Buch über das politische System der USA:"Republikaner sind rebellische Außenseiter"

Eine Weltmacht in Geiselhaft einer Partei: Zwei wichtige US-Politologen machen die Republikaner für Amerikas Selbstblockade verantwortlich. Nur die Republikaner. Um das Buch des zornigen Autoren-Duos ist in den USA ein heftiger Kulturkampf entbrannt.

Matthias Kolb, Washington

Es ist ein Text, der den Nerv der Zeit trifft. Fast 250.000 Mal wurde "Sprechen wir es aus: Die Republikaner sind das Problem" auf Facebook empfohlen, mehr als 5000 Menschen hinterließen Kommentare auf der Website der Washington Post, die den Essay veröffentlicht hat. Beim Online-Händler Amazon war das Buch von Thomas Mann und Norman Ornstein, die Langfassung des Texts, sofort ausverkauft und auf den Schreibtischen der Autoren stapeln sich Tausende Leserbriefe.

Die Kernthese des Buches mit dem Titel It's even worse than it looks: "Die Republikaner haben sich zu rebellischen Außenseitern entwickelt: Ihre Abgeordneten sind extrem ideologisch, verachten die Sozial- und Wirtschaftspolitik des vergangenen Jahrhunderts und lehnen jeden Kompromiss ab." Fakten oder wissenschaftliche Erkenntnisse kümmerten sie nicht und den Demokraten werde schlicht die Legitimität abgesprochen, klagen Mann und Ornstein. Der politische Gegner soll vernichtet werden. Exemplarisch die Aussage von Mitch McConnell, dem mächtigsten Republikaner im Senat, über die Prioritäten bis zur Wahl im November 2012: "Wir müssen verhindern, dass Obama wiedergewählt wird." (Der Auftritt hier im Video.)

Die Kritik an der Blockadehaltung der Grand Old Party ist nicht neu, sie ist in linken Medien und Blogs oft zu lesen. Der Trubel um das Buch ist aber durch den Ruf der beiden Autoren zu erklären: Das Duo beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit US-Innenpolitik, hat mehrere Standardwerke verfasst und gilt als Musterbeispiel für Überparteilichkeit. Mann arbeitet für die liberale Brookings Institution, während Ornstein am konservativen American Enterprise Institute forscht.

Doch nach dem Dauerstreit um die Anhebung der Schuldenobergrenze im Sommer war klar, dass sie Stellung beziehen müssten. Es stehe zu viel auf dem Spiel, so Ornstein während der Buchvorstellung bei Brookings: "Ich war immer stolz darauf, dass Zuhörer nach Veranstaltungen zu mir sagten: 'Ich weiß nicht, welche Partei du bevorzugst.' Deshalb war es nicht leicht, das Buch zu schreiben. Aber wir haben uns in 40 Jahren Forschung ein gewisses Kapital erarbeitet und das müssen wir nun einsetzen."

"Kompromiss ist, wenn Demokraten die Meinung der Republikaner übernehmen"

Egal ob Schuldenkrise, Zuwanderung oder die Kostenexplosion im Sozialwesen - nirgends seien Lösungen für die drängenden Probleme des Landes in Sicht. Beide Parteien handeln heute so, als hätten die USA ein parlamentarisches System wie in Großbritannien, in dem die Mehrheit den Regierungschef stellt. Dabei haben Amerikas Gründerväter ein Machtgefüge geschaffen, in dem Präsident und Parlament separat gewählt werden.

Die dafür nötige Kompromissbereitschaft gebe es jedoch nur noch bei den Demokraten. Um Erfolge für Obama zu verhindern, riskierten die Republikaner lieber die Kreditwürdigkeit des Landes und verdammen heute - siehe Gesundheitsreform - ursprünglich eigene Ideen nun als "sozialistisch". Kein Wunder also, dass nur noch etwa jeder zehnte Amerikaner dem Kongress ein positives Zeugnis ausstellt.

Typisch ist die Haltung von Richard Mourdock, der gerade den stets zu Verhandlungen bereiten Senator Dick Lugar in einer Senats-Vorwahl in Indiana besiegte. Mourdock definiert Kooperation so: "Ein Kompromiss besteht darin, dass die Demokraten die Meinung der Republikaner übernehmen."

Es sind solche Aussagen, die Mann und Ornstein zur Verzweiflung treiben. Doch das Duo hat auch weitere Schuldige für Amerikas Stillstand identifiziert: Die Mainstream-Medien würden oft beide Seiten zitieren, ohne klarzumachen, dass es vor allem die Republikaner seien, die blockieren. Die "falsch verstandene Objektivität" sei schädlich, so Mann und Ornstein. Sie sind überzeugt: "Es verzerrt die Realität, auf ausgewogene Art über diese Unausgewogenheit zu berichten."

Den Saustall in Washington ausmisten

Dies will Susan Page, die Leiterin des Washingtoner Büros von USA Today, nicht so stehen lassen: "Es ist berechtigt, die Medien zu kritisieren. Aber wir Journalisten beziehen jetzt stärker Stellung. Wenn ich sehe, dass etwas weiß ist, dann schreibe ich das auf und gebe nicht nur wieder: Politiker A sagt, es ist weiß und Politiker B sagt, es ist schwarz." Die Journalisten hätten die Lehren aus den Debatten um Obamas Geburtsort und die Birther-Bewegung sowie um die oft kruden Thesen zur Negation der Erderwärmung gezogen, erläutert Page: "Vor ein paar Jahren kamen die Klimaskeptiker stets zu Wort, doch heute steht überall, dass nur wenige Wissenschaftler den Klimawandel abstreiten."

Diese Haltung ist typisch für die überregionalen Zeitungen und Sender: Die Kritik von Mann und Ornstein wird zwar ernst genommen, aber zugleich als überzogen empfunden. Einige Blogger wie Dylan Byers von Politico wundern sich nicht zu Unrecht, dass das Thema bisher in keiner der wichtigen TV-Sonntagstalkshows diskutiert wurde - offenbar besteht kein Bedarf, die eigene Rolle zu diskutieren. Der Economist kritisiert etwas anderes: Es sei weder verboten, dass sich eine Partei neu ausrichte, noch hätten Think-Tank-Mitarbeiter das Vorrecht, die politische Mitte zu definieren und von Radikalität zu sprechen.

Hohen Anteil an der Polarisierung Amerikas haben fraglos Radio-Talker wie Rush Limbaugh und die Kabel-Nachrichtensender, die auch am stärksten von den Dauer-Attacken profitieren. Limbaugh sei - ähnlich wie der Steuersenkungsfanatiker Grover Norquist - mittlerweile so mächtig, dass er sich alles erlauben könne, klagen Mann und Ornstein.

Selbst als Limbaugh eine Studentin, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, als "Schlampe" beschimpfte, habe sich kein hochrangiger Republikaner getraut, dies deutlich verurteilen. Ähnlich sei es mit Verschwörungstheoretikern wie Allen West, dessen hanebüchene Aussagen niemand in der Grand Old Party widerspricht: Der Abgeordnete aus Florida sagte jüngst, 78 bis 81 der Demokraten im Kongress seien Mitglieder der Kommunistischen Partei.

Wolf News statt Fox News

Solche Aussagen sind regelmäßig auch bei Fox News zu hören, wo selbsternannte Experten rund um die Uhr über den Dauerkrieg zwischen Republikanern und Demokraten reden. Das Geschäftsmodell zahlt sich aus: Der Sender machte 2010 rund 700 Millionen Dollar Gewinn, in diesem Jahr wird eine Milliarde Dollar erwartet.

Norman Ornstein blickt wenig optimistisch in die Zukunft, denn selbst wenn Fox News morgen verkünden würde, dass sie zwar die Politik von Präsident Obama nicht mögen, aber ihn nicht bekämpfen würden, wäre das Problem nicht gelöst: "Nach einer Woche wäre Wolf News mit der gleichen hasserfüllten Mischung auf Sendung und die 20 Millionen, die heute im Laufe eines Tages Fox News einschalten, würden das gucken."

Ornstein nennt einen wichtigen Punkt: Ein beträchtlicher Teil der Amerikaner ist mit dem radikalen Politikansatz der Tea-Party-Fraktion zufrieden. Mehr als 90 Prozent aller konservativen Abgeordneten haben per Eid geschworen, keiner Steuererhöhung zuzustimmen. Diese Haltung beunruhigt auch moderate Republikaner wie den Ex-Abgeordneten Mickey Edwards, der später in Princeton und Harvard gelehrt hat. "Die Amerikaner leben heute streng voneinander getrennt, wie auf kleinen Inseln. Sie umgeben sich mit Leuten, die wie sie denken. Aber in einer Demokratie reicht es nicht, alle zwei Jahre zur Wahl zu gehen", analysiert Edwards. Der 74-Jährige will seine Landsleute nicht aus der Verantwortung entlassen: "Die Bürger müssen ernsthaft über die Probleme der Gesellschaft diskutieren. Zu viele Amerikaner sind dazu nicht bereit und dies ist ein Riesenproblem."

Natürlich wissen Mann und Ornstein, dass Amerikas Probleme nicht sofort aus der Welt zu schaffen sind. In ihrem Buch sowie in einem weiteren Essay für die Washington Post bewerten sie verschiedene Lösungsansätze. Sie sind äußerst skeptisch, dass eine dritte Partei ("90 Prozent aller Amerikaner bekennen sich zu Republikanern oder Demokraten") oder eine Begrenzung der Amtszeiten für Abgeordnete ("Der Anreiz, die langfristigen Probleme zu lösen, würde noch weiter sinken") die Lage verbessern würde. Zugleich warnen sie die Amerikaner davor, zu glauben, dass sich das politische System selbst in die richtige Balance bringen werde: "Die jetzige Polarisierung und Missachtung der parlamentarischen Spielregeln ist ohne historisches Beispiel."

Die beiden Experten schlagen hingegen vier Maßnahmen vor: Sie möchten die Wahlbeteiligung erhöhen ("Eine Wahlpflicht wie in Australien ist zwar in Amerika unmöglich, aber die Anbindung an eine Lotterie könnte Wunder wirken") und die Möglichkeit des Filibuster radikal begrenzen ("Es muss zur Ausnahme werden, dass Abstimmungen im Senat verschleppt werden können"), damit die Minderheit im Senat nicht alles blockieren kann. Nur bei Fragen von "nationaler Bedeutung" soll filibustering möglich sein.

In Bezug auf die Reform der Wahlkampffinanzierung nennen sie zwei Ideen: Veröffentlicht alle Spenden an Lobbygruppen zur Unterstützung oder Bekämpfung von Abgeordneten (Super-Pacs) und setzt das Kooperationsverbot zwischen Finanziers und Kandidaten endlich durch. Und schließlich müssten die Wahlbezirke so zugeschnitten werden, dass nicht (wie heute oft der Fall) eine Partei von Beginn an als Sieger feststeht. Dies würde dazu führen, dass sich die Kandidaten um die Wähler in der Mitte bemühen - und nicht alles daran setzen müssen, der eigenen Basis zu gefallen und den Gegner niederzumachen.

Vermutlich werden die Vorschläge von Thomas Mann und Norman Ornstein die republikanischen Abgeordneten auf dem Capitol Hill nur wenig beeindrucken. Altersmilde werden die beiden jedoch sicher nicht: Als Widmung hat Ornstein in viele seiner Bücher geschrieben: "Help us clean up this mess." Sie werden ihr Möglichstes dafür tun, den Saustall in Washington auszumisten.

Der Autor twittert unter @matikolb

Linktipps: Der vieldiskutierte Zeitungsessay von Thomas Mann und Norman Ornstein über die radikalen Republikaner ist ebenso auf der Website der Washington Post wie ihre Lösungsvorschläge.

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