Der Machtkampf im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist fast so alt wie das Bündnis selbst, das neben dem Namen der Gründerin den Zusatz „Für Vernunft und Gerechtigkeit“ im Titel führt. Am Donnerstag erreichte er einen weiteren Höhepunkt, als der Thüringer Co-Vorsitzende Steffen Schütz seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur verkündete. Schütz führt den Thüringer Landesverband bisher im Duo mit Katja Wolf – beide sitzen auch als Minister in der Thüringer Landesregierung. Das Verhältnis von Schütz und Wolf zur Bundesspitze lässt sich am besten mit dem Wort zerrüttet beschreiben, seit die beiden gegen den Willen von Wagenknecht im Herbst in Erfurt eine Koalition mit CDU und SPD geschlossen haben. Und seit das BSW bei der Bundestagswahl denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, hat die Parteiführung die Regierungsbeteiligung in Thüringen als den Hauptgrund für die Niederlage im Bund ausgemacht.
Schütz verknüpfte seinen Rückzug am Donnerstag mit schweren Vorwürfen an den Bundesvorstand seiner Partei, der eine Trennung von Amt und Mandat fordert und sich erst vor einigen Tagen öffentlich für eine andere BSW-Landesspitze ausgesprochen hatte. Es gehe ihm nicht um Posten oder persönliche Egoismen, sagte Schütz, sondern um Stabilität in Thüringen und den Fortbestand des „erfolgreichsten Parteineugründungsprojekts, das Deutschland je gesehen hat“. Er halte es für einen schwerwiegenden politischen Fehler, sich durch die Trennung von Amt und Mandat selbst zu verzwergen. Schütz sagte weiter, niemand könne BSW-Positionen so stark vertreten wie Wolf. „Dass man darauf verzichten will, weil man sich vermeintlich Andersdenkender elegant entledigen möchte, ist für mich völlig inakzeptabel und unwürdig für eine Partei, die den Namen Vernunft und Gerechtigkeit trägt.“
Wolf tritt wieder an – mit schönen Grüßen an die „schärfsten Kritiker“ in Berlin
Wolf will trotz der Kritik aus der Bundesspitze an ihrer Person auf dem Parteitag an diesem Samstag in Gera erneut für den Vorsitz antreten. Sie präsentierte nun den Musiker Gernot Süßmuth als möglichen Partner für eine Doppelspitze. Süßmuth versteht sich als Vertreter der Parteibasis und kritischer Geist gegenüber der Landesregierung. Wolf betonte am Donnerstag die Erfolge des Thüringer Verbandes, der vergangenen Herbst mit 15,8 Prozent das bisher beste Ergebnis bei einer Landtagswahl geholt hatte. Dies sei ohne die unermüdliche Arbeit von Schütz nicht möglich gewesen. Sie selbst werde wieder antreten, weil es neben Kontinuität und Professionalität im weiteren Parteiaufbau auch Durchsetzungskraft und Zusammenarbeit auf Augenhöhe in der Landesregierung brauche. Wolf ist Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. Regierungschef Mario Voigt (CDU) und Innenminister Georg Maier (SPD) führen ihre Parteien ebenfalls als Vorsitzende.
Ihre Kandidatur gemeinsam mit Süßmuth sei eine doppelte Brücke, sagte Wolf, „zu den Mitgliedern und auch zu unseren schärfsten Kritikern. Damit meine ich eine Brücke in Richtung Berlin“. Aber auch kritischen Mitgliedern im Thüringer Landesverband dürfte Wolf damit etwas Wind aus den Segeln genommen haben. Einige hatten bemängelt, das BSW verkomme zum Privatprojekt von Wolf und Schütz. Beide sind nicht nur Minister, sondern auch Landtagsabgeordnete.
Schütz will nun für den Bundesvorstand kandidieren, um dort dem Osten eine starke Stimme zu geben. Auf wie viel Gegenliebe diese Idee bei der Bundespartei treffen wird, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, wann der nächste Bundesparteitag stattfinden soll. Schütz sagte, dem BSW sei es in Thüringen gelungen, eine neue politische Kultur des Miteinanders im Parlament zu etablieren – eine, „die nicht von Streit und Hass geprägt ist“. Es mache ihn traurig, „dass wir das teilweise in der eigenen Partei erleben mussten“.
Schütz und Wolf fordern in einem gemeinsamen Leitantrag für den Parteitag, dass künftig der Landesverband eigenständig neue Mitglieder aufnehmen kann. Bisher tut dies nur der Bundesvorstand. Schütz bezeichnete die handverlesene Auswahl neuer Mitglieder durch Berlin am Donnerstag als „Gesinnungsakquisition“. Dagegen habe er sich immer gewendet, es brauche eine Organisation von unten nach oben. Derzeit zählt der Thüringer Landesverband etwa 130 Mitglieder.
Zwei von ihnen hatten in den vergangenen Tagen angekündigt, für wichtige Parteiämter kandidieren zu wollen. Die Landtagsabgeordnete Anke Wirsing und der Kinderpsychologe Matthias Bickel wollen sich als neues Spitzenduo bewerben. Wirsing hatte beim großen Zerwürfnis zwischen Bundes- und Landesspitze im Herbst als erste Landtagsabgeordnete öffentlich ihre Verbundenheit mit Wagenknecht erklärt. Auch die zentrale Mitgliedersteuerung von oben sieht sie - anders als Wolf und Schütz - nicht kritisch. Der Süddeutschen Zeitung sagte sie jüngst: „Ich habe kein Problem damit, wenn das weiter in der Hand des Bundesvorstands bleibt. Sahra hat ja gesagt, dass die Aufnahme kontrolliert vonstattengehen soll.“ Generalsekretär Christian Leye hatte Wirsings Kandidatur sofort öffentlich begrüßt – sehr zum Missfallen der bisherigen Amtsinhaber.
In einer Mail an alle Mitglieder hatte die Bundesspitze zudem beklagt, dass die Thüringer BSW-Wähler laut einer Umfrage aus dem Januar besonders unzufrieden mit der Arbeit der Erfurter Koalition seien. Dies erkläre auch den überproportional starken Stimmeneinbruch bei der Bundestagswahl in Thüringen. Dort lag das Ergebnis allerdings mit 9,4 Prozent höher als beispielsweise in Sachsen (9 Prozent), wo das BSW im Herbst die Koalitionsgespräche mit CDU und SPD abgebrochen hatte.