Brutalität des "Islamischen Staats":Der Krieger in uns

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IS-Kämpfer mit Flagge der Miliz im nordirakischen Mossul. Die islamistische Terrorgruppe kontrolliert die Millionenstadt. (Foto: REUTERS)

Wenn der IS unschuldige Menschen enthauptet, löst das Abscheu, Grauen und Empörung aus. Doch auch wenn sich die westlichen Staaten gesellschaftlich grundlegend unterscheiden: Menschlich ist uns diese Gewalt vielleicht näher, als wir glauben.

Gastbeitrag von Thomas Galli

Vor laufender Kamera ermorden IS-Terroristen einen amerikanischen Journalisten, einen britischen Entwicklungshelfer. Natürlich löst das bei den meisten Menschen Abscheu, Grauen und Empörung aus. Wie soll man auf solche furchtbaren Gewalttaten reagieren? Was sind das für Menschen, die so etwas tun? Bevor man diese Fragen beantwortet, sollte man sich erst einmal selber hinterfragen. Vielleicht ist diese Gewalt weniger weit von uns entfernt, als wir glauben.

Seien wir ehrlich: Wer hätte nicht Lust, diesen IS-Mörder zu töten, der da Unschuldige enthauptet und dann das Video von seiner Tat ins Netz stellt? Wer wäre, wenn er es schon nicht selbst tun wollte, nicht der Meinung, die Tötung solcher Menschen sei gerechtfertigt, vielleicht sogar geboten?

Gewalt für die vermeintlich gute Sache

Die Evolution hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, Gewalt auszuüben. Sie hat uns sogar die Lust an der Gewalt gegeben. Ohne diese Lust an der Gewalt hätte der Urmensch die Gefahren von Jagd und Kampf nicht auf sich genommen. Die Zivilisation hat es mit sich gebracht, dass wir heute nicht mehr selbstverständlich Gewalt, gar tödliche Gewalt befürworten. Und zu Recht empfinden wir die IS-Morde als Zivilisationsbruch.

Doch ist uns die Gewalt, der Impuls zu Rache und Vergeltung, wirklich so fern? Umfragen in den Vereinigten Staaten zufolge hält ein Viertel der Amerikaner "Bomben und andere Angriffe, die absichtlich auf Zivilisten zielen, oft oder manchmal für gerechtfertigt". In Deutschland dürften die Werte niedriger sein - doch die Vorstellung, dass zur Verteidigung unserer Werte auch eine gewisse Brutalität nötig sein könnte, ist auch hierzulande nicht fremd. Genau so aber denken, fühlen und handeln auch die IS-Krieger: Es ist - für die gute Sache - in bestimmten Fällen erlaubt, ja geboten, wehrlose Menschen umzubringen.

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Natürlich unterscheidet sich die Todesstrafe in den USA insoweit von den willkürlichen Morden des IS, als sie nach einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgesprochen und nur wegen schlimmster Verbrechen vollstreckt wird. In beiden Fällen aber werden öffentlichkeitswirksam Menschen ums Leben gebracht, die in der konkreten Situation völlig wehrlos sind.

Die Todesstrafe "zivilisierter" Staaten wird oft erst besonders grausam dadurch, dass ihrer Vollstreckung eine jahre- und jahrzehntelange Haft unter schlechten Bedingungen mit qualvoller Ungewissheit vorausgeht. Und die Behandlung der Geiseln durch die IS-Kämpfer erinnert nicht von ungefähr an die von Gefangenen auf Guantanamo durch den Rechtsstaat USA mit Friedensnobelpreisträger Obama an der Spitze, der aktuell als Strategie gegen den IS-Terror vor allem eine Ausweitung der Bombardierungen verkündet hat.

Die Tötung soll die Welt wieder ins Lot bringen

Was also eint - bei allen Unterschieden - das Töten des IS und das Töten des Westens? Hier wie dort werden diese Tötungen im öffentlichen Diskurs instrumentalisiert. Sie gilt als sozial notwendig, zum Beispiel zur Bekämpfung von Terror und Kriminalität, zur Abschreckung eines inneren oder äußeren Feindes. Oder ihr wird ein transzendentaler Sinn zugesprochen: Die Tötung des Ungläubigen ist göttlich geboten, die des Verbrechers in der Vergeltung von Schuld begründet. Der Gewaltakt soll die Welt wieder zurechtrücken. So völlig anders wie der Westen sind die IS-Kämpfer in dieser Hinsicht nicht, auch wenn wir das ungern wahrhaben wollen.

Die öffentlich inszenierte Gewalt bewirkt großes Leid - und sie wirkt zerstörerisch. Die Todesstrafe hat keine abschreckende Wirkung auf mögliche Gewalttäter. Die Hemmung zu töten, nimmt eher ab, wenn sich sogar der Staat das Recht zur Tötung wider Willen herausnimmt. Und auch der "Krieg gegen den Terror", der mit Bomben und Drohnen auch Unschuldige tötet, bringt zusätzliche Spannungen und Konflikte, statt sie zu lösen. Und auch die Brutalität des IS ist weniger Machtstrategie als vielmehr irrationaler Todeskult: Mit den öffentlichen Enthauptungen haben sie nun eine breite Front gegen sich mobilisiert - der Kalifatstaat wird scheitern.

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Was unterscheidet aber westliche Staaten und Gesellschaften wesentlich von Gruppen wie dem IS, was sollte sie unterscheiden? Es ist nicht der reine Gewaltverzicht: Zur unmittelbaren Abwehr tödlicher Bedrohungen ist jede notwendige Gewaltausübung vernünftig. Wer aber fordert, Terroristen zur Vergeltung oder zur Abschreckung zu töten, muss sich bewusst machen, dass er damit genauso argumentiert und handelt, wie die Terroristen selbst. Er muss wissen, dass er damit Gewalt nicht verringert, sondern befördert, dass er das Erreichte unser Zivilisation gefährdet - und diese Zivilisation gerade für die unattraktiv macht, die er gewinnen will.

Wut, Rachebedürfnis, Aggression sind im modernen Menschen nach wie vor vorhanden. Dies anzuerkennen, aber dem Ausleben solcher Urtriebe und dem Umgang mit unzivilisierten Handlungen die Vernunft entgegenzusetzen, zeichnet uns als zivilisierte Gesellschaft aus. Der Grad der Zivilisation bemisst sich vor allem daran, zu welchem Zweck, in welchem Umfang und mit welchen Folgen aggressive Triebe ausgelebt werden.

Den Krieger in uns im Zaum halten

Menschlich unterscheiden wir uns nicht so sehr von den IS-Kriegern, wohl aber gesellschaftlich. Gerade wir Deutschen müssen uns einem normativen Modell verpflichtet fühlen, das uns den Ausschluss von Menschen aus der menschlichen Gemeinschaft - bis hin zu deren Tötung - so schwer wie möglich macht. Deshalb sollte um jegliche Art der militärischen Unterstützung oder Intervention bis zuletzt gerungen werden: Lässt sie sich vermeiden?

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Da der weltweite Zusammenhang von Armut und Gewalt eindeutig belegt ist, müssten wir dafür von unserem Reichtum abgeben, auch indem wir Flüchtlinge aus Krisenregionen besser unterstützen. Uns noch viel stärker als bisher international zu engagieren, ist also unsere Verantwortung als Mitmenschen, der wir nicht durch Bomben oder Gefängnisse gerecht werden, und liegt, angesichts der weltweiten Bedrohung durch den Terror, auch in unserem ureigenstem Interesse.

Die IS-Krieger können wir langfristig nur besiegen, wenn wir den Krieger in uns im Zaun halten, und ihm einen Samariter zur Seite stellen.

© SZ vom 18.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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