikas haben fraglos Radio-Talker wie Rush Limbaugh und die Kabel-Nachrichtensender, die auch am stärksten von den Dauer-Attacken profitieren. Limbaugh sei - ähnlich wie der Steuersenkungsfanatiker Grover Norquist - mittlerweile so mächtig, dass er sich alles erlauben könne, klagen Mann und Ornstein.
Selbst als Limbaugh eine Studentin, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, als "Schlampe" beschimpfte, habe sich kein hochrangiger Republikaner getraut, dies deutlich verurteilen. Ähnlich sei es mit Verschwörungstheoretikern wie Allen West, dessen hanebüchene Aussagen niemand in der Grand Old Party widerspricht: Der Abgeordnete aus Florida sagte jüngst, 78 bis 81 der Demokraten im Kongress seien Mitglieder der Kommunistischen Partei.
Wolf News statt Fox News
Solche Aussagen sind regelmäßig auch bei Fox News zu hören, wo selbsternannte Experten rund um die Uhr über den Dauerkrieg zwischen Republikanern und Demokraten reden. Das Geschäftsmodell zahlt sich aus: Der Sender machte 2010 rund 700 Millionen Dollar Gewinn, in diesem Jahr wird eine Milliarde Dollar erwartet.
Norman Ornstein blickt wenig optimistisch in die Zukunft, denn selbst wenn Fox News morgen verkünden würde, dass sie zwar die Politik von Präsident Obama nicht mögen, aber ihn nicht bekämpfen würden, wäre das Problem nicht gelöst: "Nach einer Woche wäre Wolf News mit der gleichen hasserfüllten Mischung auf Sendung und die 20 Millionen, die heute im Laufe eines Tages Fox News einschalten, würden das gucken."
Ornstein nennt einen wichtigen Punkt: Ein beträchtlicher Teil der Amerikaner ist mit dem radikalen Politikansatz der Tea-Party-Fraktion zufrieden. Mehr als 90 Prozent aller konservativen Abgeordneten haben per Eid geschworen, keiner Steuererhöhung zuzustimmen. Diese Haltung beunruhigt auch moderate Republikaner wie den Ex-Abgeordneten Mickey Edwards, der später in Princeton und Harvard gelehrt hat. "Die Amerikaner leben heute streng voneinander getrennt, wie auf kleinen Inseln. Sie umgeben sich mit Leuten, die wie sie denken. Aber in einer Demokratie reicht es nicht, alle zwei Jahre zur Wahl zu gehen", analysiert Edwards. Der 74-Jährige will seine Landsleute nicht aus der Verantwortung entlassen: "Die Bürger müssen ernsthaft über die Probleme der Gesellschaft diskutieren. Zu viele Amerikaner sind dazu nicht bereit und dies ist ein Riesenproblem."
Natürlich wissen Mann und Ornstein, dass Amerikas Probleme nicht sofort aus der Welt zu schaffen sind. In ihrem Buch sowie in einem weiteren Essay für die Washington Post bewerten sie verschiedene Lösungsansätze. Sie sind äußerst skeptisch, dass eine dritte Partei ("90 Prozent aller Amerikaner bekennen sich zu Republikanern oder Demokraten") oder eine Begrenzung der Amtszeiten für Abgeordnete ("Der Anreiz, die langfristigen Probleme zu lösen, würde noch weiter sinken") die Lage verbessern würde. Zugleich warnen sie die Amerikaner davor, zu glauben, dass sich das politische System selbst in die richtige Balance bringen werde: "Die jetzige Polarisierung und Missachtung der parlamentarischen Spielregeln ist ohne historisches Beispiel."
Die beiden Experten schlagen hingegen vier Maßnahmen vor: Sie möchten die Wahlbeteiligung erhöhen ("Eine Wahlpflicht wie in Australien ist zwar in Amerika unmöglich, aber die Anbindung an eine Lotterie könnte Wunder wirken") und die Möglichkeit des Filibuster radikal begrenzen ("Es muss zur Ausnahme werden, dass Abstimmungen im Senat verschleppt werden können"), damit die Minderheit im Senat nicht alles blockieren kann. Nur bei Fragen von "nationaler Bedeutung" soll filibustering möglich sein.
In Bezug auf die Reform der Wahlkampffinanzierung nennen sie zwei Ideen: Veröffentlicht alle Spenden an Lobbygruppen zur Unterstützung oder Bekämpfung von Abgeordneten (Super-Pacs) und setzt das Kooperationsverbot zwischen Finanziers und Kandidaten endlich durch. Und schließlich müssten die Wahlbezirke so zugeschnitten werden, dass nicht (wie heute oft der Fall) eine Partei von Beginn an als Sieger feststeht. Dies würde dazu führen, dass sich die Kandidaten um die Wähler in der Mitte bemühen - und nicht alles daran setzen müssen, der eigenen Basis zu gefallen und den Gegner niederzumachen.
Vermutlich werden die Vorschläge von Thomas Mann und Norman Ornstein die republikanischen Abgeordneten auf dem Capitol Hill nur wenig beeindrucken. Altersmilde werden die beiden jedoch sicher nicht: Als Widmung hat Ornstein in viele seiner Bücher geschrieben: "Help us clean up this mess." Sie werden ihr Möglichstes dafür tun, den Saustall in Washington auszumisten.
Der Autor twittert unter @matikolb
Linktipps: Der vieldiskutierte Zeitungsessay von Thomas Mann und Norman Ornstein über die radikalen Republikaner ist ebenso auf der Website der Washington Post wie ihre Lösungsvorschläge.