Süddeutsche Zeitung

Brutaler Machtkampf in Ägypten:"Wir sind bereit, hier zu sterben"

Hunderte Verletzte, mehrere Tote, kein Ende der Gewalt: Im Zentrum Kairos toben blutige Straßenkämpfe zwischen Oppositionellen und Anhängern von Präsident Mubarak, inzwischen berichten Medien von Maschinengewehrsalven. Eindringlich appelliert Friedensnobelpreisträger ElBaradei an die Armee, Mubaraks Leuten Einhalt zu gebieten.

Die Lage auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo eskaliert immer weiter. Seit dem Gewaltausbruch am Vortag liefern sich die Unterstützer des autokratischen Präsidenten Hosni Mubarak und Oppositionsanhänger brutale Straßenschlachten.

Bei Tagesanbruch war die Lage insgesamt zwar etwas ruhiger, trotz allem scheint es nach wie vor Zusammenstöße zu geben. In den frühen Morgenstunden berichteten Medien von weiteren Todesopfern. Vier Menschen sollen durch Schüsse ums Leben gekommen sein, berichtete der arabische Nachrichtensender al-Arabija. Der Sender berief sich auf Augenzeugen. Andere Quellen sprechen von zwei bis sechs Toten. Mehrere Menschen seien verletzt worden. Augenzeugen beklagten, dass die Armee nicht eingreife.

Angeblich haben Anhänger von Präsident Hosni Mubarak die Gegner des Präsidenten beschossen. CNN berichtet von Maschinengewehrsalven. Überall gebe es Verwundete. Ein CNN-Reporter berichtete, Ärzte behandelten Verletzte direkt auf der Straße, nähten ihre Wunden. Mehrere Rettungswagen fuhren auf den Platz.

Fernsehbilder von der Nacht dokumentieren die bürgerkriegsähnlichen Zustände in der ägyptischen Hauptstadt. Menschen warfen Molotowcocktails und Steine, Schüsse peitschten über den Tahrir-Platz, die Armee setzte zeitweise Tränengas ein, griff sonst allerdings nicht in die Kämpfe ein. Überall waren Barrikaden und brennende Fahrzeuge zu sehen. Aus einem Gebäude in der Nähe des Ägyptischen Museums loderten Flammen.

Eine Regimekritikerin rief aus der Kampfzone bei al-Dschasira an, im Hintergrund waren Schüsse zu hören. Schluchzend rief sie "die Welt" auf, den Oppositionellen zu helfen. Die ARD zitiert einen Demonstranten, der sich auf dem Tahrir-Platz befand, mit den Worten: "Die Leute, die hier sind, sagen: 'Wir bleiben!' Wenn es sein muss, sind wir bereit, hier zu sterben."

Am Mittwoch waren bei blutigen Zusammenstößen bereits mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 1500 Verletzte habe es gegeben, lautete am späten Abend eine Zwischenbilanz der Übergriffe auf dem Tahrir-Platz. Das Gesundheitsministerium nannte die Zahl von 639 Verletzten.

Clinton verurteilt "schockierende Gewalt"

Inmitten der Krise suchen die USA weiter Einfluss auf die Regierung in Kairo zu nehmen. US-Außenministerin Hillary Clinton telefonierte mit dem neuen ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Clinton habe von Suleiman eine Untersuchung der Übergriffe in Kairo verlangt. Clinton verurteilte die "schockierende" Gewalt und betonte die Pflicht der ägyptischen Regierung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge. Er wiederholte den Standpunkt der US-Regierung, wonach der politische Übergangsprozess sofort beginnen müsse. "Morgen ist nicht gut genug", sagte Crowley. Es müssten "sobald wie möglich" Wahlen stattfinden. "Wir wollen einen glaubwürdigen Prozess sehen, der zu freien, fairen und legitimen Wahlen führt", erklärte Crowley weiter.

Das ägyptische Außenministerium wies Forderungen aus dem Ausland nach einem sofortigen Machtwechsel zurück. Dies würde die krisenhafte "innere Lage in Ägypten" weiter anfachen, erklärte Außenminister Hossam Saki. Die staatlichen Medien erklären, die Oppositionellen seien schuld an dem Gewaltausbruch.

Angesichts der Ausschreitungen forderte Oppositions-Vertreter Mohammed ElBaradei die Armee auf, weitere Angriffe der Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten zu unterbinden. Die Armee müsse eingreifen, um das Leben ägyptischer Bürger zu schützen, sagte ElBaradei zu al-Dschasira. "Es gibt eindeutige Beweise, dass die Polizei ihre Männer in Zivilkleidung auf die Demonstranten gehetzt hat", sagte der Friedensnobelpreisträger.

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