Brüsseler Prozeduren:Wer alles mitredet

Bis die künftige EU-Kommission steht, ist noch manche Hürde zu nehmen. Vor allem die Besetzung des neuen Leitungsgremiums dürfte Ursula von der Leyen einiges an Kopfzerbrechen bereiten.

Von Thomas Kirchner

Ursula von der Leyen hat eine erste Hürde genommen auf dem Weg in ihr neues Amt. Zugegeben, die Wahl in Straßburg war die höchste Hürde, sie war aber nicht die letzte. Bis sie am 1. November ihr Büro im 13. Stock des Brüsseler Berlaymont bezieht, ist es noch weit. Den Sommer über werden die übrigen 27 Mitglieder der Kommission nominiert. Bis auf Deutschland, das nun die Präsidentin stellt, ist jedes Land mit einem Kommissar vertreten; und wenn Großbritannien wie vorgesehen am 31. Oktober austritt, wären es nur noch 26. Bei der letzten großen Reform der EU wurde beschlossen, die Zahl der Kommissare um ein Drittel zu reduzieren und den anfallenden Aufgaben anzupassen. So steht es im geltenden EU-Vertrag. Aber der Versuch ist gescheitert, die Staaten bestehen weiterhin auf "ihrem" Kommissar.

Im Vertrag steht ebenso, dass der Rat der EU (nicht die Regierungschefs, sondern eine Ministerformation) die Kommissare gemeinsam vorschlägt. In Wirklichkeit werden die Kommissare von den nationalen Regierungen nominiert und tragen sehr oft die Farben der gerade dominierenden Partei des jeweiligen Landes. Deswegen gab es bisher nur eine Kommissarin einer grünen Partei (die Deutsche Michaele Schreyer zur Zeit der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder), ansonsten meistens Christdemokraten, Sozialdemokraten oder Liberale. Ein Ressort haben die Nominierten noch nicht. Von der Leyen muss es ihnen zuweisen, dabei aber auch die Erwartungen und den Einfluss der Mitgliedsstaaten berücksichtigen. Faustregel: Je wichtiger ein Staat, desto bedeutsamer das Ressort. Luxemburg, das schon drei Kommissionspräsidenten stellte, steht für eine von vielen Ausnahmen von der Regel.

Das EU-Parlament kann Kandidaten für Kommissarposten durchaus ablehnen

Sind alle nominiert, wird es spannend, das Europäische Parlament befindet über die Kandidaten, nachdem sie sich Anfang Oktober einer mehrstündigen Anhörung in dem Ausschuss gestellt haben, der für ihren Bereich zuständig ist. Auch dieser Prozess läuft anders, als es in den Verträgen eigentlich vorgesehen ist. Dort heißt es, nur die gesamte Kommission könne angenommen oder abgelehnt werden. Es zählt die Mehrheit der Stimmen.

Zu einer Ablehnung könnte es zwar kommen, wenn das Parlament sich etwa rächen wollte dafür, dass die Staats- und Regierungschefs ihm von der Leyen und keinen Spitzenkandidaten als Kommissionschef vorgeschlagen hatten. Wahrscheinlicher ist aber, dass nur einzelne Kommissarkandidaten abgelehnt werden. Das war in den vergangenen drei Legislaturperioden mehrmals der Fall. Das Parlament bittet den betreffenden Mitgliedsstaat dann informell, einen anderen Kandidaten vorzuschlagen. Auch von der Leyen selbst kann Vorschläge der Staaten ablehnen, wie dies der jetzige Amtsinhaber Jean-Claude Juncker schon gemacht hat.

Das Schlussvotum des Parlaments ist für die Sitzungswoche vom 21. bis 24. Oktober geplant. Hat das Parlament die Kommission schließlich mit einer Mehrheit der Stimmen gewählt, muss von der Leyen ihr Mitarbeiterteam zusammenstellen, das Kabinett, das ihr wie allen Kommissaren nach französischer Regierungstradition zur Seite steht. Neben dem Kabinettschef zählen dazu Berater für Handel, Diplomatie, Wirtschaft, Haushalt, Rechtsfragen, Strategisches und vieles mehr. Mit der Personalsuche hat sie schon begonnen. Bis November steht ihr als "designierter Präsidentin", die ein Gehalt von der Kommission empfängt, ein "Übergangsteam" zu.

Außerdem wird sie einen Generalsekretär der Kommission vorschlagen. Das ist ein Schlüsselposten im Haus, der die Arbeit zwischen den Ressorts abstimmt. Der bisherige Generalsekretär, der Deutsche Martin Selmayr, ist zurückgetreten. Und nicht zuletzt wird sie mehrere Vizepräsidenten der Kommission ernennen, die eine Art Superkompetenz erhalten, sowie einen Ersten Vizepräsidenten, der sie im Kollegium bei Abwesenheit vertritt.

Und wenn sie ihre Versprechen bricht?

Parallel dazu muss sie die Leitlinien für ihre Amtszeit ausformulieren, die großen politischen Projekte, die Priorität haben sollen. Frei ist sie darin nicht mehr. Vielmehr hat sie in den vergangenen Tagen einige zum Teil detaillierte Aussagen gemacht, um die Zustimmung der Fraktionen im Europäischen Parlament zu gewinnen (siehe nebenstehenden Artikel).

Und wenn sie die Versprechen bricht? An dieser Stelle ist die europäische Demokratie noch nicht weit entwickelt. Auf nationaler Ebene wäre es meist so, dass eine Regierung, die nicht mehr das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments genießt, stürzt. Allenfalls könnte sie als Minderheitsregierung weitermachen. Dem EU-Parlament fehlt ein solches Druckmittel. Es kann die gesamte Kommission nur durch eine schwer zu erreichende Zweidrittelmehrheit zum Rücktritt zwingen. Dann ist aber wieder der Europäische Rat am Zug, also die Staats- und Regierungschefs, die einen neuen Kommissionspräsidenten vorschlagen.

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