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Buch "Neukölln ist überall":Buschkowsky rechnet ab

Heinz Buschkowsky, SPD-Bürgermeister von Neukölln, hat ein Buch über sein Viertel geschrieben, das zum Synonym für gescheiterte Integration und Jugendkriminalität geworden ist. Buschkowsky keilt darin durch das Unterschicht-Dickicht - und legt sich dabei reihenweise mit Integrationspolitikern an.

Roland Preuss

Wie sehr die alten Lager beim Thema Zuwanderer in Bewegung geraten sind, kann man dieser Tage besichtigen. Die einst für Schärfe gegen Migranten verschriene CDU hat deutsch-türkische Politiker wie Aygül Özkan in ein Ministeramt gehoben, die SPD dagegen Schwarzmaler und Polterer hervorgebracht. Speziell Berlin scheint dafür das ideale Revier zu sein. Vor zwei Jahren legte der dortige Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sein hoch umstrittenes Buch zur Integrationspolitik vor, nun präsentiert sein Parteikollege Heinz Buschkowsky sein Werk zum Thema. Seit diesem Freitag liegt es in den Buchläden: "Neukölln ist überall". Es klingt wie eine Drohung.

Es wäre allerdings unfair, den Bezirksbürgermeister von Neukölln mit Sarrazin gleichzusetzen. Anders als der Statistikjunkie Sarrazin weiß Buschkowsky aus eigener Erfahrung, wovon er redet. Seit elf Jahren leitet er den Berliner Bezirk Neukölln, der zum Synonym für gescheiterte Integration, Parallelgesellschaften und Jugendkriminalität geworden ist. Es ist ein Bezirk, der 41 Prozent Migrantenanteil hat, in dem ein Großteil der Kinder von Hartz IV lebt; ein Stadtteil, der durch den Hilferuf von Lehrern der Rütli-Schule und durch den Salafisten-Brennpunkt Al-Nur-Moschee bundesweit bekannt wurde - und mit ihm sein Bürgermeister.

Buschkowsky hat einiges gegen die Misere unternommen, er hat die Rütli-Schule umgekrempelt, Migranten in der Verwaltung eingestellt, muslimische Stadtteilmütter losgeschickt. Doch so, wie er nun in Interviews lospoltert, hat dies alles nicht viel gebracht. "In der Integrationspolitik herrscht Rat- und Zahnlosigkeit", meint er. Buschkowsky fordert deshalb: mehr Härte - gegen migrantische Machos, die ganze Viertel terrorisieren, Familien, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken oder Schwarzarbeiter, die es sich im Sozialsystem eingerichtet hätten.

In die SPD integriert

Buschkowsky keilt durch das Neuköllner Unterschicht-Dickicht und legt sich dabei reihenweise mit Integrationspolitikern an, auch denen der SPD. Seine Äußerungen dürften innerparteilich noch scharfe Reaktionen hervorrufen. Ausgerechnet dem Leiter der Arbeitsgruppe Integration der Bundes-SPD, Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, wirft Buschkowsky vor, beim Thema Schulschwänzer "ziemlichen Quatsch" zu schreiben. Er sei zu weich. Wowereit hatte vergangenes Jahr seine Integrationsideen vorgelegt, auf 165 Seiten, im kleinen Taschenbuchformat. Mit seinem 400-Seiten-Band macht Buschkowsky da schon optisch klar, wer hier die Oberhoheit beansprucht.

Dass sich der Bürgermeister durch die Attacken allzu viel Ärger einhandelt, ist unwahrscheinlich. Anders als Sarrazin versucht die SPD-Spitze ihn seit langem zu integrieren, man kann ihn erwähnen, wenn der Vorwurf auftaucht, Probleme mit Migranten seien ein Tabu. Erst am Montag traf ihn SPD-Chef Gabriel in Neukölln. Dass sich Buschkowsky schon früh von Sarrazins Thesen distanziert hat, erleichtert die Arbeit. Sensible Sätze sind nicht Buschkowskys Stärke. Und das will er auch gar nicht. In einem Interview mit der Zeit inszenierte er sich vielmehr als einer, der unangenehme Wahrheiten ausspricht. Das dürfte die Verkaufszahlen ankurbeln.

Buschkowsky ist in Neukölln geboren, wuchs in einfachen Verhältnissen auf und kämpfte sich hoch. Er hat sein gesamtes politisches Leben im Bezirk verbracht. Provokante Thesen zur Integration vertritt er schon seit Jahren - und wurde damit vergangenes Jahr wiedergewählt, auch von vielen Migranten. Diesen Aufstiegswillen verlangt er nun auch von Zuwanderern, Integration sei vor allem eine Bringschuld der Hinzugekommenen, sagt er. Das Buch über Neukölln versteht Buschkowsky als eine Art politisches Vermächtnis, er wollte noch "das eine oder andere Rezept" zurücklassen. Es wird sich bald zeigen, ob es heilsam oder giftig ist.

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SZ vom 22.09.2012
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