Süddeutsche Zeitung

Brüssel widerspricht Berliner Koalition:Finanzmarktsteuer kann noch 2012 vereinbart werden

In der Debatte um die Finanztransaktionsteuer bekommt die Berliner Opposition ein neues Druckmittel: Während Schwarz-Gelb eine Steuer noch in dieser Wahlperiode für kaum mehr möglich hält, sieht Brüssel das ganz anders. Dort kann man sich ein Schnellverfahren vorstellen. Ein entscheidendes Treffen findet in der kommenden Woche statt.

Cerstin Gammelin, Brüssel, und Claus Hulverscheidt, Berlin

Die von SPD und Grünen verlangte Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte könnte nach Auskunft der EU-Kommission noch in diesem Jahr beschlossen werden. Voraussetzung sei, dass beim Treffen der EU-Finanzminister kommende Woche in Luxemburg oder danach im Juli von mindestens neun Ländern ein entsprechender Antrag gestellt werde, hieß es am Dienstag im Umfeld von Steuerkommissar Algirdas Semeta.

Den Europäischen Verträgen zufolge kann eine Gruppe von neun oder mehr Staaten im Rahmen der sogenannten verstärkten Zusammenarbeit vorangehen, wenn sich die 27 EU-Mitglieder in einer bestimmten Frage nicht einig werden. Die Finanztransaktionsteuer wird unter anderem von Großbritannien blockiert.

SPD und Grüne machen ihre Zustimmung zum EU-Fiskalpakt davon abhängig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konkrete Schritte zur Einführung einer solchen Steuer unternimmt. Merkel ist dazu nach eigenem Bekunden bereit. Dennoch fühlt sich die Opposition hingehalten, weil die Koalition gleichzeitig betont, dass eine Umsetzung der Idee in dieser Wahlperiode kaum mehr möglich sei. Dem widerspricht nun die EU-Kommission.

Sie ist nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zu einer "prioritären Prüfung" eines Antrags bereit. Liegt der Antrag bis zum Sommer vor, wäre es möglich, die Einführung der Steuer in neun oder mehr Ländern Ende 2012 zu beschließen. Erhoben werden könnte sie aber tatsächlich erst Anfang 2014, also nach der Bundestagswahl, da umfangreiche Vorarbeiten nötig wären.

Bundesfinanzminister sucht Unterstützerstaaten

Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte, Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) bemühe sich darum, bis Ende kommender Woche neun Unterstützerstaaten zusammenzubekommen. Ob das gelinge, sei offen. Zunächst müssten ohnehin die 27 Ressortchefs formell erklären, dass der Versuch, die Steuer EU-weit einzuführen, gescheitert sei. Liege dann ein Antrag auf verstärkte Zusammenarbeit vor, müsse die Kommission den neuen Vorschlag prüfen, der dann nochmals von alle Ministern beraten werde.

Dass all dieses binnen sechs Monaten ablaufen könne, sei zweifelhaft. Schäuble lasse deshalb parallel prüfen, ob es einen anderen Weg gebe, der schneller sei. So wäre es denkbar, einen zwischenstaatlichen Vertrag zu schließen, in dem die Unterzeichnerländer zusagen, gleichlautende Gesetze zur Einführung einer Transaktionsteuer zu verabschieden.

Befürworter stellen Bedingungen

Die SPD-Führung, die die Steuer maßgeblich vorantreibt, gab sich überzeugt, dass sich neun Länder für das Projekt finden werden. Parteichef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück wollen an diesem Mittwoch bei einem Besuch in Paris Frankreichs Präsident François Hollande als Vorkämpfer gewinnen.

Bereits im Februar hatten sich die Finanzminister Deutschlands, Spaniens, Frankreichs, Italiens, Österreichs, Finnlands, Portugals, Belgiens und Griechenlands in einem gemeinsamen Papier prinzipiell zur Einführung der Steuer bekannt. Einige dieser neun Länder knüpfen ihr Ja allerdings an Bedingungen.

Das EU-Parlament würde die Einführung der Abgabe mit breiter Mehrheit unterstützen, ein entsprechender Beschluss liegt bereits vor. "Natürlich wäre es uns lieber, wenn die Steuer in allen Ländern eingeführt würde. Aber neun Länder sind ein Anfang", sagte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. Sein CSU-Kollege Markus Ferber erklärte: "Jeder Schritt, der eine Einführung der Finanztransaktionsteuer in der EU befördert, findet unsere Unterstützung."

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SZ vom 13.06.2012/rela
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